Gewerblicher Rechtsschutz / IP

Lokalkammer München: Getrennte Verhandlung über Verletzungs- und Nichtigkeitswiderklage nach Verweisung

Veröffentlicht am 7th Jun 2024

In diesem Beitrag unserer UPC-Reihe wird die Entscheidung der Lokalkammer München vom 02.02.2024 (UPC_CFI_14/2023) behandelt. Der Schwerpunkt liegt auf der Zuständigkeit der Kammern im Falle einer Nichtigkeitswiderklage nach Art. 33 Abs. 3 EPGÜ und dem diesbezüglichen Ermessen der Lokal- und Regionalkammern betreffend eine Verweisung und/oder Aussetzung. Dabei wird ein wertvoller Einblick in die Verfahrensführung vor dem Einheitlichen Patentgericht (EPG) unter Einbezie-hung der Parteiinteressen gewährt.

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1. Sachverhalt

Die Klägerin macht vor der Lokalkammer München gegen vier Beklagte eine Patentverletzung geltend. Die Beklagten zu 1) bis 3) haben Einspruch gegen die Erteilung des Klagepatents vor dem Europäischen Patentamt eingelegt und erhoben daneben zusätzlich eine gesonderte Nichtigkeitsklage bei der Zentralkammer des EPG. Die Beklagte zu 4) erhob in Reaktion auf die Verletzungsklage bei der Lokalkammer München eine Nichtigkeitswiderklage.

Die Klägerin und alle vier Beklagten stimmten – nach Gewährung rechtlichen Gehörs – darin überein, dass die vor der Lokalkammer anhängige Nichtigkeitswiderklage an die Zentralkammer verwiesen werden sollte. Die Parteien sind sich jedoch uneinig darüber, wie das Verletzungsverfahren fortgeführt werden soll. Während die Klägerin die Fortsetzung des Verletzungsverfahrens vor der Lokalkammer beantragte, begehrten die Beklagten die Aussetzung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Rechtsbestand des Klagepatents.

2. Entscheidung des Gerichts

In ihrer Entscheidung setzt sich die Lokalkammer München in Ausübung ihres Ermessens ausführlich mit den Parteiinteressen auseinander, um über das Schicksal der Verletzungs- sowie Nichtigkeitswiderklage zu entscheiden („[…] kann nach Anhörung der Parteien nach eigenem Ermessen beschließen […]“, Art. 33 Abs. 3 EPGÜ).

Zunächst listet das Gericht in seiner Entscheidung die bestehenden prozessualen Möglichkeiten auf: Gem. Art. 33 Abs. 3 EPGÜ können die betreffende Lokal- oder Regionalkammer nach Anhörung der Parteien nach eigenem Ermessen beschließen, über Verletzungs- und Nichtigkeitswiderklage gemeinsam zu entscheiden (Art. 33 Abs. 3 lit. a)) oder die Nichtigkeitswiderklage an die Zentralkammer zu verweisen und das Verletzungsverfahren auszusetzen oder fortzuführen (Art. 33 Abs. 3 lit. b)). Wenn alle Parteien zustimmen, kann die Lokalkammer zuletzt sowohl die Verletzungsklage als auch die Nichtigkeitswiderklage an die Zentralkammer verweisen (Art. 33 Abs. 3 lit. c)).
Die Lokalkammer München übte ihr Ermessen dahingehend aus, die Nichtigkeitswiderklage zur Entscheidung an die Zentralkammer zu verweisen und das Verletzungsverfahren zunächst selbst fortzuführen. Dabei behielt sie sich jedoch das Recht vor, die Möglichkeit einer späteren Aussetzung des Verletzungsverfahrens in Betracht zu ziehen.

Obwohl es grundsätzlich von Vorteil sei, über eine Verletzungs- und Nichtigkeitswiderklage vor demselben Spruchkörper zu verhandeln, erfordere der vorliegende Fall jedoch eine andere Entscheidung. Alle Parteien begehren, dass die Nichtigkeitswiderklage an die Zentralkammer verwiesen werden solle. Einstimmigen Anträgen der Parteien, eine Widerklage auf Nichtigerklärung der Zentralkammer zur Entscheidung vorzulegen, werde grundsätzlich stattgegeben, es sei denn, stichhaltige Gegenargumente würden eine andere Entscheidung erfordern. Derartige stichhaltigen Gegenargumente seien im konkreten Fall jedoch nicht vorhanden. Aufgrund der schon anhängigen Nichtigkeitsklagen der Beklagten zu 1) bis 3) bei der Zentralkammer sei diese schon mit dem Rechtsbestand befasst. Eine Verweisung der Nichtigkeitswiderklage an die Zentralkammer sei daher die praktikabelste Lösung, um widersprüchliche Entscheidungen und Mehrarbeit zu vermeiden. Daher sei eine Trennung von Verletzungs- und Nichtigkeitswiderklage gem. Art. 33 Abs. 3 lit. b) EPGÜ vorzunehmen.

