Life Sciences und Healthcare

Vereinfachte Entwicklung/Zulassung von Generika und Biosimilars – ein Vorschlag der EU-Kommission

Veröffentlicht am 17th Nov 2023

Mit ihrem Vorschlag für eine überarbeitete EU-Arzneimittelgesetzgebung hat die EU-Kommission am 26. April 2023 eine ganzheitliche Reform der rechtlichen Rahmenbedingungen der Arzneimittelgesetzgebung präsentiert. Neben einer Richtlinie und einer Verordnung beinhaltet der Vorschlag der Kommission eine Empfehlung des Rates zur intensivierten Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen (AMR), so dass der umfassende Vorschlag den gesamten Lebenszyklus von Arzneimitteln adressiert.

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Ein wesentlicher Aspekt dieses Vorhabens ist die vereinfachte Entwicklung von Generika und Biosimilars in der EU, um die Versorgungssicherheit der EU-Bürger mit Arzneimitteln zu verbessern. Die Gewährleistung der Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln auf EU-Ebene zählt neben der Stärkung des Binnenmarktes, der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Arzneimittelindustrie, der Förderung der Umweltverträglichkeit von Arzneimitteln und der Bekämpfung des Problems anti-mikrobieller Resistenzen zu einem der Hauptziele der geplanten EU-Arzneimittelreform. 

1. Hintergrund zu Generika und Biosimilars  

Neu entwickelte Arzneimittel werden durch Patente geschützt, die dem Inhaber das alleinige Recht geben, den Wirkstoff herzustellen und zu vermarkten. Erst nach Ablauf des Patentschutzes und ggfs. eines anschließenden Schutzes durch ein ergänzendes Schutzzertifikat, dürfen Nachahmerprodukte als sogenannte Generika bzw. Biosimilars von anderen Arzneimittelherstellern unter einer „generischen Zulassung“ hergestellt und in den Verkehr gebracht werden, vgl. § 24 b AMG.

Im Rahmen des generischen bzw. vereinfachten Zulassungsverfahrens kann ein Antragsteller unter bestimmten Voraussetzungen ein vergleichbares, bereits zugelassenes Arzneimittel als Referenzarzneimittel bestimmen und auf Unterlagen dieses Arzneimittels - ohne Zustimmung des Zulassungsinhabers - Bezug nehmen. Im Rahmen der Zulassung eines Generikums/Biosimilars kann so auf Ergebnisse von präklinischen und klinischen Studien des Referenzarzneimittels verwiesen werden, so dass Generikahersteller diese Daten nicht selbst erheben müssen.

In der Folge kann die Zulassung eines Generikums/Biosimilars kostengünstig und schnell erreicht werden. Durch Generika und Biosimilars wird insofern einer breiten Patientenpopulation Zugang zu Arzneimitteln ermöglicht.

2. Einzelne Vorschläge der EU-Kommission

Mit ihrem Vorschlag zu einer EU-Arzneimittelreform möchte die EU-Kommission die Entwicklung und Zulassung von Generika und Biosimilars künftig einfacher gestalten. Der von der EU-Kommission vorgelegte Vorschlag der Richtlinie „zur Schaffung eines Unionskodexes für Humanarzneimittel“ soll die Richtlinien 2001/83/EG und 2009/35/EG vollständig ersetzen undsieht im Hinblick auf die vereinfachte Entwicklung und Zulassung von Generika und Biosimilars folgende Änderungen vor:

2.1 Erweiterung der Bolar-Ausnahmeregelung, Art. 85 der Richtlinie

Der zentrale Anknüpfungspunkt der EU-Kommission, der dazu führen soll, die Entwicklung von Generika und Biosimilars zu vereinfachen, ist die geplante Erweiterung und Harmonisierung der sog. „Bolar-Ausnahme“.

Die Bolar-Ausnahme regelt schon jetzt in den einzelnen Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten, dass sich die Wirkung eines bestehenden Patents nicht auf Studien und Versuche erstreckt, die für die Erlangung einer arzneimittelrechtlichen Zulassung eines Arzneimittels in der Europäischen Union oder einer arzneimittelrechtlichen Zulassung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder in Drittstaaten erforderlich sind. Für Deutschland findet sich die entsprechende Regelung in § 11 Nr. 2b PatG. 

In der Folge können Arzneimittelhersteller bereits während der Schutzdauer der Patente der Originalpräparate mit der Entwicklung von Nachahmerprodukten beginnen und für die Zulassung auf bestimmte Unterlagen des geschützten Originalpräparates zurückgreifen.

