Rechtsprechungswechsel nach EuGH-Entscheid: Arbeitnehmer behalten bei Wechsel in Teilzeit vollen Resturlaubsanspruch
Veröffentlicht am 11th Dez 2014
Der Wechsel eines Arbeitnehmers von einer Vollzeit- in eine Teilzeittätigkeit mit weniger Arbeitstagen je Kalenderwoche führt nicht zu einer entsprechenden Verkürzung der Dauer des dem Arbeitnehmer zustehenden Urlaubs, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub im Zeitraum, in dem er voll-beschäftigt war, nicht nehmen konnte (LAG Niedersachsen, Urteil vom 11. Juni 2014 – 2 Sa 125/14).
Der Sachverhalt
Die Klägerin war bei dem beklagten Land zunächst in Vollzeit beschäftigt. Im Jahr 2010 konnte sie wegen eines schwangerschaftsbedingten Beschäftigungsverbotes und während der Zeiten ihres Mutterschutzes 22 Urlaubstage nicht nehmen. Im Anschluss an den Mutterschutz ging die Klägerin in Elternzeit bis zum 21. Dezember 2011. Bis zu diesem Zeitpunkt entstand für das Jahr 2011 ein weiterer Urlaubsanspruch in Höhe von sieben Tagen.
Aufgrund einer Vereinbarung zwischen den Parteien setzte die Beklagte die Klägerin nach Ablauf der Elternzeit als Teilzeitbeschäftigte mit der Hälfte der durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit eines entsprechenden Vollzeitbeschäftigten an nur noch drei statt fünf Tagen ein.
Hinsichtlich der Berechnung des Urlaubsanspruchs der Klägerin war sie der Ansicht, dass dieser für die Kalenderjahre 2010 und 2011 nach dem Übergang von der Vollzeit- auf eine Teilzeitbeschäftigung entsprechend dem Verhältnis gekürzt werden müsse, in dem die von ihr vor dem Übergang geleistete Zahl der wöchentlichen Arbeitstage zur danach geleisteten Zahl steht. Hiergegen reichte die Klägerin beim Arbeitsgericht Nienburg Klage ein, die darauf gerichtet war, festzustellen, dass ihr 29 Urlaubstage aus den Jahren 2010 und 2011 zustünden.
Das Arbeitsgericht hat den EuGH um Vorabentscheidung ersucht. Mit Beschluss vom 13. Juni 2013 hat der EuGH daraufhin entschieden, dass das Unionsrecht nationalen Bestimmungen und Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen die Zahl der Tage bezahlten Jahresurlaubs, die ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer im Bezugszeitraum nicht in Anspruch nehmen konnte, wegen des Übergangs dieses Arbeitsverhältnisses zu einer Teilzeitbeschäftigung entsprechend dem Verhältnis gekürzt wird, in dem die von ihm vor diesem Übergang geleistete Zahl der wöchentlichen Arbeitstage zu der danach geleisteten Zahl steht.
Das Arbeitsgericht hat der Klage daraufhin stattgegeben. Hiergegen hat das beklagte Land beim Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen Berufung eingelegt.
Die Entscheidung
Das LAG hat sich dem Urteil des Arbeitsgerichts, das mit seiner Entscheidung dem Beschluss des EuGH gefolgt war, angeschlossen.
Es wendet sich mit seiner Entscheidung gegen die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Dieses hatte 1998 entschieden, dass sich die Dauer des dem Arbeitnehmer zustehenden Urlaubs entsprechend verkürzt oder verlängert, wenn sich im Verlauf eines Kalenderjahres die Verteilung der Arbeitszeit auf weniger oder auch auf mehr Arbeitstage einer Kalenderwoche ändert. Dies treffe auch für einen auf das folgende Urlaubsjahr übertragenen Resturlaub zu, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des folgenden Jahres in Teilzeit beschäftigt ist (BAG, Urteil vom 28. April 1998 – 9 AZR 314/97).
Die Entscheidung begründet das LAG damit, dass die „Umrechnung“ von Urlaub im Rahmen einer Änderung von Voll- in Teilzeit zu einer Kürzung des in Vollzeit erworbenen Urlaubsanspruchs führe. Dies sei eine unzulässige Benachteiligung Teilzeitbeschäftigter.
Hinweise für die Praxis
Die Richter des EuGH haben erneut Stellung zum deutschen Urlaubsrecht bezogen. Dies haben das Arbeitsgericht Nienburg und das LAG Niedersachsen zum Anlass genommen, sich von der bisherigen Rechtsprechung des BAG zum Schicksal von Resturlaubsansprüchen beim Wechsel von Voll- in Teilzeit abzuwenden. Abzuwarten bleibt, ob das BAG diesen Richtungswechsel bestätigt.
Es zeigt sich erneut, wie stark gerade das Urlaubsrecht in Deutschland vom Europarecht geprägt ist. Der EuGH stellt offenbar mehr auf den pekuniären Gegenwert des Urlaubs ab als auf den gerechnet in Wochen zur Verfügung stehenden Erholungszeitraum. Arbeitgeber haben sich hierauf einzustellen.
Mögliche Folgen immenser Resturlaubsaufkommen von Arbeitnehmern, die von Vollzeit in Teilzeit wechseln, sind z. B. lange urlaubsbedingte Abwesenheiten und finanzielle Risiken für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Um diese Folgen abzuschwächen, können Arbeitgeber versuchen, mit Arbeitnehmern, die von Voll- in Teilzeit wechseln wollen, zu vereinbaren, dass diese den Resturlaub noch während der Vollzeittätigkeit nehmen. Dann wird nämlich in kürzerer Zeit mehr Urlaub „verbraucht“. Grundsätzlich erforderlich ist hierfür aber das Einverständnis des betroffenen Arbeitnehmers. Bei einseitiger Anordnung von Urlaub durch den Arbeitgeber steht dem Arbeitnehmer gegebenenfalls ein Annahmeverweigerungsrecht zu.