BGH zur Vorsatzanfechtung: Weht der Wind in eine neue Richtung?
Veröffentlicht am 9th Jul 2021
BGH, Urt. v. 6. Mai 2021 – IX ZR 72/20
Mit seinem Urteil vom 6. Mai 2021 (IX ZR 72/20) schlägt der für das Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs eine neue Richtung im Rahmen der Vorsatzanfechtung gem. § 133 InsO ein.
Zentrale Punkte der Entscheidung sind die (teilweise) Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung zu § 133 InsO und eine Verschärfung der Anforderungen an den Nachweis der Gläubigerbenachteiligungsabsicht.
Entscheidung
Im Fall des Bundesgerichtshofs verlangte der Insolvenzverwalter eines Unternehmens von der Bundesrepublik die Rückzahlung eines Ordnungsgeldes, das wegen der Nichtveröffentlichung eines Jahresabschlusses verhängt worden war. Nach eingehender telefonischer Erörterung der wirtschaftlichen Lage der Schuldnerin, akzeptierte die Behörde eine Ratenzahlung. Dieser kam die Schuldnerin nach und zahlte fast den gesamten Betrag zurück. Die Klage des Insolvenzverwalters hatte sowohl vor dem Amts- als auch Landgericht keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Landgerichts auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück.
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs könne an der bisherigen Rechtsprechung, wonach allein anhand der vom Anfechtungsgegner erkannten Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, in der Regel auch auf die Kenntnis der Gläubigerbenachteiligungsabsicht geschlossen werden könne, nicht festgehalten werden. Entsprechendes gelte für den Nachweis der Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners.
Neue Voraussetzung sei es, dass der Schuldner zum Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine (übrigen) Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr vollständig befriedigen zu können.
Begründet wird die Änderung u.a. mit gesetzessystematischen Bedenken, da die bisherige Rechtsprechung faktisch zu einer Verlängerung der Deckungsanfechtung gem. § 130 InsO über den Anfechtungszeitraum des § 133 InsO geführt habe, ohne dies an weitere – über die erkannte Zahlungsunfähigkeit hinausgehende – Voraussetzungen zu knüpfen.
Auch im Hinblick auf die Vermutungswirkung des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO sieht der Bundesgerichtshof Bedarf an einer Neuausrichtung.
Bislang war für die Beurteilung der Gläubigerbenachteiligungsabsicht allein die Liquiditätslage des Schuldners Bezugspunkt. Dies sei nach neuer Auffassung keine hinreichend sichere Beurteilungsgrundlage, da es eine nicht zu vernachlässigende Anzahl an Fallgestaltungen gebe, in denen die Krise noch nicht so weit fortgeschritten sei oder aus anderen Gründen berechtigte Hoffnung auf Besserung bestünden. Eine Momentaufnahme der Liquiditätslage des Schuldners genüge daher für eine sichere Überzeugung des Tatrichters nicht.
Schließlich hält der Bundesgerichtshof auch daran nicht fest, allein anhand der erkannten drohenden Zahlungsunfähigkeit auf die subjektiven Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO zu schließen.
Zur Begründung zieht der Bundesgerichtshof die gesetzgeberische Wertung heran, dass die Insolvenzordnung klar zwischen den einzelnen Eröffnungsgründen differenziere und die drohende Zahlungsunfähigkeit lediglich für den Schuldner einen Eröffnungsgrund darstelle. Ein Insolvenzverfahren gegen seinen Willen könne im Falle der nur drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht eröffnet werden. Es liefe dieser Wertung zuwider, wenn jedoch bei der Vorsatzanfechtung die drohende Zahlungsunfähigkeit mit der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit gleichgestellt werde. Dadurch verwehre man es dem Schuldner, sich aus dem Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit wieder zu befreien. Denn müssten die Gläubiger des nur drohend zahlungsunfähigen Schuldners die Vorsatzanfechtung fürchten, könnten sie geneigt sein, von Geschäftsbeziehungen mit ihm abzusehen oder bestehende Beziehungen zu beenden.
Folgen und Ausblick
Die vom Bundesgerichtshof gewählten Formulierungen in den Urteilsgründen lassen auf ein Grundsatzurteil und eine echte Neuausrichtung schließen. In jedem Fall stärkt das Urteil die Position der Gläubiger, die sich einer Vorsatzanfechtung ausgesetzt sehen. Für den Insolvenzverwalter werden die Anforderungen an den Nachweis der Gläubigerbenachteiligungsabsicht erhöht.
Aus Sicht des (sanierungswilligen) Schuldners und Sanierungsberaters ist die Entscheidung zu begrüßen, denn sie stärkt die Verhandlungsposition eines lediglich drohend zahlungsunfähigen Schuldners gegenüber seinen Geschäftspartnern.