Life Sciences und Healthcare

Kooperationen als Erfolgsfaktor im Gesundheitssektor – Chancen in der Krise nutzen und kartellrechtliche Risiken vermeiden

Veröffentlicht am 15th Jun 2021

Kooperationen haben für Unternehmen im Gesundheitssektor auf sämtlichen Stufen eines Produktzyklus, von der Forschung und Entwicklung („F&E“) bis hin zum Vertrieb, eine wesentliche Bedeutung. Sie können dazu dienen, Kosten zu reduzieren, Ressourcen zu bündeln und Innovationen voranzutreiben. Die Corona-Pandemie hat den Bedarf und die Notwendigkeit von Kooperationen insbesondere im Gesundheitssektor erheblich ausgeweitet, um die für die Bekämpfung der Pandemie erforderlichen Produkte schnellstmöglich zu entwickeln und zu produzieren sowie den flächendeckenden Vertrieb sicherzustellen und gleichzeitig die Chancen und Risiken in einem ausgewogenen Verhältnis zu halten.

Ähnlich vielfältig wie die potentiellen Möglichkeiten an Kooperationen sind jedoch auch die mit ihnen einhergehenden kartellrechtlichen Fragestellungen, denen in der Praxis häufig nicht die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt wird. Bei Kooperationen sind daher vor allem auch stets die kartellrechtlichen Voraussetzungen im Einzelnen zu prüfen.

Um die Bekämpfung der Corona-Pandemie aufgrund einer zu restriktiven Auslegung der kartellrechtlichen Vorschriften nicht zu gefährden, haben die europäischen Wettbewerbsbehörden vorübergehend einen gelockerten Maßstab bei der Beurteilung von Kooperationen angesetzt. Soweit mit einer fortschreitenden Bekämpfung der Corona-Pandemie die krisenbedingten Einschränkungen und Herausforderungen wieder abnehmen, findet auch der uneingeschränkte kartellrechtliche Prüfungsmaßstab wieder Anwendung. Die Verfolgungsaktivitäten der Wettbewerbsbehörden werden nach der Krise erheblich intensiviert und einige Ermittlungsaktivitäten nachgeholt werden. Insbesondere Kooperationen und andere Verhaltensweisen dürften auf dem Prüfstand stehen. Unternehmen sollten daher ihre eingegangenen Kooperationen dringend erneut auf den Prüfstand stellen und bewerten, ob die Kooperationen weiterhin kartellrechtlich zulässig sind oder ob Maßnahmen zur Abwendung kartellrechtlicher Risiken getroffen werden müssen.

Kartellrechtliche Rahmenbedingungen

Die Regelungen des europäischen und deutschen Kartellrechts betreffen im Wesentlichen drei Bereiche: (i) das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen zwischen Unternehmen („Kartellverbot“), (ii) das Verbot missbräuchlicher Verhaltensweisen durch marktbeherrschende Unternehmen („Missbrauchsverbot“) sowie (iii) die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („Fusionskontrolle“).

Die Grundlage für das Kartellverbot bilden Artikel 101 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union („AEUV“) sowie die gleichlaufende deutsche Norm des § 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“). Die Beurteilung missbräuchlicher Verhaltensweisen richtet sich im Wesentlichen nach den Regelungen des Artikel 102 AUEV sowie §§ 19, 20 GWB.

Das Ziel sämtlicher kartellrechtlicher Regelungen ist der Schutz der Struktur der Märkte und des unverfälschten Wettbewerbs. Insbesondere das Kartellverbot untersagt daher Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Ausnahmen vom Kartellverbot kommen nur in engen Grenzen für bestimmte Gruppen von Vereinbarungen („Gruppenfreistellungsverordnungen“, beispielsweise im Rahmen gemeinsamer F&E oder für vertikale Vereinbarungen) oder im Einzelfall nach Artikel 101 Abs. 3 AUEV bzw. § 2 GWB („Einzelfreistellung“) in Betracht, wenn eine konkrete Verhaltensweise zur Erzielung von Effizienzgewinnen (z.B. Kostenreduzierung, Steigerung der Produktqualität oder –verteilung) unerlässlich ist und diese die negativen Wirkungen der Wettbewerbsbeschränkung aufwiegen.

