Wann beginnt der Mutterschutz bei künstlicher Befruchtung?
Veröffentlicht am 12th Jun 2015
Entscheidet sich eine Arbeitnehmerin zu einer Schwangerschaft durch künstliche Befruchtung (In-vitro-Fertilisation), so greift der mutterschutzrechtliche Kündigungsschutz bereits mit der Einsetzung der Eizelle in den Mutterleib und nicht erst mit der erfolgreichen Einnistung. Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem aktuellen Urteil entschieden (Urt. v. 26. März 2015 – 2 AZR 237/14).
Der Sachverhalt
Die Klägerin war eine von zwei angestellten Mitarbeitern in der Versicherungsvertretung der Beklagten. Seit Beginn der Beschäftigung im Februar 2012 war es innerhalb des Arbeitsverhältnisses zu keinerlei Beanstandungen gekommen.
Mitte Januar 2013 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie seit mehreren Jahren einen unerwünschten Kinderwunsch hege und sie sich zu einem erneuten Versuch einer künstlichen Befruchtung entschieden habe. Der sog. Embryonentransfer, bei dem die befruchtete Eizelle in den Mutterleib eingesetzt wird, erfolgte am 24. Januar 2013.
Am 31. Januar 2013 kündigte die Beklagte der Klägerin ordentlich und ohne behördliche Zustimmung und besetzte in der Folge die Stelle mit einer älteren Arbeitnehmerin neu.
Etwa eine Woche später wurde bei der Klägerin die erfolgreiche Einnistung der Eizelle festgestellt und eine Schwangerschaft beschieden. Über diese Tatsache informierte die Klägerin die Beklagte am 13. Februar 2013.
Die Klägerin wehrte sich nachfolgend gerichtlich gegen die ausgesprochene Kündigung und berief sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung aufgrund ihrer Schwangerschaft.
Die Entscheidung
Das BAG gab der Klägerin nun letztinstanzlich Recht. Die Kündigung der Beklagten war rechtlich unzulässig und damit unwirksam.
Gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG ist eine Kündigung, die gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft ausgesprochen wird, ohne Zustimmung der zuständigen Behörde unzulässig. Das gilt für den Fall, dass die Schwangerschaft dem Arbeitgeber bekannt ist oder innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Zum Zeitpunkt der Kündigung hatte die Beklagte zwar bisher nur von der Absicht einer erneuten künstlichen Befruchtung Kenntnis, jedoch habe die Klägerin vorliegend innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist von 14 Tagen die erforderliche Mitteilung vorgenommen.
Aufgrund des bereits erfolgten Embryonentransfers habe zudem auch eine Schwangerschaft im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung vorgelegen. Eine Schwangerschaft sei im Fall einer künstlichen Befruchtung nicht erst durch die nachweislich erfolgreiche Einnistung der Eizelle in der Gebärmutter gegeben, sondern nach Ansicht der Erfurter Richter bereits im Zeitpunkt ihrer Einsetzung in den Mutterleib.
Aufgrund der fehlenden Zustimmung der zuständigen Behörde sei die Kündigung daher aufgrund des mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutzes nach § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG unwirksam gewesen.
Hinweise für die Praxis
Das Urteil ergeht zu einem Zeitpunkt, in dem das Thema künstliche Befruchtung vermehrt in den Fokus der öffentlichen Diskussion geraten ist. Gerade im Zusammenhang mit der von manchen Unternehmen vorgesehenen Möglichkeit des sog. „Social Freezings“, zeigt sich die große arbeitsrechtliche Dimension dieses Themas.
Im Zusammenhang mit der Rechtsprechung des EuGH (C-506/06) birgt die Kündigung gegenüber einer Frau mit öffentlich gemachtem Kindeswunsch ein weiteres Risiko: Nach dieser auch in dem Urteil des BAG in Bezug genommenen Entscheidung kann nämlich eine Kündigung nach einer angekündigten oder vollzogenen künstlichen Befruchtung zusätzlich gegen das in § 7 Abs. 1 i.V.m. §§ 1, 3 AGG verankerte Diskriminierungsverbot verstoßen und folglich Schadenersatzforderungen auslösen.