Neuer Medienstaatsvertrag soll Rundfunkstaatsvertrag ablösen und Rechtsrahmen für veränderte Medienlandschaft schaffen
Veröffentlicht am 24th Jun 2020
Nachdem die Regierungschefs der (in Deutschland für das Medienrecht zuständigen) Bundesländer im April 2020 den neuen „Staatsvertrag zur Modernisierung der Medienordnung in Deutschland“ (Medienstaatsvertrag – MStV) unterzeichnet haben, soll dieser nach Ratifizierung durch die Länderparlamente in der zweiten Jahreshälfte 2020 in Kraft treten. Nach eigener Einschätzung reagiert der deutsche Mediengesetzgeber damit auf einige grundlegende Veränderungen der Medienlandschaft und entwickelt den pluralismuserhaltenden und vielfaltsfördernden Rechtsrahmen der bisher vor allem rundfunkrechtlichen Staatsverträge fort; zugleich wird insbesondere durch den MStV die sog. AVMD-Richtlinie (Richtlinie (EU) 2018/1808 vom 14. November 2018) in Deutschland umgesetzt.
Neben einer Reihe rechtstechnischer Anpassungen vor allem für den Rundfunkbereich enthält der MStV, seiner Zielsetzung entsprechend, einige grundlegende Neuregelungen insbesondere für die „neuen“ digitalen Medien, die im Folgenden kurz skizziert werden sollen. Dabei werden erstmals vor allem umfassende medienspezifische Vorgaben für solche Anbieter eingeführt, die als Gatekeeper Medieninhalte vermitteln bzw. deren Verbreitung dienen, der Gesetzgeber zählt hierzu „z.B. Suchmaschinen, Smart-TVs, Sprachassistenten, App-Stores, soziale Medien“; diese Dienste werden als „Medienplattformen“, „Benutzeroberflächen“ oder „Medienintermediäre“ erfasst. Zudem werden für den Bereich politischer Werbung und für soziale Medien bestehende Transparenzvorgaben ausgeweitet bzw. neu eingeführt. Und besondere meinungsrelevante Telemedien, die regelmäßig Nachrichten oder politische Informationen zum Inhalt haben, werden auf die Einhaltung journalistischer Standards verpflichtet. Zugunsten der Landesmedienanstalten als Aufsichtsbehörden wird an mehreren Stellen eine Kompetenz zum Erlass von Satzungen eingeführt, in die weitere Vorgaben für die Medienregulierung aufgenommen werden können. In einer gemeinsamen Protokollerklärung zum MStV haben die Bundesländer schließlich bereits Bereiche weiteren Reformbedarfs identifiziert, z.B. im Jugendschutz und im Medienkonzentrationsrecht.
Die Regelungen im Medienstaatsvertrag im Überblick:
Territorialer Anwendungsbereich - für bestimmte Mediendienste reicht aus, dass ihr Angebot „zur Anwendung in Deutschland bestimmt“ ist
§1 MStV regelt seinen Anwendungsbereich. Nach dessen Abs. 7 gilt der Staatsvertrag für Anbieter von Mediendiensten, wenn sie nach den Vorschriften des Telemediengesetzes (TMG) in Deutschland niedergelassen sind. Abweichend davon werden nach Abs. 8 Medienintermediäre, Medienplattformen und Benutzeroberflächen erfasst, soweit sie zur Nutzung in Deutschland bestimmt sind, so dass der MStV insoweit auch Unternehmen mit Sitz im Ausland betrifft; für die Erfüllung dieses sog. Marktortprinzips reicht aus, dass sich die genannten Dienste „in der Gesamtschau, insbesondere durch die verwendete Sprache, die angebotenen Inhalte oder Marketingaktivitäten, an Nutzer in Deutschland richten oder in Deutschland einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Refinanzierung erzielen.“
Begriffsbestimmungen – (auch) neue Definitionen für neue Medien
§2 MStV enthält eine Reihe von Begriffsbestimmungen.
Abs. 1 enthält die für den MStV grundlegende Weichenstellung: Der Gesetzgeber will digitale Medien zukünftig entweder als (linearen) Rundfunk oder als (nicht-lineare) Telemedien einordnen. Vor diesem Hintergrund ist die Definition des Rundfunks im Wesentlichen unverändert geblieben und nur redaktionell überarbeitet worden. Hingegen sind Telemedien nunmehr „alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste“ soweit sie nicht bestimmte Dienste im Sinne des Telekommunikationsgesetzes (TKG) oder Rundfunk sind.
Abs. 2 enthält eine Reihe weiterer wesentlicher Definitionen. Teilweise sind diese aus dem Rundfunkstaatsvertrag übernommen, teilweise dienen sie der Umsetzung der AVMD-Richtlinie (so z.B. der Begriff der „Werbung“ in Nr. 7 ff., der nunmehr der „(audiovisuellen) kommerziellen Kommunikation“ in der Richtlinie entspricht), und teilweise stecken sie das Regulierungsfeld des MStV neu ab.
