Kartellrecht

Quick bites: Vertikal nachgefragt – die neue Vertikal-GVO und die dazugehörigen Vertikal-Leitlinien

Veröffentlicht am 12th Sep 2022

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Teil 1: Die wichtigsten Punkte auf einen Blick

Im Juni 2022 ist die überarbeitete Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen (Vertikal-GVO) in Kraft getreten. Für das Verhältnis zwischen Herstellern, Importeuren, Großhändlern und Einzelhändlern gelten ab sofort neue Rahmenbedingungen, die einige Veränderungen notwendig machen, aber auch neue Spielräume eröffnen. Wir zeigen Ihnen die wichtigsten Punkte auf.
 

Welches Ziel verfolgt die neue Vertikal-GVO?
  • Anpassung der Vertikal-GVO an die Marktentwicklung der letzten Jahre (insbesondere im Hinblick auf digitale Geschäftsmodelle, Dualvertrieb und Online-Plattformen)
Wann ist die Verordnung in Kraft getreten?
  • Inkrafttreten der neuen Vertikal-GVO am1. Juni 2022 mit einer 12-jährigen Laufzeit bis zum 31. Mai 2034
  • Einjährige Übergangsfrist für Vereinbarungen, die vorher bereits abgeschlossen wurden und vor dem 1. Juni 2022 in Kraft getreten sind
  • Alle anderen Vereinbarungen, die erst nach dem 31. Mai 2022 abgeschlossen wurden und in Kraft getreten sind, sind ausschließlich nach der neuen Vertikal-GVO zu bewerten
Wer ist betroffen?
  • Hohe Relevanz für alle Unternehmen, die Waren und/oder Dienstleistungen herstellen, beziehen und (weiter-)verkaufen (darunter Hersteller, Importeure, Großhändler und Einzelhändler aus allen Branchen)
  • Weitreichende Änderungen sind insbesondere für den Online-Vertrieb und Plattformmodelle vorgesehen
Was sind die wesentlichen Änderungen?

Verschärfungen und Klarstellungen?

  • Informationsaustausch in dualen Vertriebssystemen
  • Behandlung von Online-Vermittlungsdiensten (mit Hybridstellung)
  • Bewertung von Paritätsverpflichtungen (plattformübergreifende Einzelhandels-Paritätsverpflichtungen)
  • Resale Price Maintenance (insbesondere „MAP“)
  • Handelsvertretersysteme (duale Rolle von Händlern, Plattformen als Handelsvertreter, Risikotragung und Erstattung)

Erleichterungen?

  • Wettbewerbsverbote
  • Selektivvertrieb (Weitergabe aktiver Weiterverkaufsverbote, Gebietsschutz)
  • Exklusivvertrieb („geteilte“ Exklusivität, Weitergabe aktiver Weiterverkaufsverbote)
  • Online-Vertrieb („Dual Pricing“ und Aufweichung des Äquivalenzgebots)

Teil 2: Fokus auf Dualvertrieb und Informationsaustausch einschließlich Informationsaustausch mit (hybriden) Plattformen

Die neuen Regelungen zum Austausch von Informationen im Dualvertrieb gehören zu den Neuerungen, die für die Praxis erhebliche Auswirkungen mit sich bringen.
 

Was ist eigentlich dualer Vertrieb?
  • Anbieter bietet eine Ware/Dienstleistung sowohl im Eigenvertrieb (z. B. in eigenen Filialen oder Online-Stores) als auch über unabhängige Abnehmer an
  • Anbieter und Abnehmer stehen daher auf der nachgelagerten Ebene im Wettbewerb um (End-)Kunden
  • Duales Verhältnis führt aus kartellrechtlicher Sicht jedoch zu einem Spannungsverhältnis:
    • bei Beschränkungen des Abnehmers durch den Anbieter oder
    • bei dem Austausch von Informationen zwischen dem Anbieter und Abnehmer
Unter welchen Voraussetzungen können Informationen in dualen Vertriebssystemen ausgetauscht werden?
  • Duales Vertriebssystem eines Anbieters auf einer vorgelagerten Stufe (Hersteller, Importeuer oder Großhändler) mit Abnehmern auf einer nachgelagerten Stufe (als Importeuer, Großhändler oder Einzelhändler), die keine Wettbewerber auf der vorgelagerten Stufe sind
  • Informationsaustausch ist grundsätzlich von der Freistellung durch die Vertikal-GVO erfasst, sofern dieser die folgenden Voraussetzungen erfüllt:
    • Informationsaustausch betrifft direkt die Umsetzung der vertikalen Vereinbarung, und
    • ist zur Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs der Vertragswaren oder -dienstleistungen erforderlich.
Gibt es hierfür Beispiele?

Exemplarische Informationen, die nach Ansicht der Europäischen Kommission die Voraussetzungen der Vertikal-GVO regelmäßig erfüllen:

  • Technische Informationen, logistische Informationen, (detaillierte) Kundeninformationen, Informationen zu UVP, Höchstpreisen sowie tatsächlichen Verkaufspreisen des Abnehmers, Informationen zu Werbekampagnen, Marketingaktionen, oder leistungsbezogene Informationen

bzw. nicht erfüllen:

  • Informationen zu zukünftigen Verkaufspreisen, detaillierte, identifizierende Informationen zu Endverbrauchern, Informationen über Eigenmarken des Abnehmers
Welche Besonderheiten gibt es für (hybride) Plattformen?
  • Plattformen, die Online-Vermittlungsdienste erbringen, werden grundsätzlich als Anbieter im Sinne der Vertikal-GVO qualifiziert, d. h. der Informationsaustausch kann freigestellt sein, falls die Voraussetzungen der Vertikal-GVO erfüllt sind
  • Vertikale Vereinbarungen mit Hybridplattformen in Bezug auf die Online-Vermittlungsleistung fallen nicht mehr in den Schutzbereich der Vertikal-GVO
    • Für jede Leistungsbeziehung mit einer Hybridplattform ist gesondert zu prüfen, ob diese von der Vertikal-GVO erfasst ist
    • Der Informationsaustausch mit Hybridplattformen folgt dem Schicksal der Freistellungsfähigkeit der vertikalen Vereinbarung
Welche Konsequenzen ergeben sich?
  • Aus Compliance-Gesichtspunkten bedarf es einer konkreten Risiko-Bewertung sämtlicher Informationsflüsse mit Lieferanten und Abnehmern
  • Keine statische Beurteilung bestimmter Informationen, sondern Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung des jeweiligen Vertriebssystems erforderlich
  • Je nach Fallgestaltung können bestimmte Maßnahmen zur Reduzierung des kartellrechtlichen Risikos ergriffen werden (bspw. „Firewalls“, „Ringfencing“)

Den Artikel können Sie hier als pdf runterladen.

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Unsere Praxishinweise!

Unsere Praxishinweise!

  • Ein strukturierter Review-Prozess bestehender Vertragsbeziehungen und tatsächlicher Informationsflüsse sollte durchgeführt werden
  • Bei Vereinbarungen von und mit Hybridplattformen sollte für jede Leistungsbeziehung gesondert geprüft werden, ob diese von der Vertikal-GVO erfasst ist und welche Auswirkungen dies auf den Informationsaustausch hat
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* Dieser Artikel entspricht dem aktuellen Stand zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung und spiegelt nicht notwendigerweise den aktuellen Stand des Gesetzes / der Regulatorik wider.

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