Kartellrecht in Deutschland – einfach erklärt (Teil 2)
Veröffentlicht am 28th Aug 2024
Kartellrecht – was ist das eigentlich? In unserer neuen Artikel-Serie gehen wir dem Thema Kartellrecht in Deutschland auf den Grund. Im ersten Teil haben wir über die Grundlagen des Kartellrechts in Deutschland aufgeklärt. Jetzt geht es um die verschiedenen Phasen eines Kartellverfahrens.
Bei einem Verdacht auf Verstöße gegen das Kartellverbot verfügen das Bundeskartellamt (BKartA) und die Europäische Kommission über umfangreiche Ermittlungsbefugnisse. Wesentliche Eckpfeiler eines Kartellverfahrens umfassen Durchsuchungen, Auskunftsbeschlüsse, Kronzeugenanträge und Vernehmungen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann das Bußgeld erlassen werden.
Durchsuchungen
Durchsuchungen sind die zentrale Ermittlungsmaßnahme in Kartellverfahren. Sofern das BKartA über genügend Anhaltspunkte für Verstöße gegen das Kartellverbot verfügt, wird es in der Regel einen gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss beantragen. Hinweise kommen häufig von (anonymen) Hinweisgebern, Kronzeugenanträgen und zunehmend auch durch datenbasierte Kartell-Screenings, die verdächtige Marktentwicklungen identifizieren.
Das BKartA darf Geschäftsräume, Fahrzeuge und Privatwohnungen von Geschäftsinhabern oder Mitarbeitern durchsuchen. Bei der Durchsuchung können Originaldokumente beschlagnahmt werden, wenn diese nicht freiwillig herausgegeben werden. Angesichts zunehmend papierloser Büros und Remote-Arbeit konzentrieren sich Durchsuchungen auf die Sicherung digitaler Daten von Servern, Cloud-Speichern, Laptops, Smartphones und anderen digitalen Speicherorten. Das BKartA kann die IT-Abteilung des durchsuchten Unternehmens um vollen Zugang zu digitalen Daten, einschließlich Cloud-Speicher, bitten.
Das BKartA verfügt insgesamt über umfangreichere Ermittlungsbefugnisse als die Europäische Kommission. Denn Unternehmen und Einzelpersonen sind verpflichtet, während der Durchsuchung zu kooperieren und Informationen bereitzustellen. Das allgemeine Zeugnisverweigerungsrecht gilt nicht, wenn die Informationen lediglich das Risiko einer Verfolgung in Bußgeldverfahren durch die Wettbewerbsbehörde begründen und das BKartA eine sogenannte Nichtverfolgungszusage erteilt, §§ 82b, 59 Abs. 4 GWB.
Auf welcher Grundlage können Unternehmen oder natürliche Personen die Herausgabe rechtlich geschützter Dokumente wegen des Konzepts des „Legal Privilege“ verweigern?
Bei Durchsuchungen der EU-Kommission (sog. Nachprüfungen) gilt das Konzept des „Legal Privilege“, wonach die Korrespondenz zwischen einem Unternehmen und einer/m externen, in der EU zugelassenen Anwältin oder Anwalt (nicht aber mit der internen Rechtsberatung), die den untersuchten Vorwurf zum Gegenstand hat, einem Beschlagnahmeverbot unterliegt. Im deutschen Recht gibt es das Konzept des „Legal Privilege“ in dieser Form (noch) nicht. Nach dem Verteidigerprivileg ist lediglich jene Korrespondenz mit einer externen Rechtsberatung geschützt, die erst nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zwischen dem Unternehmen und der externen Rechtsberatung zu Zwecken der Verteidigung ausgetauscht wurde.
Auskunftsbeschlüsse
Das BKartA und die EU-Kommission können im Rahmen ihrer Ermittlungen auch die schriftliche Beantwortung von Fragen sowie die Herausgabe von Unterlagen verlangen. Dazu versendet das BKartA sogenannte Auskunftsbeschlüsse bzw. die EU-Kommission ein „Request for Information“. Diese Fragebögen können mitunter sehr umfangreich sein und erfordern in der Regel die Zusammenstellung von Informationen durch verschiedene Abteilungen innerhalb eines Konzerns.
Kronzeugenanträge und Immunität
Für Beteiligte an einem Kartell kann es sinnvoll sein, einen Kronzeugenantrag zu stellen. Darin wird die Beteiligung an einem Kartell offengelegt und mit der Verfolgungsbehörde umfassend kooperiert, um das Kartell aufzuklären. Je nach Zeitpunkt und Nutzen des Kooperationsbeitrags kann das BKartA eine drohende Geldbuße erlassen (Immunität) oder erheblich reduzieren. Das Kronzeugenprogramm ist im GWB gesetzlich geregelt. Grundsätzlich gilt, dass ein Kronzeugenantrag frühzeitig gestellt werden sollte, um von einem Bußgelderlass oder einer Reduktion profitieren zu können. Dennoch sollte die Antragstellung sorgfältig abgewogen und mit externen Anwälten beraten werden. Die Anforderungen an einen Kronzeugenantrag sind umfassend und erfordern eine detaillierte Sachverhaltsaufklärung gestützt durch zahlreiche interne Unterlagen. Um für das Unternehmen einen vorderen „Rang“ unter den Kronzeugen zu sichern, besteht die Möglichkeit zunächst einen sogenannten Marker zu setzen und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu erklären. Der Rangplatz bleibt erhalten, wenn der ausgearbeitete Kronzeugenantrag mit entsprechenden Beweismitteln innerhalb einer vom BKartA gesetzten Frist eingereicht wird.
Vernehmungen
Nachdem das BKartA ausreichend Anhaltspunkte für die Beteiligung eines Unternehmens an einem Kartell erlangt hat, wird es involvierte Mitarbeiter und Führungspersonen des Unternehmens in der Regel zu einer Vernehmung als Zeuge laden. Sofern das Unternehmen einen Kronzeugenantrag gestellt hat, umfasst die Kooperationspflicht auch die Bereitstellung von Informationen im Rahmen der Vernehmungen. Nur in begrenzten Ausnahmefällen, wenn den betroffenen Mitarbeitern zusätzlich eine strafrechtliche Verfolgung (z.B. wegen Submissionsbetrugs bei Ausschreibungen) droht, kann die Aussage verweigert werden.
In Teil 3 unserer Serie beleuchten wir weitere Schritte eines Kartellverfahrens: Jetzt weiterlesen!
Alle Informationen gesammelt finden Sie in einem Q&A unserer Kartellrechtsexperten für Legal500. Jetzt weiterlesen (auf Englisch).