Neu ist etwa der Begriff des rundfunkähnlichen Telemediums – gemäß Nr. 13 „ein Telemedium mit Inhalten, die nach Form und Gestaltung hörfunk- oder fernsehähnlich sind und die aus einem vom Anbieter festgelegten Katalog zum individuellen Abruf … bereitgestellt werden“. Als Beispiele hierfür kommen die Online-Videotheken der großen Streaming-Anbieter in Betracht.
So ist laut Nr. 14 Medienplattform „jedes Telemedium, soweit es Rundfunk, rundfunkähnliche Telemedien oder Telemedien [der Online-Presse] zu einem vom Anbieter bestimmten Gesamtangebot zusammenfasst.“ Die §§ 78 ff. MStV unterscheiden zwischen infrastrukturgebundenen und nicht-infrastrukturgebundenen (offenen) Medienplattformen, Beispiele für ersteres sind Kabelnetze oder IPTV, Beispiele für letzteres sind OTT-Dienste oder Sprachassistenten.
Nr. 15 definiert als Benutzeroberfläche „die textlich, bildlich oder akustisch vermittelte Übersicht über Angebote oder Inhalte einzelner oder mehrerer Medienplattformen, die der Orientierung dient und unmittelbar die Auswahl von [Medien-]Angeboten [oder Medien-]Inhalten … ermöglicht“. Als Beispiel lassen sich Electronic Programme Guides (EPG) oder die Benutzeroberflächen von Smart-TV-Geräten nennen.
Gemäß Nr. 16 ist Medienintermediär „jedes Telemedium, das auch journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter aggregiert, selektiert und allgemein zugänglich präsentiert, ohne diese zu einem Gesamtangebot zusammenzufassen.“ Als Beispiele kommen etwa Soziale Netzwerke und Suchmaschinen in Betracht.
Nr. 22 beschreibt einen Video-Sharing-Dienst als „ein Telemedium, bei dem der Hauptzweck des Dienstes oder … eine wesentliche Funktion des Dienstes darin besteht, Sendungen mit bewegten Bildern oder nutzergenerierte Videos, für die der Diensteanbieter keine redaktionelle Verantwortung trägt, der Allgemeinheit bereitzustellen …“ Hier geht es beispielsweise um Upload-Portale für User-Generated-Content.
Zudem werden in den Nrn. 19, 20, 21, 23 die Anbieter der jeweiligen Dienste definiert; dafür wird jeweils darauf abgestellt, wer die Verantwortung für den jeweiligen Dienst trägt.
Entsprechend der bisherigen Rechtslage stellt Abs. 3 schließlich klar, dass kein Rundfunk Angebote sind, „die aus Sendungen bestehen, die jeweils gegen Einzelentgelt freigeschaltet werden.“
Allgemeine Regelungen für die Medien – zwischen der Fortschreibung geltenden Rechts und neuen Regelungen für neue Technologien
In dem darauffolgenden II. Abschnitt finden sich allgemeine Bestimmungen für die erfassten Medien, der 1. Unterabschnitt betrifft den Rundfunk. Hier wird in vielen Regelungen der bisherige Rundfunkstaatsvertrag (RfStV) fortgeschrieben. Allerdings enthält § 8 neue Regelungen über die Werbung und gestattet beispielsweise auch dem Rundfunk nunmehr grundsätzlich den Einsatz von Produktplatzierung (Product Placement).
Im 2. Unterabschnitt über die Telemedien enthält § 18 Abs. 3 MStV eine Pflicht für die Anbieter von Telemedien in sozialen Netzwerken, den Einsatz von Social Bots kenntlich zu machen; von einem Verbot dieser Technologie hat der Gesetzgeber bewusst abgesehen. § 19 Abs. 1 S. 2 MStV erstreckt die Vorgaben der journalistischen Sorgfaltspflichten, die für die „Online-Presse“ gemäß S. 1 gelten, auch auf bestimmte andere Telemedien mit publizistischer Relevanz. Zugleich wird in diesem Kontext die Freiwillige Selbstkontrolle gestärkt.
Der 3. Unterabschnitt behandelt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und übernimmt viele Regelungen aus dem RfStV. In § 30 werden die Vorgaben der AVMD-Richtlinie zur Produktplatzierung für Telemedienangebote der ARD-Anstalten, des ZDF und des Deutschlandradios nachvollzogen – anders als bislang ist diese damit zukünftig in den Grenzen des § 38 zulässig.