Praktische Auswirkungen für den Gesundheitssektor

Welche kartellrechtlichen Voraussetzungen müssen im Gesundheitssektor beachtet werden?

Die kartellrechtlichen Vorschriften benötigen in vielen Bereichen im Gesundheitssektor besondere Beachtung. Neben der Missbrauchskontrolle, in deren Fokus in den letzten Monaten und Jahren im Wesentlichen sog. Pay-for-Delay-Vereinbarungen und missbräuchliches Preissetzungsverhalten standen, sowie der Fusionskontrolle, bei der ein besonderes Augenmerk auf Beschränkungen des Innovationswettbewerbs gelegt wird (und sich Wettbewerbsbehörden weltweit zukünftig noch enger bei der Beurteilung von Transaktionen im Pharmasektor im Rahmen der jüngst gegründeten internationalen Task Force abstimmen wollen), können darüber hinaus insbesondere im Rahmen von Kooperationen komplexe kartellrechtliche Fragestellungen entstehen.

F&E-, Produktions- und Vertriebskooperationen können regelmäßig zu Beschränkungen des Wettbewerbs zwischen den Kooperationspartnern und zu einer Koordinierung des wettbewerblichen Verhaltens in Bezug auf Verkaufspreise, Produktionsmengen, Vertriebsgebiete oder Kunden führen. Auf der anderen Seite können Kooperationen im Gesundheitssektor die Risiken der kosten- und ressourcenintensive Entwicklung neuer Arzneimittel oder medizinischer Produkte für einzelne Unternehmen minimieren und somit Innovationen fördern.

Welche Anforderungen stellt das Kartellrecht an Kooperationen?

Kooperationen zwischen Unternehmen und insbesondere zwischen Wettbewerbern sind auch im Gesundheitssektor nur in den engen, durch das Kartellrecht gesetzten Grenzen zulässig. Mit jeder Zusammenarbeit geht daher grundsätzlich das Risiko einher, gegen bußgeldbewehrte, kartellrechtliche Vorschriften zu verstoßen

F&E-Kooperationen

Die Zusammenarbeit bei der Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel und anderer medizinischer Produkte ist nicht nur besonders attraktiv, sondern kann regelmäßig zu einer Beschränkung des Wettbewerbs führen. F&E-Kooperationen dürfen daher nicht den Zweck verfolgen, lediglich als Mittel zur Verdeckung und Durchsetzung kartellrechtlich unzulässiger Verhaltensweisen wie der Festsetzung von Preisen, der Beschränkung von Produktionskapazitäten oder der Aufteilung von Kunden oder Märkten eingesetzt zu werden.

Selbst wenn eine F&E-Kooperationen einen legitimen Zweck verfolgt, kann sie im Einzelfall dennoch dazu geeignet sein, jedenfalls wettbewerbsbeschränkende Wirkungen zu entfalten. Derartige Wettbewerbsbeschränkungen können ausnahmsweise im Rahmen der F&E-Gruppenfreistellungsverordnung („F&E-GVO“) vom Kartellverbot freigestellt werden, falls sie die Voraussetzungen der F&E-GVO erfüllen. Eine Freistellung für Kooperationen zwischen Wettbewerbern kommt nach der F&E-GVO regelmäßig jedoch nur in Betracht, soweit der gemeinsame Marktanteil der Kooperationspartner die Schwelle von 25 % nicht überschreitet. Darüber hinaus muss den Kooperationspartnern der uneingeschränkte Zugang zu den Endergebnissen der gemeinsamen F&E für die Zwecke weiterer Forschung sowie grundsätzlich auch für die Verwertung der Ergebnisse möglich sein. Soweit die Kooperationspartner keine besonderen Regelungen zu einer gemeinsamen Verwertung der Produkte getroffen haben, dürfen sie zudem keine Restriktionen bei der Produktion oder dem Absatz der Produkte vereinbaren.

