Zwangslizenzen in der EU nur als „Ultima Ratio“
Veröffentlicht am 18th Jul 2024
Ausschuss der Ständigen Vertreter einigt sich auf Kompromisstext zum Vorschlag für eine Verordnung zu Unionszwangslizenzen für das Krisenmanagement.
Der Umgang mit dem Thema Zwangslizenzen stellt eine besondere Herausforderung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums dar, nicht zuletzt weil diese die mitunter beträchtlichen Investitionen in die Entwicklung von neuer Technologie zumindest teilweise entwerten könnte. Nichtdestotrotz ist es grundsätzlich nachvollziehbar, dass es in Krisensituationen erforderlich sein kann, Zwangslizenzen zu nutzen. Der kürzlich veröffentlichte Kompromisstext zum Verordnungsentwurf enthält diverse Änderungen zum ursprünglichen Entwurf, insbesondere wird deutlich gemacht, dass die Zwangslizenz nur als letztes Mittel erteilt werden darf, die kontroverse starre Vergütungsdeckelung wurde gestrichen und der Bereich von Geschäftsgeheimnissen wurde ausdrücklich von der Zwangslizenz ausgenommen.
Mit dem Vorschlag der EU Kommission vom 27. April 2023 (COM(2023) 224 final) wurde zuletzt versucht eine europäische Grundlage für die Erteilungen von Zwangslizenzen zu schaffen, die neben den national unterschiedlichen Regelungen einen einheitlichen Rahmen für die Erteilung von Zwangslizenzen auf EU-Ebene zu schaffen. Der Entwurf wurde heiß diskutiert und kritisiert.
Nun wurde mit dem Kompromisstext vom 26. Juni 2024 ein weiteres Kapitel in der Diskussion des Verordnungsentwurfs aufgeschlagen, welcher zumindest an einigen Stellen die geäußerten Kritikpunkte berücksichtigt und Änderungen an der Verordnung vorsieht. Kurz zusammengefasst, sind folgende Punkte im Kompromisstext aufgefallen:
- Stärkere Betonung der Zwangslizenz als ultima ratio: Es wurde an mehreren Stellen deutlich gemacht, dass die Zwangslizenz nur als „letztes Mittel“ zur Bewältigung der Krise genutzt werden kann. Andere Bewältigungsmechanismen, insbesondere freiwilligen Lizenzvereinbarungen, würden insofern Vorrang genießen. Mit Änderungsanträgen 001-098 des Rechtsausschusses vom 8. März 2024 wurde im Hinblick auf die Verhandlung ein fixer Verhandlungszeitraum von vier Wochen vorgesehen, der vor der Erteilung der Zwangslizenz hätte erfolglos ablaufen müssen.
- Gegenstand der Zwangslizenz erweitert (Art. 2 Nr. 1): Zwangslizenzen können nunmehr an Patenten, veröffentlichten Patentanmeldungen, Gebrauchsmustern und veröffentlichten Gebrauchsmusteranmeldungen, sowie auch an ergänzenden Schutzzertifikaten erteilt werden. Neu hinzugekommen ist die Möglichkeit der Erteilung einer Zwangslizenz an veröffentlichten Gebrauchsmusteranmeldungen. Die Erweiterung auf in Anmeldung befindliche Rechte klingt auf den ersten Blick konsequent. Es bleibt aber nach wie vor komplett offen, wie man mit veränderten Patentansprüchen im Rahmen des Anmeldeverfahrens umgeht. Durch solche Änderungen könnte die Notwendigkeit einer Zwangslizenz entfallen, es bleibt aber komplett offen, wie man mit so einem Fall umgeht.
- Die Zwangslizenz muss nach dem Kompromisstext nun die betroffenen Rechte konkret benennen (Art. 8 Nr. 1 (a)). Die Möglichkeit über die Benennung des Freinamens/Produktnamens, falls eine Identifizierung der betroffenen Rechte nur mit signifikanter Verzögerung möglich ist, wurde gestrichen. Im Hinblick auf die Beteiligung der Rechteinhaber am Erteilungsprozess und der Rechtssicherheit ist dies zu begrüßen.
