OLG Köln: Zugang zum Fahrzeugdatenstrom muss uneingeschränkt gewährt werden
Veröffentlicht am 23rd April 2025
Das Urteil des OLG Köln stärkt die Rechte unabhängiger Reparaturwerkstätten und stellt klar, dass Fahrzeughersteller uneingeschränkten Zugang zu Fahrzeugdaten gewähren müssen, ohne zusätzliche Bedingungen wie Registrierung oder Internetverbindung.

Fahrzeughersteller müssen unabhängigen Reparaturwerkstätten uneingeschränkten Zugang zum Fahrzeugdatenstrom gewähren, ohne dass dieser an eine vorherige Registrierung oder eine Internetverbindung mit einem Server des Herstellers geknüpft werden darf. Dies gilt auch für ältere Fahrzeuge, die vor Geltung der Verordnung (EU) 2018/858 nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 typgenehmigt wurden. So hat das OLG Köln kürzlich entschieden. ASR stellt das Urteil vor und erläutert, was es für die Kfz-Branche bedeutet.
Zugang zu Fahrzeugdaten ist unabdingbar für die Reparatur
A.T.U Auto-Teile-Unger GmbH & Co. KG und Carglass GmbH (die Klägerinnen) betreiben unabhängige Reparaturwerkstätten in Deutschland. A.T.U bietet Reparatur- und Wartungsleistungen für Kraftfahrzeuge aller gängigen Marken an, während Carglass auf die Reparatur und den Austausch von Fahrzeugscheiben spezialisiert ist. Beide benötigen für ihre Dienstleistungen Zugang zum Fahrzeugdatenstrom, der über die sog. OBD-Schnittstelle („On-Board-Diagnose“-Schnittstelle) bereitgestellt wird. Dieser Zugriff ist unabdingbar für die Diagnose, Reparatur und Wartung der Fahrzeuge.
Stellantis Europe S.p.A. (Beklagte) stellte den Zugang zu diesen Informationen jedoch nur unter bestimmten Bedingungen zur Verfügung: Mitarbeiter der Reparaturbetriebe mussten sich zunächst auf einem Online-Portal registrieren und dabei persönliche Daten angeben. Zudem war eine Internetverbindung mit einem Server von Stellantis erforderlich, um die Diagnose durchführen zu können. Die beiden Reparaturunternehmen sahen darin einen Verstoß gegen die Verordnung (EU) 2018/858 und verlangten Unterlassung.
OLG Köln weist die Berufung von Stellantis zurück
Das OLG Köln bestätigte die Entscheidung des LG Köln und wies die Berufung des Automobilherstellers Stellantis zurück (OLG Köln, Urteil vom 17.01.2025, Az. 6 U 58/24, Abruf-Nr. 246090). Der Hersteller habe gegen die Marktverhaltensregelungen der Verordnung (EU) 2018/858 verstoßen, indem er den Zugang zur OBD-Schnittstelle an Bedingungen knüpfte, die in der Verordnung nicht vorgesehen sind. Der EuGH habe klargestellt, dass dieser Zugang ohne zusätzliche Bedingungen gewährt werden müsse.
Bedingungen „Registrierung“ und „Internetverbindung“ sind unzulässig
Das OLG stellte fest, dass die von Stellantis geforderten Bedingungen – nämlich die vorherige Registrierung der Mitarbeiter der Reparaturbetriebe und die Internetverbindung mit einem Server von Stellantis – nicht mit den Vorgaben der Verordnung (EU) 2018/858 vereinbar sind. Die zusätzlichen Bedingungen des Herstellers stellten eine in der Verordnung nicht vorgesehene und damit unzulässige Hürde dar, die den Zugang erschwert und somit den Wettbewerb beeinträchtigt.
EuGH-Urteil lässt keinen Raum für abweichende Interpretation
Der EuGH hatte zuvor auf ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen der Vorinstanz (LG Köln, Beschluss vom 27.04.2022, Az. 84 O 221/20, Abruf-Nr. 246095) klargestellt, dass die Verordnung (EU) 2018/858 keine zusätzlichen Bedingungen für den Zugang zum Fahrzeugdatenstrom vorsieht (EuGH, Urteil vom 05.10.2023, Rs. C‑296/22, Abruf-Nr. 237736). Insbesondere dürfen keine Bedingungen wie eine Verbindung des Diagnosegeräts über das Internet mit einem vom Hersteller bestimmten Server oder eine vorherige Anmeldung der unabhängigen Wirtschaftsakteure bei diesem Hersteller verlangt werden. Diese Auslegung des EuGH ist nach Ansicht des OLG eindeutig und lässt keinen Raum für eine abweichende Interpretation.
Stellantis-Argumente ziehen nicht
Stellantis hatte argumentiert, dass die Cybersicherheitsvorschriften der UNECE-R155 Schutzmaßnahmen vorsehen und somit ihre Vorgehensweise rechtfertigen. Das OLG wies dieses Argument zurück und stellte fest, dass diese Vorschriften nicht dazu führen dürfen, dass die in der Verordnung (EU) 2018/858 festgelegten Rechte der unabhängigen Wirtschaftsakteure eingeschränkt werden. Die UNECE-R155 enthält einen Vorbehalt, der den Primat regionaler oder nationaler Regelungen vorsieht, soweit diese den Zugang zu Fahrzeugdaten sowie die Zugangsbedingungen regeln. Auch die von Stellantis ebenfalls zur Rechtfertigung angeführte ISO/SAE 21434 kann nicht herangezogen werden, da es an einem Rechtsanwendungsbefehl des europäischen Rechts fehlt. Die Norm wird in den maßgeblichen Vorschriften nicht referenziert.
