Welche Auswirkungen hat das Coronavirus auf Zivilprozesse?
Veröffentlicht am 23rd Mar 2020
Das Coronavirus / COVID 19 bringt derzeit nicht nur das öffentliche Leben nahezu zum Stillstand, sondern hat auch erhebliche Auswirkungen auf Wirtschaft und Justiz. Während viele Unternehmen ihre Mitarbeiter ins Home Office schicken oder den Betrieb vorübergehend ganz einstellen, arbeitet die Justiz (noch) weiter – allerdings auf Sparflamme:
Gerichtsbetrieb
Am 17. März 2020 hat das nordrhein-westfälische Justizministerium per Erlass entschieden, dass Sitzungen nur durchgeführt werden sollen, wenn sie keinen Aufschub dulden.
Das Landesjustizministerium empfiehlt eine großzügige Ausschöpfung der prozessualen Möglichkeiten, letztlich entscheiden die Gerichte jedoch in richterlicher Unabhängigkeit über die Aufhebung von Verhandlungsterminen sowie die Aussetzung oder Unterbrechung von laufenden Verfahren nach den konkreten Umständen des Einzelfalls.
Ebenso soll zwar der Zugang zu den öffentlichen Sitzungen mit Blick auf den Öffentlichkeitsgrundsatz nicht beschränkt werden, Menschen mit Krankheitssymptomen, Kontakt zu Kranken oder Risikogebieten wird aber der Zutritt verwehrt.
Im Übrigen soll der Dienstbetrieb in allen Gerichten und Staatsanwaltschaften auf das zwingend erforderliche Maß beschränkt werden.
Was bedeutet COVID 19 für die Einhaltung von Fristen?
Eine Auswirkung auf den Ablauf von Fristen wäre allenfalls bei einem Stillstand der Rechtspflege im Sinne von § 245 ZPO denkbar. Zwar kann eine Epidemie ein "sonstiges Ereignis" im Sinne des § 245 ZPO sein, die Vorschrift soll aber nur Fälle regeln, in denen der Justizbetrieb auf unvorhersehbare Zeit vollständig zum Erliegen kommt, etwa wenn ein Verdachtsfall innerhalb eines Gerichts vorliegt und daher alle Mitarbeiter auf Empfehlung oder Anordnung zu Hause bleiben.
Auch der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach spricht davon, „dass die Funktionsfähigkeit der Gerichte und Staatsanwaltschaften trotz der Einschränkungen durch das Virus aufrechterhalten bleibt“.
Welche Handlungsoptionen haben wir als Anwälte?
Ohne einen Stillstand der Rechtspflege laufen alle Fristen zunächst normal weiter. Dies betrifft sowohl die einfachen Fristen, die man gem. §§ 224 Abs. 2, 225 ZPO verlängern kann, als auch Notfristen, für die kein Antrag auf Fristverlängerung in Betracht kommt.
Darüber hinaus laufen auch die materiell-rechtlichen Fristen weiter, sodass Ansprüche rechtzeitig gerichtlich geltend zu machen sind, um ihre Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu hemmen.
- Antrag auf Fristverlängerung
Ein Antrag auf Fristverlängerung setzt gem. §§ 224 Abs. 2, 225 ZPO die Glaubhaftmachung „erheblicher Gründe“ voraus, an die grundsätzlich keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Unproblematisch wird hier die Erkrankung der Parteien oder ihrer Bevollmächtigten sein. Aber auch schon allein aufgrund der einhelligen Empfehlung, soziale Kontakte weitestgehend zu vermeiden, kann es zu personellen Engpässen kommen und die Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant beeinträchtigt sein.
- Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Notfristen können auch in Zeiten der Coronakrise nicht verlängert werden. Nachdem eine Notfrist abgelaufen ist, kommt einzig eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 233 ZPO in Betracht, wobei die Partei kein Verschulden für die Fristversäumung treffen darf.
Fehlendes Verschulden kann in Fällen plötzlicher extremer Arbeitsüberlastung oder Erkrankung vorliegen. Die Verhinderung von einzelnen Rechtsanwälten führt zwar grundsätzlich dazu, dass Kollegen und Mitarbeiter auf die Fristwahrung zu achten haben, aber die angeordneten Handlungseinschränkungen in der Coronakrise betreffen jeden Einzelnen, sodass das Auffangen von Arbeit durch Kollegen nicht möglich ist. Die Gerichte sind angehalten, entsprechende Anträge großzügig zu behandeln.
- Terminvertagung
Anstehende Gerichtstermine können auf Antrag gem. § 227 ZPO vertagt werden. Auf Verlangen des Vorsitzenden müssen „erhebliche Gründe“, die mit der erhöhten Gesundheitsgefahr durch das Ansteckungsrisiko mit dem Coronavirus vorliegen, glaubhaft gemacht werden. Die Appelle von Behörden und Regierung, soziale Kontakte und Menschenansammlungen zu vermeiden, wiegen bei Präsenzterminen noch schwerer, da durch die Öffentlichkeit der Verhandlungen und die Anreise zum Gericht, eine Vielzahl von Sozialkontakten vorprogrammiert ist.
- Schriftliches Verfahren und digitale Verhandlung
In Betracht kommt weiter die Anordnung des schriftlichen Verfahrens gem. § 128 Abs. 2 ZPO oder die mündliche Verhandlung per Videokonferenz gem. § 128a ZPO. Praktikabel dürfte nur die Entscheidung für das schriftliche Verfahren sein, da nur die wenigsten Gerichtssäle mit dem nötigen technischen Equipment für eine digitale Verhandlung ausgestattet sind.
- Weitere Maßnahmen
Um die Ansteckungsgefahr bei erforderlichen Präsenzveranstaltungen zu minimieren, ist es dem Gericht möglich, Zeugen schriftlich zu vernehmen (§ 377 Abs. 3 ZPO) oder ein schriftliches Sachverständigengutachten in den Prozess einzuführen (§ 411 ZPO).
Ein Ausschluss der Öffentlichkeit wird wegen des damit verbunden Verstoßes gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz nicht erfolgen, denn im Vergleich zum Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 172 Ziff. 1a GVG ist die Vertagung der Verhandlung ein milderes Mittel.
Fazit
Trotz der Coronakrise gilt: Gerichtstermine sind wahrzunehmen und Fristen einzuhalten, so lange keine anderslautende gerichtliche Verfügung (auf Antrag oder von Amts wegen) ergeht. Die ZPO hält ausreichende Handlungsmöglichkeiten bereit, die wir soweit möglich ausschöpfen sollten. Da auch die Gerichte derzeit vor neuen Herausforderungen stehen, kann davon ausgegangen werden, dass Vertagungs-, Verlängerungs- und ggf. sogar Aussetzungsanträge großzügiger behandelt werden als gewöhnlich.