- Ausdrücklicher Ausschluss von Geschäftsgeheimnissen/Trade Secrets (Artikel 2 Nr. 3): Auf Basis der Verordnung können Rechteinhaber nicht gezwungen werden Geschäftsgeheimnisse zu offenbaren. Dies ist aus Unternehmenssicht positiv zu bewerten, da mitunter die Gefahr besteht, dass Geschäftsgeheimnisse nach einer etwaigen Offenbarung gegenüber dem Lizenznehmer im Wege der Zwangslizenz den Zwangslizenznehmern einen Wettbewerbsvorteil verschaffen können, der auch nach Ablauf der Zwangslizenz verbleibt, ohne dass dies effektiv verhindert oder kontrolliert werden könnte. Im Hinblick auf die Zielerreichung der Zwangslizenz bleibt das aber eine äußerst kritische Frage, denn im Bereich komplexer Produkte und Fertigungstechnologien wird sich praktisch schon die Frage stellen, ob die Lizenz alleine (ohne weitere Unterstützung durch den Rechteinhaber) ausreicht, um die jeweils benötigten Produkte kurzfristig erfolgreich zu fertigen. Die Änderungsanträge des Rechtsausschusses vom 8. März 2024 sahen hierzu noch ausdrücklich vor, dass auch Geschäftsgeheimnisse, sofern unbedingt zur Erreichung der Ziele der Zwangslizenz, gegenüber dem Lizenznehmer offenbart werden müssten.
- Streichung der Deckelung der Vergütung auf 4% (Art. 9 Nr. 2 und 3): Die vielfach kritisierte Deckelung der Vergütung auf maximal 4% der Bruttoumsätze wurde gestrichen. Eine angemessene Vergütung soll nun unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls bestimmt werden. Dies ist zu begrüßen, da die starre Obergrenzen den Umständen des Einzelfalls nicht gerecht werden kann. Auch aus der Lizenzierungspraxis sind durchaus, je nach Produkt und Markt, höhere Lizenzsätze maßgeblich.
- Die Rechteinhaber werden stärker in den Prozess der Erteilung der Zwangslizenz involviert (Art. 4 (d), Artikel 6 (d), Artikel 7 Nr. 2, 7, 8 und 10, Artikel 14 Nr. 1a, 3a): Eine starke Beteiligung bzw. Beteiligungsmöglichkeit für Rechteinhaber ist sinnvoll und wichtig, damit die tatsächlichen Interessen der Rechteinhaber berücksichtigt werden können.
- Die bisherigen allgemeine Kooperationspflicht zwischen Rechteinhaber und Lizenznehmer in Art. 13 Nr. 1, sowie auch die Verpflichtung an beide, sich auf „best efforts“-Basis um die Erreichung der Ziele der Zwangslizenz zu bemühen (Art. 13 Nr. 2), wurde nun mehr zu einer Pflicht, die Erreichung der Ziele der Zwangslizenz nicht zu unterlaufen oder zu beeinträchtigen konkretisiert: Auch die Möglichkeit der Kommission, zusätzliche Maßnahmen zur Ergänzung der Zwangslizenz zu ergreifen, um dafür zu sorgen, dass die Ziele der Zwangslizenz erreicht werden, wurde gestrichen. Über die konkrete Bedeutung und Relevanz der verbliebenen Regelung wird man noch diskutieren müssen. Es erscheint weiterhin möglich, dass dem Rechteinhaber über die bloße Duldung der Zwangslizenz hinaus weitere Beschränkungen oder Belastungen auferlegt werden könnten.
- Geldbußen (Art. 15) und Zwangsgelder (Art. 16) sind nunmehr nur noch für die Lizenznehmer, aber nicht mehr für die Rechteinhaber vorgesehen. Die maximale Höhe der Geldbußen und Zwangsgelder wurde verändert. Für Geldbußen soll an Stelle von maximal 6% des Gesamtumsatzes des Vorjahres eine Obergrenze von EUR 300.000,00 gelten. Für Zwangsgelder wurde die Grenze von 5% des Tagesumsatzes pro Geschäftstag auf 1,5% des Tagesumsatzes pro Tag reduziert. Für SMEs sollen jeweils niedrigere Höchstgrenzen gelten.
- Weiterhin nicht enthalten ist eine klare Regelung zum Rechtsschutz gegen Zwangslizenzerteilungen. Ausdrücklich in der Verordnung geregelt ist nur der Rechtsschutz gegen Geldbußen und Zwangsgelder (Art. 21).
Es ist derzeit nicht zu erwarten, dass die Erteilung von Zwangslizenzen auch unter Geltung der geplanten EU-Regelung zu Zwangslizenzen zum Regelfall wird. Die Entwicklung des weiteren Gesetzgebungsvorhabens ist sicherlich noch abzuwarten; der Kompromisstext deutet jedoch daraufhin, dass die Interessen der Rechteinhaber nun mehr als bislang Berücksichtigung finden. Dennoch ergibt sich natürlich weiterhin, auch auf Basis des Kompromisstexts, eine neue Kompetenz zur Erteilung von Zwangslizenzen für die Kommission , wobei die praktische Handhabung der neuen Möglichkeiten durch die naturgemäß auch politisch beeinflussten Kommission abzuwarten ist.