Die EU-Kommission schlägt vor, diese Ausnahmeregelung zu erweitern und ihre harmonisierte Anwendung in allen Mitgliedsstaaten sicherzustellen. Eine Kodifikation soll künftig nicht mehr fragmentiert in den einzelstaatlichen Rechtsordnungen zu finden sein, sondern nunmehr auf europäischer Ebene erfolgen. So soll es während der Dauer des Unterlagenschutzes künftig möglich sein, auch Studien zur Unterstützung der Preisfestsetzung und Kostenerstattung, eine Bewertung von Gesundheitstechnologien im Sinne der Verordnung (EU) 2021/2282 durchzuführen sowie patentgeschützte Wirkstoffe zum Zweck der Beantragung der Zulassung herzustellen oder zu erwerben. Dies soll nach Aussagen der EU-Kommission zu einer vereinfachten Entwicklung von Generika und Biosimilars und mithin zum Markteintritt von Generika und Biosimilars am Tag des Ablaufs des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats beitragen. 

2.2 Drug-Repurposing, Art. 84 der Richtlinie

Darüber hinaus beinhaltet der Legislativvorschlag der EU-Kommission eine Regelung zu Anreizen bei einem sog. „Drug Repurposing“. Darunter versteht man die Anwendung vorhandener, patentfreier Arzneimittel für neue therapeutische Indikationen. Sofern das Arzneimittel in der EU zugelassen ist und hinsichtlich der therapeutischen Indikation nichtklinische oder klinische Studien durchgeführt wurden, die belegen, dass sie von erheblichem klinischem Nutzen sind, wird dem Arzneimittelhersteller eine Datenschutzfrist von vier Jahren gewährt.  Die Datenschutzfrist dient als Anreiz zur Förderung von Innovationen und erleichtert Forschenden sowie gemeinnützigen Einrichtungen ohne Erwerbszweck die Verwendung ihrer Forschungsergebnisse zur Zulassung von Arzneimitteln. Dadurch könnten sich auch neue Anwendungsgebiete für Generikahersteller ergeben. 

2.3 Erleichterung des Zulassungsverfahrens, Art. 21 der Richtlinie

Der Vorschlag der EU-Kommission beinhaltet außerdem Änderungen im Hinblick auf das Zulassungsverfahren von Generika und Biosimilars. So soll künftig im Rahmen des Zulassungsverfahrens auf zusätzliche Unterlagen des Referenzarzneimittels verwiesen werden können, mithin sollen künftig sog. Risikomanagementpläne (detaillierte Beschreibungen des Risikomanagementsystems), die jedem Zulassungsantrag gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5a AMG beizufügen sind, für Generika und Biosimilars nicht mehr erforderlich sein. Begründet wird dieser Vorschlag damit, dass derartige Risikomanagementpläne für die entsprechenden Referenzarzneimittel bereits vorhanden sind und somit auf diese zurückgegriffen werden könne. Das Zulassungsverfahren könne so noch effizienter gestaltet werden.

Die EU-Kommission sieht außerdem vor, dass die Austauschbarkeit von Biosimilars mit ihren Referenzarzneimitteln auf der Grundlage der mit solchen Arzneimitteln gesammelten wissenschaftlichen Erfahrungen in Zukunft besser anerkannt werden. Der Argumentationsaufwand für die Vergleichbarkeit soll so möglichst gering und das Zulassungsverfahren möglichst effizient gehalten werden. 

3. Ausblick

Begrüßenswert ist, dass die EU-Kommission dem ernst zu nehmenden Problem von Versorgungsengpässen und hohen Arzneimittelpreisen entgegentreten will. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die Vorschläge der EU-Kommission hierfür tatsächlich geeignet sind. So sollte in diesem Zusammenhang jedenfalls berücksichtigt werden, dass der Patentschutz für viele Arzneimittel ohnehin länger wirkt als der Unterlagen-/Vermarktungsschutz, weshalb trotz Erweiterung der Bolar-Ausnahme und der Vereinfachung des Zulassungsverfahrens, ein früherer Markteintritt von Generika und Biosimilars nicht immer zwingend möglich sein wird.

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* Dieser Artikel entspricht dem aktuellen Stand zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung und spiegelt nicht notwendigerweise den aktuellen Stand des Gesetzes / der Regulatorik wider.

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