Besondere Regelungen für den privaten Rundfunk
Im IV. Abschnitt geht es um den privaten Rundfunk. Dabei formulieren die §§ 52 ff. für die Zulassung von privatem Rundfunk ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, obwohl auch der Gesetzgeber sieht, dass die „Verbreitung von zeitgleich ausgestrahlten audiovisuellen Bewegtbild-Angeboten … im Internet heute für nahezu jedermann weitgehend ohne größeren technischen und finanziellen Aufwand möglich“ ist.“ Anders als die grundsätzlich zulassungsfreien Telemedien (§ 17 MStV) und Pressetätigkeiten bedürfen private Veranstalter „zur Veranstaltung von Rundfunkprogrammen“ einer Zulassung, § 52 Abs. 1 S. 1 MStV. Ausnahmen bestehen gemäß § 54 Abs. 1 MStV für Rundfunkprogramme, die nur geringe Bedeutung für die Meinungsbildung entfalten oder im Durchschnitt von sechs Monaten weniger als 20.000 gleichzeitige Nutzer erreichen (werden); für bereits bestehende Internethörfunkprogramme gibt es in Abs. 3 einen Bestandsschutz.
Für die Werbung belässt es § 70 MStV bei der 20%-Grenze der AVMD-Richtlinie, bezieht diese aber nicht auf die Stunde, sondern auf größere Zeiträume, so dass die Sender hier mehr Flexibilität haben.
Besondere Bestimmungen für einzelne Telemedien
Kernstück für die neuen Medien sind die Regelungen im V. Abschnitt.
Im 1. Unterabschnitt wird für rundfunkähnliche Telemedien die Geltung einiger rundfunkrechtlicher Regelungen angeordnet, wobei allerdings die Tatbestandsmerkmale „rundfunk-“ bzw. „fernsehähnlich“ nicht erläutert werden.
Im 2. Unterabschnitt finden sich Regelungen für Medienplattformen und Benutzeroberflächen. Beiden Formen ist gemeinsam, dass sie Medienangebote Dritter zusammenfassen bzw. Orientierung dazu geben. Beide bedürfen vor ihrer Inbetriebnahme grds. einer Anzeige bei der zuständigen Landesmedienanstalt. Die Betreiber dürfen die Medienangebote der Dritten inhaltlich und technisch nicht verändern, sind allerdings in der Regel nur für eigene Angebote verantwortlich. Die für die Auswahl von Rundfunk und bestimmten Telemedien geltenden Grundsätze sind vom Anbieter transparent zu machen; diese können bei der zuständigen Landesmedienanstalt einen Antrag auf Unbedenklichkeit stellen. Für die Belegung von Medienplattformen gelten darüber hinaus einerseits Vorgaben zugunsten bestimmter Rundfunkprogramme. Andererseits haben die Anbieter zu gewährleisten, dass ein vielfältiges Angebot ermöglicht wird, aus diesem Grund dürfen Rundfunk und bestimmte Telemedien beim Zugang zur Plattform nicht unbillig behindert oder diskriminiert werden. Ähnliches gilt für die Auffindbarkeit in Benutzeroberflächen: Auch dabei gibt es Vorgaben zugunsten bestimmter Rundfunkprogramme, zudem dürfen auch hier Rundfunk und bestimmte Telemedien nicht unbillig behindert oder diskriminiert werden.
Medienintermediäre sind Regelungsgegenstand des 3. Unterabschnitts. Erforderlich ist hier ein inländischer Zustellungsbevollmächtigter, auf den im jeweiligen Angebot leicht erkennbar hingewiesen werden muss. Auch Informationen über die Kriterien für Zugang und Verbleib im Angebot und die dem Angebot zugrundeliegenden Kriterien der Aggregation, Selektion und Präsentation von Inhalten haben die Anbieter „leicht wahrnehmbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar zu halten“ (Transparenzgebot). Und zur Sicherung der Medienvielfalt dürfen Medienintermediäre journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote, auf deren Wahrnehmbarkeit sie besonders hohen Einfluss haben, nicht diskriminieren, was insbesondere der Fall ist, wenn von den vorgenannten Kriterien systematisch abgewichen wird oder diese Kriterien eine unbillige systematische Behinderung darstellen.
Im 4. Unterabschnitt geht es in Umsetzung der AVMD-Richtlinie um Video-Sharing-Dienste. Insbesondere im Hinblick auf die Werbung in diesen Diensten werden Regelungen getroffen, differenziert danach, ob der Dienstanbieter die Werbung selbst „vermarktet, verkauft oder zusammengestellt“ hat oder ob dies nicht der Fall.
Sonstiges, einschließlich Ordnungswidrigkeitenrecht
Weitere Abschnitte des MStV befassen sich mit den technischen Übertragungskapazitäten sowie der Medienaufsicht, insbesondere durch die zuständige Landesmedienanstalt. In einem weiteren Abschnitt ist ein umfangreicher Ordnungswidrigkeitenkatalog enthalten, der Verstöße gegen zahlreiche Vorgaben des MStV sanktionieren soll. In Kraft treten soll der MStV spätestens zum Jahresende 2020.