Überstundenabgeltung – Gericht darf und muss Mindestumfang geleisteter Überstunden schätzen

Veröffentlicht am 14th Sep 2015

Oftmals kommt es nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zum Streit darüber, ob dem Mitarbeiter noch geleistete Überstunden abzugelten sind. In diesem Zusammenhang stellt das BAG hohe Ansprüche an die Darlegung durch den Arbeitnehmer. Eine aktuelle Entscheidung betont die Möglichkeit einer gerichtlichen Schätzung des Mindestumfangs geleisteter Überstunden, sobald feststeht, dass jedenfalls Überstunden auf Veranlassung des Arbeitgebers geleistet worden sind. Dies stellt eine Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast für diejenigen Arbeitnehmer dar, die einen entsprechenden Nachweis nicht für jede einzelne Überstunde erbringen können (BAG, Urteil vom 25. März 2015, – 5 AZR 602/13).

Der Sachverhalt

Der klagende Arbeitnehmer war bei einem privaten Omnibusunternehmen beschäftigt und verdiente im Monat EUR 1.800,00 brutto. Hinsichtlich der Arbeitszeit war vereinbart, dass der Arbeitnehmer als „Omnibusfahrer in Vollzeit beschäftigt“ ist. Die „Arbeitszeit [sei] dem Arbeitnehmer bekannt.“ Sie könne kurzfristig geändert werden. Generell sollten im Monat zwei Samstage und die Sonntage frei sein. Der Kläger wurde auf 14 verschiedenen Bustouren eingesetzt, die teilweise eine Gesamtdauer von zwölf Stunden hatten. Zudem musste er vor der Losfahrt eine Abfahrtskontrolle und nach Beendigung des Dienstes eine kurze Reinigung des Fahrzeugs durchführen.

Der Kläger hat Vergütung für rund 650 Überstunden über einen Zeitraum von zehn Monaten zum durchschnittlichen Stundensatz von EUR 10,22 brutto geltend gemacht.

Das Landesarbeitsgericht hat die Mindestanzahl der Überstunden geschätzt und dem Kläger jedenfalls Vergütung für 108 Überstunden zugesprochen.

Die Entscheidung

Das BAG hat die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufrechterhalten. Da der Kläger hinsichtlich der Klageabweisung im Übrigen keine Revision angestrengt hatte, musste das BAG nicht dazu Stellung nehmen, ob er gegebenenfalls Abgeltung für noch mehr Überstunden hätte erlangen können.

Die Erfurter Richter hielten zunächst einmal fest, dass die Vereinbarung einer Tätigkeit „in Vollzeit“ dahingehend auszulegen sei, dass sie 40 Wochenstunden nicht übersteige. Auch wenn teilweise eine Samstagsarbeit vorgesehen sei, sei nicht ausdrücklich die Sechstagewoche vereinbart worden, sondern lediglich eine flexiblere Verteilung der Wochenarbeitszeit hierdurch möglich. Es hätte dem Arbeitgeber oblegen, eine höhere geschuldete Wochenarbeitszeit ausdrücklich festzuschreiben, wenn er diese hätte vereinbaren wollen.

Des Weiteren hat das BAG dem Kläger grundsätzlich einen Anspruch auf Überstundenabgeltung zugesprochen, da üblicherweise – wie auch in Branchentarifen festgehalten – von einer Abgeltung von Überstunden mindestens zum normalen Stundenlohn auszugehen sei. Insofern war es unschädlich, dass die Parteien zur Überstundenabgeltung im Arbeitsvertrag nichts geregelt hatten.

Kern der Entscheidung ist jedoch die Anwendung der Möglichkeit zu einer gerichtlichen Schätzung des Schadens (§ 287 ZPO). Das BAG betont, sobald feststehe, dass Überstunden auf Veranlassung des Arbeitgebers geleistet worden sind, der Arbeitnehmer jedoch seiner Darlegungs- und Beweislast nicht für jede einzelne Überstunde genügen könne, das Gericht den Umfang der geleisteten Überstunden zu schätzen habe. Inhalt der Schätzung ist ein Mindestschaden. Sie darf nur dann unterbleiben, wenn sie mangels jeglicher konkreter Anhaltspunkte vollkommen „in der Luft hinge“ und daher willkürlich wäre.

Im konkreten Fall war unstreitig, dass der Kläger an den von ihm einzeln angegebenen Tagen die jeweiligen Busrouten gefahren war, auch wenn konkrete zeitnahe Arbeitszeitaufschriebe von keiner der Parteien erstellt wurden. Die Beklagte selbst ging von einer durchschnittlichen Arbeitszeit bei „überschlägiger Berechnung“ von rund 8,5 Stunden pro Arbeitstag aus und hatte hierfür sämtliche während den Bustouren anfallende Wartezeiten schon herausgerechnet. Das BAG sah es daher als gerechtfertigt an, dass das Landesarbeitsgericht jedenfalls pro Arbeitstag eine halbe Stunde als Überstunde anerkannt hat und so zu einer Gesamtzahl von 108 Überstunden gekommen war.

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung kann verstanden werden als eine Mahnung an Arbeitgeber, auf die konkrete Tätigkeit angepasste Regelungen zur Überstundenabgeltung im Arbeitsvertrag vorzusehen. Hierbei können Gestaltungsmöglichkeiten ausgenutzt und vereinbart werden, dass ein gewisses Maß an Überstunden mit der monatlichen Vergütung abgegolten ist. Zugleich ist darauf zu achten, eine adäquate Arbeitszeitregelung zu treffen und zu konkretisieren, ob die Fünf- oder die Sechstagewoche Anwendung finden soll.

Geschieht dies nicht, laufen Arbeitgeber Gefahr, sich umfangreichen Forderungen nach Überstundenabgeltung spätestens nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgesetzt zu sehen. In begrenztem Umfang, jedoch maximal als Schadensbegrenzung, können hier Ausschlussfristen helfen. Da diese jedoch eine Ausnahme für den Mindestlohn vorsehen müssen, besteht weiterhin ein Risiko jedenfalls im Umfang der Höhe des Mindestlohns für jede geleistete und vom Arbeitnehmer nachgewiesene Überstunde.

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* Dieser Artikel entspricht dem aktuellen Stand zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung und spiegelt nicht notwendigerweise den aktuellen Stand des Gesetzes / der Regulatorik wider.

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