Mit Blick auf das Verletzungsverfahren kann die Lokalkammer nun nach Art. 33 Abs. 3 b) EPGÜ, Regel 37.4 der Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts (VO) das Verfahren bis zu einer Endentscheidung im Nichtigkeitsverfahren aussetzen. Das Verletzungsverfahren soll dabei ausgesetzt werden, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die maßgeblichen Patentansprüche im Nichtigkeitsverfahren für nichtig erklärt werden. Die Prüfung einer solch „hohen Wahrscheinlichkeit“ hielt die Lokalkammer vorliegend nicht für notwendig. Im vorliegenden Fall sei aufgrund des terminierten Zeitplans nämlich davon auszugehen, dass die Nichtigkeitsentscheidung der Zentralkammer vor einer Entscheidung über die Patentverletzung vor der Lokalkammer ergehen werde. Folglich habe die Lokalkammer die Möglichkeit, die Entscheidung der Zentralkammer bezüglich des Rechtsbestands des Klagepatents zu berücksichtigen, ohne eigene Überlegungen zur Rechtsbeständigkeit anstellen zu müssen. In Ausübung ihres Ermessens beschloss die Lokalkammer daher, das Verletzungsverfahren fortzusetzen. Sie behielt sich jedoch das Recht vor, die Möglichkeit einer späteren Aussetzung des Verfahrens (z.B. auch aus anderen vorgebrachten Gründen) erneut zu prüfen.

Dieses Vorgehen ist für die Lokalkammer zudem deshalb interessengerecht, weil es den Beklagten zu 1) bis 3) auch unbenommen gewesen wäre, mit der Klageerwiderung zusätzlich zu den bereits erhobenen Nichtigkeitsklagen auch eine Nichtigkeitswiderklage zu erheben. Hätten sie dies getan, hätte die Lokalkammer über alle vier Nichtigkeitswiderklagen entscheiden können bzw. müssen. Nach Regel 75.3 VO wäre die Zentralkammer in diesem Fall nämlich zur Aussetzung der separaten Nichtigkeitsklagen verpflichtet gewesen („[…] setzt der in der Zentralkammer für die Verhandlung über die Klage auf Nichtigerklärung bestimmte Spruchkörper das gesamte weitere Verfahren […] aus […]“).

3. Praxishinweise

Im Falle einer Verletzungsklage können vor den Lokal- bzw. Regionalkammern des EPG nunmehr auch Nichtigkeitswiderklagen erhoben werden, Art. 32 Abs. 1 lit. e) EPGÜ. Die Zuständigkeit dafür richtet sich nach Art. 33 Abs. 3 EPGÜ. Bzgl. des weiteren Verlaufs betreffend die Verletzungs- und Nichtigkeitswiderklage haben die Lokal- oder Regionalkammern ein Ermessen: Sie können (i) selbst über die Verletzungs- und Nichtigkeitswiderklage entscheiden, (ii) die Nichtigkeitswiderklage an die Zentralkammer verweisen und das Verletzungsverfahren aussetzen oder fortführen oder (iii) bei Zustimmung der Parteien sowohl Nichtigkeitswiderklage als auch Verletzungsklage an die Zentralkammer verweisen. Hierüber entscheidet der jeweilige Spruchkörper so bald wie möglich nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens durch Anordnung, Regel 37.1 VO. Den Parteien ist zuvor zwingend rechtliches Gehör zu gewähren, Regel 37.1 i.V.m. Regel 264 VO.

Entscheidet die Lokalkammer über beide Klagen, so erfüllt sie das angedachte Ziel, effizient und zeitnah zu arbeiten und vermeidet das Risiko von unterschiedlichen Entscheidungszeitpunkten. Das gleiche gilt grundsätzlich für die Verweisung von Nichtigkeitswiderklage und Verletzungsklage an die Zentralkammer, wobei diese im Ausgangspunkt an sich nur ausnahmsweise für Verletzungsverfahren zuständig ist. Diese Variante könnte demnach womöglich zu einer ineffizienten Ressourcennutzung des Gerichts führen. Die ausschließliche Verweisung der Nichtigkeitswiderklage an die Zentralkammer unter Beibehaltung der Zuständigkeit der Lokalkammer für das Verletzungsverfahren ist dagegen mit dem in Deutschland herrschenden Trennungsprinzip vergleichbar, wonach für Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren unterschiedliche Gerichte zuständig sind. Allerdings kann durch die Trennung ein zeitliches Auseinanderfallen der Entscheidungen herbeigeführt werden. Aufgrund dieses Nachteils ist ein Teil der Literatur auch davon ausgegangen, dass die Möglichkeit der Trennung in der Praxis des EPG keine große Rolle spielen wird. Die vorliegende Entscheidung der Lokalkammer München beweist das Gegenteil – aufgrund der Umstände des Einzelfalls hat sie das Verletzungsverfahren zudem fortgeführt, weil mit einer früheren Entscheidung zur Nichtigkeit gerechnet werden konnte. Dabei hat sie auch die Parteiinteressen ausgiebig berücksichtigt und bewertet.

Die Lokalkammer München entschied sich daher im Ergebnis mit nachvollziehbaren Argumenten (aufgrund der Besonderheiten des konkreten Falls) für eine Trennung der Verfahren nach Art. 33 Abs. 3 lit. b) EPGÜ, wobei auch auf eine Aussetzung des Verletzungsverfahrens verzichtet wurde. Auf Basis des gerichtlichen Ermessens eröffnet sich die Lokalkammer zugleich eine rechtliche Hintertüre, um ggf. später erneut über eine mögliche Aussetzung des Verletzungsverfahrens zu entscheiden. 

Die Entscheidung der Lokalkammer München ist für die Praxis insofern von großem Interesse für die Praxis, als sie wichtige Grundsätze zum Verweisungs- und Aussetzungsverfahren vor dem EPG sowie zur Zuständigkeit bei einer Nichtigkeitswiderklage aufzeigt. Derartige Entscheidungen sind beachtenswert, weil sie zum einen eine Abkehr vom in Deutschland herrschenden Trennungsprinzip darstellen können, zugleich aber auch aufzeigen können, wie eine Verfahrenstrennung ohne Entstehung einer sogenannten „injunction gap“ möglich sein kann.

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* This article is current as of the date of its publication and does not necessarily reflect the present state of the law or relevant regulation.

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