Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz – oder: Einmal ist keinmal?
Veröffentlicht am 27th Feb 2015
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20. November 2014 (Az. 2 AZR 651/13) sorgt aktuell in der Presse als sog. “Grapscher”-Fall für Aufsehen. Während das BAG sein Urteil erkennbar auf die Besonderheiten des Einzelfalls gestützt hat, stellt es Arbeitgeber zukünftig bei Kündigungsentscheidungen vor noch größere Herausforderungen.
Der Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Der Kläger ist seit 1996 bei der Beklagten als Kfz-Mechaniker beschäftigt. Ende Juli 2012 betrat der Kläger die Sozialräume, um sich umzuziehen. Im Waschraum traf er auf eine Reinigungskraft einer externen Firma – Frau M. Während er sich Gesicht und Hände wusch, unterhielt er sich mit ihr. Sie stellte sich neben ihn. Im Verlaufe des Gespräches sagte er zu ihr, sie habe einen schönen Busen und berührte sie an der Brust. Frau M erklärte deutlich, dass sie dies nicht wünsche. Daraufhin ließ der Kläger von ihr ab, zog sich um und verließ den Raum. Der Vorfall hatte ein Nachspiel. Vier Tage später bat die Beklagte den Kläger zum Gespräch. Der Kläger räumte den Vorfall ein und entschuldigte sein Verhalten. Er habe sich eine Sekunde vergessen und „die Sache“ tue ihm furchtbar leid. So etwas werde nicht noch einmal passieren. Dennoch kündigte die Beklagte ihm am gleichen Tag außerordentlich mit sofortiger Wirkung. Der Kläger entschuldigte sich in der Folge mit einem Schreiben bei Frau M und zahlte im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs ein Schmerzensgeld an sie. Frau M nahm seine Entschuldigung an und verzichtete auf eine weitere Strafverfolgung.
Während das Arbeitsgericht Wuppertal (Az. 5 Ca 2425/12) die Klage abgewiesen hat, hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Az. 7 Sa 1878/12) ihr stattgegeben.
Die Entscheidung
Das BAG wies die Revision der Beklagten zurück.
Grundsätzlich ist eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz „an sich“ als wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Sowohl in der Aussage, sie habe einen schönen Busen, als auch in der anschließenden Berührung lag eine sexuelle Belästigung i.S.v. § 3 Abs. 4 AGG. Unmaßgeblich ist dabei die eigene Einschätzung des Klägers, Frau M habe mit ihm flirten wollen.
Dennoch ist es der Beklagten auf Grundlage einer Gesamtwürdigung zumutbar, den Kläger weiter zu beschäftigen. Eine Abmahnung hätte angesichts der Umstände des Streitfalls als Reaktion zur Vermeidung des Risikos künftiger Störungen ausgereicht. Beruht eine Vertragspflichtverletzung auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers, setzt eine außerordentliche Kündigung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Eine solche Abmahnung ist nur dann entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung nicht zu erwarten ist oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber unzumutbar ist.
Das BAG bestätigte die Auffassung des LAG, dass es sich bei der Handlung des Klägers um ein ihm wesensfremdes, einmaliges Augenblicksversagen handelte. Dies stützt, dass er sofort von Frau M abließ, als er seinen Irrtum, sie wolle mit ihm flirten, erkannte. Auch räumte er ohne Zögern sein Fehlverhalten ein, obwohl er angesichts der Vier-Augen-Situation dieses möglicherweise erfolgreich hätte abstreiten können. Ebenso spricht sein Nachtatverhalten für das Fehlen einer Wiederholungsgefahr. Gleiches gilt für das langjährige und beanstandungsfreie Bestehen des Arbeitsverhältnisses.
Hinweise für die Praxis
Im Fall sexueller Belästigungen am Arbeitsplatz stecken Arbeitgeber häufig in einer Zwickmühle: Treffen Sie keine oder lediglich unzureichende Maßnahmen zum Schutz belästigter Mitarbeiter/innen, können sie wegen der Verletzung von Schutzpflichten einem Schadensersatz oder einer Entschädigung ausgesetzt sein. Wählen sie jedoch ein zu „scharfes“ Schwert, namentlich eine außerordentliche Kündigung, unterliegen sie im anschließenden Kündigungsschutzprozess. Schwierig zu beurteilen ist, inwieweit eine nachträgliche Entschuldigung lediglich vor dem Hintergrund einer möglichen Kündigung erfolgt.
Als Regel gilt: Sollte der/die Mitarbeiter/in mehr als einmal – verbal oder körperlich – sexuell übergriffig werden, besteht eine Wiederholungsgefahr. Liegt bereits eine einschlägige Abmahnung vor, wird eine außerordentliche Kündigung Erfolg haben. In schweren Fällen sexueller Belästigungen, in denen Grenzen erkennbar bewusst überschritten werden, wird auch weiterhin eine außerordentliche Kündigung zulässig sein.
Sofern Sie Fragen zu diesem Thema haben oder weitere Informationen wünschen, kontaktieren Sie bitte Rebecca Fischer.