Erfüllt die Kooperation eine dieser Voraussetzungen nicht, bedarf es einer detaillierten Analyse, ob die Kooperation die engen Voraussetzungen der Einzelfreistellung nach Artikel 101 Abs. 3 AUEV erfüllt.

Produktionskooperationen

Das wettbewerbsbeschränkende Potential von Produktionskooperationen äußert sich regelmäßig vor allem in einer unmittelbaren Beschränkung des Wettbewerbs zwischen den Kooperationspartner oder einer Koordinierung ihres wettbewerblichen Verhaltens im Hinblick auf Preise, Produktionsmengen oder die Produktqualität. Produktionsvereinbarungen dürfen daher grundsätzlich keine derartigen Absprachen enthalten. Falls eine Vereinbarung keine derartige bezweckte Wettbewerbsbeschränkung enthält, kann die Zusammenarbeit bei der Produktion eines Arzneimittels oder eines anderen medizinischen Produktes zwischen Wettbewerbern nur bis zu einem gemeinsamen Marktanteil von 20 % im Rahmen der Spezialisierungs-GVO oder der Technologietransfer-GVO (bzw. im letzteren Fall auch, wenn die individuellen Marktanteile nicht konkurrierender Kooperationspartner jeweils die Schwelle von 30 % nicht überschreiten) freigestellt werden. Darüber hinaus bedarf es einer detaillierten Bewertung, ob ausnahmsweise eine Einzelfreistellung in Betracht kommt.

Vertriebs- und Vermarktungskooperationen

Vertriebsvereinbarungen zwischen Unternehmen auf unterschiedlichen Ebenen der Lieferkette begegnen regelmäßig weniger Bedenken, soweit die individuellen Marktanteile der Vertriebspartner jeweils weniger als 30 % betragen. Dennoch sind bestimme Verhaltensweisen unzulässig (wie beispielsweise die Festsetzung von Fest- oder Mindestverkaufspreisen oder die Beschränkung des passiven Vertriebs) oder jedenfalls an strenge Voraussetzungen geknüpft (wie Exklusivitätsvereinbarungen und Wettbewerbsverbote).

Vertriebs- und Vermarktungskooperationen zwischen Wettbewerbern sind demgegenüber nur in sehr engen Grenzen möglich, da ihnen regelmäßig die Gefahr von Preisfestsetzungen, Beschränkungen von Produktionsmengen oder der Aufteilung von Kunden und Märkten innewohnt. Soweit eine Vertriebskooperation nicht bereits einen solchen wettbewerbsbeschränkenden Zweck verfolgt, können sie ausnahmsweise zulässig sein, wenn der gemeinsame Marktanteil der Kooperationspartner weniger als 15 % beträgt und die wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen nicht spürbar sind.

Aktuell (noch) bestehende Erleichterungen für Kooperationen

Die kartellrechtlichen Voraussetzungen sind auch während der Corona-Pandemie grundsätzlich anwendbar und die durch sie aufgestellten Restriktionen dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Ungeachtet dessen haben die Europäische Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden frühzeitig erkannt, dass die starre Anwendung der kartellrechtlichen Vorschriften bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie die Unternehmen vor schwerwiegende Herausforderungen stellt.

