Kündigung eines LKW-Fahrers nach alkoholbedingtem Unfall unwirksam
Veröffentlicht am 11th Dez 2014
Die Kündigung eines LKW-Fahrers infolge eines Unfalls unter Alkoholeinfluss ist unwirksam, wenn dem Fahrer aufgrund seiner Alkoholabhängigkeit kein Schuldvorwurf gemacht werden kann. Der Arbeitgeber muss dem Mitarbeiter zunächst die Möglichkeit einer Therapie geben, wie das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg nun entschieden hat (12. August 2014 – 7 Sa 852/14).
Der Sachverhalt
Der Kläger war bei der Beklagten, bei der ein generelles Alkoholverbot während der Arbeitszeit bestand, seit 1991 als Berufskraftfahrer beschäftigt. In der Nacht vom 1. auf den 2. Mai 2013 verursachte der Mitarbeiter während der Arbeit einen Unfall auf der Autobahn, bei dem eine im Wagen vor ihm fahrende Person verletzt wurde. Bei Aufnahme des Unfalls wurde bei dem Mitarbeiter ein Alkoholwert von 0,64 Promille festgestellt.
Die Beklagte informierte den bei ihr bestehenden Betriebsrat daraufhin über die Absicht, den Fahrer zu kündigen. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung, nachdem sich der Mitarbeiter in der Anhörung zum Vorfall bereit erklärt hatte, sich wegen seiner Alkoholprobleme in ärztliche Behandlung zu begeben. Dennoch kündigte die beklagte Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis am 27. Mai 2013 fristlos, hilfsweise fristgerecht.
Das erstinstanzlich zuständige Arbeitsgericht Berlin hielt die fristlose Kündigung wegen Nichteinhaltens der Zwei-Wochen-Frist nach § 626 Abs. 2 BGB für unwirksam, die hilfsweise ordentliche Kündigung jedoch für wirksam. Gegen das Urteil legte der Kläger Berufung vor dem LAG Berlin-Brandenburg ein.
Die Entscheidung
In zweiter Instanz wehrte sich der Kläger nun erfolgreich gegen die Kündigung. Die Berliner Richter sahen die Voraussetzungen einer Kündigung als nicht gegeben an. Zwar stellten sie klar, dass es sich bei der Fahrt unter Alkoholeinfluss um eine schwerwiegende Pflichtverletzung des LKW-Fahrers gehandelt habe. Allerdings sei der Kläger zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung alkoholkrank gewesen, wie sich aus den eingereichten Laborwerten sowie der nachfolgenden stationären Therapie ergeben habe. Es seien somit nicht die Voraussetzungen einer verhaltensbedingten, sondern die einer krankheitsbedingten Kündigung zu prüfen gewesen, da ihm wegen der Alkoholsucht kein Schuldvorwurf zu machen sei.
Entscheidend war für das Landesarbeitsgericht daher im Folgenden die Frage, ob eine Prognose für die Zukunft ergeben hätte, dass der Kläger auch im weiteren Verlauf nicht mehr in der Lage gewesen wäre, seine Tätigkeit als LKW-Fahrer ordnungsgemäß auszuüben. Dies verneinten die Richter. Der Kläger sei zu einer entsprechenden Therapie bereit gewesen und habe diese auch bereits nach dem Unfall begonnen. Der Arbeitgeber könne trotz der statistisch hohen Rückfallquote von ca. 50 % nicht davon ausgehen, dass der Kläger zu dem Teil der Patienten gehöre, bei dem eine Therapie nicht dauerhaft erfolgreich wäre. Auch die mit der Behandlung der Alkoholkrankheit verbundenen Fehlzeiten seien nicht ausreichend, um eine Kündigung zu rechtfertigen. Die Abmahnung als milderes Mittel sei dem Arbeitgeber im vorliegenden Fall zumutbar gewesen.
Hinweise für die Praxis
Die Entscheidung macht auf drastische Weise klar, wie schwierig für Arbeitgeber der Umgang mit suchtkranken Mitarbeitern ist. Grundsätzlich gilt: Suchtbedingtes Fehlverhalten ist für den Mitarbeiter nicht steuerbar und kann deshalb meist keine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. Im Rahmen der Möglichkeit einer krankheitsbedingten Kündigung müssen zunächst mildere Mittel, beispielsweise also eine Abmahnung in Verbindung mit einer Therapie des Mitarbeiters, angewendet werden, bevor Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis beenden können. Erst wenn der Betroffene die Therapie abbrechen muss oder der Arbeitnehmer nach Ende der Therapie rückfällig wird, liegt die von der Rechtsprechung geforderte negative Gesundheitsprognose vor, die eine krankheitsbedingte Kündigung rechtfertigen kann.
Arbeitgeber sollten deshalb bei Verdacht auf Suchterkrankung frühzeitig und trotz der hohen Sensibilität des Themas in jedem Einzelfall Möglichkeiten erörtern, ob und wie der Mitarbeiter so geheilt werden kann, dass er seine Arbeit dauerhaft weiterhin ausführen kann. Erst nach dem Scheitern entsprechender Versuche oder im Falle der Verweigerung des Mitarbeiters können dann kündigungsrechtliche Maßnahmen ergriffen werden.