Patentrechtlicher Erschöpfungseintritt bei Vereinbarung eines „covenant not to sue“ und einem Inverkehrbringen von Teilkomponenten
Veröffentlicht am 19th Jul 2023
Am 24. Januar 2023 äußerte sich der BGH in seiner Entscheidung CQI-Bericht II (X ZR 123/20) gleich zu zwei sehr praxisrelevanten Themen im Zusammenhang mit der patentrechtlichen Erschöpfung. Erstens zeigt der BGH auf, ob und unter welchen Voraussetzungen eine covenant not to sue- bzw. eine covenant to be sued last-Vereinbarung eine erschöpfungsbewirkende Zustimmung darstellen kann. Zweitens äußert sich der BGH erstmalig explizit dazu, ob es durch das Inverkehrbringen einer Teilkomponente (vorliegend Chipsätze) zur Erschöpfung der Rechte bezüglich einer damit ausgestatteten größeren Vorrichtung (vorliegend Mobilfunkgerät) kommen kann. Letzteres wurde in der Vergangenheit auch als „erweiterte Erschöpfungslehre“ diskutiert. Die Entscheidung ist zu begrüßen, gibt allerdings auch Anlass zu Kritik.
Mit Blick auf den ersten Teilaspekt dürfte die Entscheidung erheblichen Einfluss auf die Vertragsgestaltung haben, da der BGH urteilt, dass die Vereinbarung eines covenant not to sue in der Regel einen Erschöpfungseintritt zur Folge habe. Lediglich im Einzelfall unter Vornahme einer Vertragsauslegung könne dies anders sein. Dadurch erfolgt eine Annäherung an die internationale Vertragspraxis, insbesondere an das US-amerikanische Verständnis zur Reichweite eines covenant not to sue. Hier gibt es keinen wesentlichen Unterschied im Vergleich zu der Einräumung eines positiven Nutzungsrechts (z.B. durch eine Lizenz).
Mit der grundsätzlichen Gestattung einer „erweiterten Erschöpfung“ ist die Entscheidung des BGH zwar mit Vorsicht zu genießen, da dadurch streng genommen die Anspruchs- und Objektbezogenheit der patentrechtlichen Erschöpfung „aufgeweicht“ wird. Im Ausgangspunkt ist sie dennoch zu begrüßen, da die Erschöpfung streng an der erfinderischen Leistung, dem „technischen Clou der Erfindung“, gemessen werden soll. Für den BGH ist zur Bejahung einer erschöpfungsbewirkenden Zustimmung durch den Patentinhaber entscheidend, ob (i) die technischen Wirkungen des Patents im Wesentlichen durch die Teilkomponente herbeigeführt, d.h. die anhand des maßgeblichen Patentanspruchs definierten Eigenschaften und Funktionen durch die Teilkomponenten verwirklicht werden und (ii) allen weiteren Bestandteilen der Gesamtvorrichtung demgegenüber keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Wenn Gerichte in Zukunft diesen Weg gehen, dürfte auch weiterhin das Interesse der Allgemeinheit am freien Verkehr der patentierten Gesamtvorrichtung in einem angemessenen Verhältnis zum Belohnungsinteresse des Patentinhabers aufgrund seiner erfinderischen Leistung stehen, solange die technischen Vorteile der patentierten Erfindung sauber herausgearbeitet werden.
Für weitere Details zum Inhalt und den Folgen der BGH-Entscheidung CQI-Bericht II verweisen wir auf die ausführliche Urteilsbesprechung unserer Experten im Patentrecht Dr. Stephan Reisner und Dr. Johannes Graf Ballestrem, LL.M. in der neuen Juli/August-Ausgabe der Mitteilungen der deutschen Patentanwälte (Reisner/Graf Ballestrem, Erschöpfungseintritt bei Vereinbarung eines „covenant not to sue“ und einem Inverkehrbringen von Teilkomponenten – zugleich Besprechung von BGH „CQI-Bericht II“, Mitt. 2023, 301 ff.).