Die Europäische Kommission hat dabei insbesondere auch erkannt, dass die Zusammenarbeit im Gesundheitssektor weitreichende Lockerungen benötigt, um kritische Versorgungsengpässe überwinden zu können. Daher konnten und können bislang selbst weitgehende Kooperationen, die unter normalen Umständen vielfältige kartellrechtliche Problemstellungen aufgeworfen hätten, wie beispielsweise der Austausch sensibler Geschäftsinformationen sowie eine gewisse Koordinierung hinsichtlich der Produktion von Arzneimitteln, im Einzelfall zulässig sein. Die betreffenden Kooperationen müssen dabei die folgenden kumulativen Voraussetzungen erfüllen, damit sie von einer vorübergehenden Privilegierung profitieren können:

  • sie müssen objektiv erforderlich und geeignet sein, um zu einer tatsächlichen Produktionssteigerung beizutragen, damit ein Mangel an unentbehrlichen Produkten oder Dienstleistungen behoben oder vermieden werden kann;
  • sie müssen zeitlich befristet sein (d.h. nur so lange die Gefahr eines Versorgungsengpasses besteht, oder in jedem Fall bis zum Ende des COVID-19-Ausbruchs); und
  • sie dürfen nicht über das absolut notwendige Maß zur Erreichung des Ziels der Behebung oder Vermeidung von Versorgungsengpässen hinausgehen.

Kein (dauerhafter) Freifahrtschein

Die Erleichterungen der Europäischen Kommission und der nationalen Wettbewerbsbehörden haben vor allem den Unternehmen im Gesundheitssektor, deren aktueller Fokus auf der Bekämpfung der Corona-Pandemie liegt, vorübergehend mehr Rechtssicherheit und Komfort bei Kooperationen und gemeinsamen Projekten gegeben. Aufgrund der fortschreitenden Bekämpfung der Corona-Pandemie und der sich normalisierenden Verhältnisse gilt es nunmehr jedoch, den Blick wieder zu weiten und auf die Zeit nach Überstehen der Corona-Pandemie zu richten. Vor diesem Hintergrund drängen sich Fragen auf, ob und inwieweit die derzeitigen Lockerungen auch in Zukunft von den Wettbewerbsbehörden fortgeführt werden könnten.

Ungeachtet der derzeitigen Erleichterungen haben die Europäische Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden jedoch wiederholt klargestellt, dass die Kooperationen auf die aktuelle Krise beschränkt sein müssen. Darüber hinaus haben die Behörden angekündigt, dass sie auch die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie eingegangenen Kooperationen und vereinbarten Verhaltensweisen sowie die aus ihnen resultierenden Marktentwicklungen eingehend beobachten und untersuchen werden. Denn die gelockerten Voraussetzungen sind nur solange erfüllt, wie die Kooperationen erforderlich sind, um die Corona-Pandemie zu bekämpfen. Die derzeitigen Erleichterungen von Kooperationen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sollten daher keinesfalls als dauerhafte Privilegierung verstanden werden. Die Wettbewerbsbehörden haben zudem bereits zu Beginn klargemacht, dass sie keine unzulässigen Absprachen unter dem Deckmantel der Corona-Pandemie zulassen werden und solche Verhaltensweisen weiterhin rigoros verfolgen. Es ist daher zu erwarten, dass die Wettbewerbsbehörden auch die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie eingegangenen Kooperationen zunehmend vertieft untersuchen werden, ob die durch das Kartellrecht aufgestellten Voraussetzungen weiterhin erfüllt sind.

Vor diesem Hintergrund sollten sämtliche Kooperationen, die während der Corona-Pandemie eingegangen wurden erneut auf ihre kartellrechtliche Rechtfertigung hin überprüft werden. Dies gilt selbstverständlich für Kooperationen, deren Notwendigkeit auch unabhängig von der Corona-Pandemie bereits fraglich ist. Darüber hinaus sollten jedoch auch die derzeit noch privilegierten Kooperationen neu bewertet werden, ob auch nach Überstehen der Corona-Pandemie weiterhin eine Rechtfertigung greifen kann oder ob gegebenenfalls weitere Vorkehrungen getroffen werden müssen, um die Kooperationen in Einklang mit den kartellrechtlichen Vorschriften zu bringen.

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* Dieser Artikel entspricht dem aktuellen Stand zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung und spiegelt nicht notwendigerweise den aktuellen Stand des Gesetzes / der Regulatorik wider.

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