Starkes Übergewicht als Behinderung?

Veröffentlicht am 30th Jan 2015

Schwere Adipositas eines Arbeitnehmers kann unter Umständen eine Behinderung und somit einen Diskriminierungsgrund darstellen, wenn sie zu deutlichen Einschränkungen bei der Teilhabe am Arbeitsleben führt. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) aktuell entschieden (Urteil v. 18. Dezember 2014 – C-354/13).

Der Sachverhalt

Der Kläger arbeitete seit 1996 als Tagesvater bei der Beklagten, einer dänischen Kommune. Während der gesamten Dauer der Beschäftigung war der Kläger „adipös“ gemäß der Definition der Weltgesundheitsorganisation.

Im Rahmen ihres Gesundheitsprogrammes gewährte die Beklagte finanzielle Zuschüsse, um dem Kläger durch Sportprogramme und andere Aktivitäten bei der Gewichtsreduzierung zu helfen.

Nach einer längeren, familiär bedingten Auszeit bekam der Kläger im Jahre 2010 mehrere unangekündigte Besuche der bei der Beklagten für ihn verantwortlichen pädagogischen Beauftragten, welche feststellte, dass sich das Gewicht des Klägers kaum verändert hatte.

Nachdem aufgrund von rückläufigen Kinderzahlen in der Kommune das Arbeitsaufkommen auch für den Kläger rückläufig war, beschloss die Beklagte, eine Stelle im Bereich der Kinderbetreuung abzubauen. Auf Vorschlag der pädagogischen Beauftragten entschloss sich die Beklagte, sich von dem Kläger zu trennen und informierte ihn dementsprechend.

In den folgenden Gesprächen zwischen den Parteien wurde auch seine schwere Übergewichtigkeit thematisiert. Nach Erhalt seiner Kündigung machte der Kläger gerichtlich Schadensersatz geltend mit der Begründung, er sei durch die Beklagte bei der Auswahlentscheidung bezüglich des zu kündigenden Arbeitnehmers wegen seiner Adipositas diskriminiert worden.

Das zuständige Gericht beschritt das Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH, um durch diesen die Frage klären zu lassen, ob Adipositas vom europäischen Diskriminierungsverbot und der EU-Richtlinie 2000/78 (in Deutschland umgesetzt durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) erfasst wird.

Die Entscheidung

Der EuGH arbeitete in seiner Entscheidung zunächst heraus, dass es sich bei Adipositas um keinen Diskriminierungstatbestand handelt, der von den EU-Verträgen erfasst wird. Ein Verstoß gegen das allgemeine europäische Diskriminierungsverbot scheide daher grundsätzlich aus.

Auch die betreffende Richtlinie (RL) verbiete eine Diskriminierung wegen Übergewichtigkeit nicht.

Allerdings stellte der EuGH klar, dass starkes Übergewicht unter Umständen vom Diskriminierungs-verbot erfasst sein kann, wenn es sich dabei letztlich um eine Behinderung handelt und somit der Anwendungsbereich der RL eröffnet ist.

Eine „Behinderung“ in Form einer Adipositas liegt vor, wenn sie eine Einschränkung mit sich bringt, die u. a. auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen von Dauer zurückzuführen ist, die einen Arbeitnehmer in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können.

Treten solche Umstände im Zusammenhang mit starkem Übergewicht auf (also z.B. eingeschränkte Mobilität, Auftreten von Krankheitsbildern), so ist eine Ungleichbehandlung wegen dieser Behinderung unzulässig.

Hinweise für die Praxis

Das Urteil dürfte nicht ohne Auswirkung auf die deutsche Rechtsprechung bleiben.

Bisher sind deutsche Gerichte davon ausgegangen, dass Übergewichtigkeit für sich keine Behinderung darstellt, sondern eine solche allenfalls in Form von Folgekrankheiten, wie etwa Diabetes, vorliegen kann. Dies kann künftig im Einzelfall nunmehr anders zu beurteilen sein.

Das neue Diskriminierungsrisiko ist nicht nur für das Kündigungsrecht, sondern insbesondere auch für das Bewerbungsverfahren zu beachten.

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* Dieser Artikel entspricht dem aktuellen Stand zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung und spiegelt nicht notwendigerweise den aktuellen Stand des Gesetzes / der Regulatorik wider.

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