Wichtig | Verweise von Stellantis auf die ISO 18541 griffen ebenfalls nicht. Hier handelt es sich um Vorschriften, die die Bereitstellung von Informationen auf Websites regeln, nicht den Zugriff auf fahrzeuggenerierte Daten. Es könne zwar sein, dass die ISO 18541 auch noch weitere Vorschriften enthalte, die über die Informationsbereitstellung auf Websites hinausgingen. Auf solche verweise die Verordnung aber nicht.
Neue Regelungen gelten auch für ältere Fahrzeugmodelle
Das OLG stellte zudem fest, dass die Verordnung (EU) 2018/858 auch auf Fahrzeuge anwendbar ist, die schon vor ihrer Geltung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 typgenehmigt wurden. Der EuGH hatte bereits in einem früheren Urteil vom 27.10.2022 (Rs. C-390/21, Abruf-Nr. 246784) klargestellt, dass die neuen Regelungen auch für ältere Fahrzeugmodelle gelten. Entsprechend muss Stellantis auch für diese Fahrzeuge (und damit wohl den Großteil des für Werkstätten relevanten Fahrzeugparks) uneingeschränkten Zugang zum Fahrzeugdatenstrom gewähren. Das OLG betonte, dass der Verstoß des Automobilherstellers gegen die Marktverhaltensregelung des Art. 61 Abs. 1 Verordnung (EU) 2018/858 geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Die Einschränkungen des Zugangs zur OBD-Schnittstelle könnten unabhängige Werkstätten abschrecken und somit den Wettbewerb auf dem Markt für Fahrzeugreparatur- und Fahrzeugwartungsdienste beeinträchtigen. Dies könne letztlich zu einem verringerten Angebot für Verbraucher führen.
OLG Köln bezweifelt maßgebliche Änderung der Rechtslage
Stellantis hatte darauf abgestellt, dass sich die Rechtslage durch eine geplante Delegierte Verordnung der Europäischen Kommission bald ändern werde und das Verfahren daher ausgesetzt werden sollte. Es könne sein, dass das Verhalten von Stellantis künftig durch die Verordnung ausdrücklich erlaubt werde. Das OLG sah indes die Pläne der Kommission derzeit „als deutlich zu vage“, um daraus Schlüsse auf die anstehenden Neuregelungen zu ziehen. Es seien verschiedene Möglichkeiten denkbar, wie die Delegierte Verordnung ausgestaltet werde, ohne dass damit notwendig eine Legalisierung des Zugangssystems der Beklagten verbunden wäre. Die von Stellantis beantragte Umstellungsfrist zur Umrüstung der Zugangssysteme lehnte das OLG ab. Sie als Herstellerin habe spätestens seit der Entscheidung des EuGH im Oktober 2023 Anlass gehabt, sich auf ein Verbot ihres Zugangssystems einzurichten. Dass sie dennoch bislang nicht einmal mit Vorbereitungshandlungen begonnen habe, gehe zu ihren Lasten.
Was das Urteil für die Kfz-Branche bedeutet
Die Entscheidung des OLG stärkt die Rechte unabhängiger Reparaturwerkstätten und fördert den Wettbewerb im Markt für Fahrzeugreparatur- und Wartungsdienste. Fahrzeughersteller müssen sicherstellen, dass der Zugang zum Fahrzeugdatenstrom (Lese- und Schreibzugriff) ohne zusätzliche Hürden gewährt wird. Sprich: Weder eine vorherige Registrierung noch eine Internetverbindung mit einem Server des Herstellers dürfen verlangt werden.
Wichtig | Das gilt im Übrigen nach den Erläuterungen des OLG auch dann, wenn der Hersteller diese Einschränkungen nicht selbst vornimmt, sondern die Diagnosegerätehersteller in die Pflicht nimmt, ihrerseits für eine Registrierung der Werkstätten sowie eine Internetverbindung über ihr Gerät zum Server des Fahrzeugherstellers zu sorgen.
PRAXISTIPP | Werkstätten sollten ihre Rechte kennen und ggf. rechtliche Schritte in Erwägung ziehen, wenn ihnen der Zugang zu den notwendigen Informationen verwehrt wird. Hersteller sollten ihre Zugangssysteme überprüfen und anpassen, um rechtlichen Auseinandersetzungen vorzubeugen. |
Das Urteil zeigt auch, dass die EU-Vorschriften zum Zugang zu Fahrzeugdaten strikt ausgelegt werden. Jegliche Bedingungen für diesen Zugang, die in der Verordnung selbst nicht niedergelegt sind, sind nicht erlaubt. Dies trägt zu einem fairen Wettbewerb und einer größeren Auswahl für die Verbraucher bei.
Disclaimer: Die Erstveröffentlichung dieses Artikels erfolgte in der ASR Auto Steuern Recht.