Konsultation der EU-Kommission zu standardessenziellen Patenten und FRAND
Veröffentlicht am 31st Mar 2022
Hintergrund
Am 14. Februar 2022 eröffnete die EU-Kommission (Generaldirektion GROW) eine Sondierung zur Folgenabschätzung und eine öffentliche Konsultation zu einem neuen Rahmen für standardessenzielle Patente (mehr zur Initiative hier). Bei standardessenziellen Patenten (SEP) handelt es sich um Patente, die Technologien schützen, welche für manche Branchen unverzichtbar sind und daher gewissermaßen zu einem „Standard“ geworden sind. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung (siehe unter anderem das Urteil des EuGH vom 16. Juli 2015, Az. C-170/13) können Patentinhaber solcher SEP verpflichtet sein, Lizenzen für ihre geschützten Technologien an die Anwender zu vergeben.
Diese Lizenzen müssen „Fair, Reasonable and Non-Discriminatory“ (FRAND) sein. Hierzu entwickelte der EuGH in seiner Entscheidung für den Verhandlungsablauf eine Art „Pingpong-Verfahren“, wie sich Parteien im Rahmen von Lizenzverhandlungen um die Benutzung eines standardessenziellen Patents zu verhalten haben. Dabei stellte der EuGH klar, dass beide Parteien gleichermaßen für den Abschluss einer FRAND-Lizenz verantwortlich seien: Zunächst habe der SEP-Inhaber den vermeintlichen Benutzer des Patents auf die angebliche Rechtsverletzung hinzuweisen, woraufhin dieser seine Lizenzbereitschaft zu FRAND-Bedingungen zu erklären habe. Schließlich müsse der SEP-Inhaber dem Benutzer des Patents ein Lizenzangebot unter Angabe der Art und Weise der Berechnung der Lizenzgebühr unterbreiten, auf das dieser sodann gemäß den im jeweiligen Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und Grundsätzen nach Treu und Glauben zu reagieren habe. Was der EuGH konkret unter den FRAND-Bedingungen versteht, ist bis heute allerdings nicht gänzlich geklärt. Vielmehr ist es Sache der nationalen Gerichte, die FRAND-Kriterien auszulegen und anzuwenden.
In seiner ersten FRAND-Entscheidung nach dem EuGH-Urteil, die „FRAND I“-Entscheidung, gab der BGH unter anderem einen strengen Maßstab für den Inhalt der Lizenzbereitschaftserklärung vor (BGH, Urt. v. 5. Mai 2020, Az. K ZR 36/17, zur Entscheidung FRAND I vgl. hier). Demnach müsse eine klare, ernsthafte und eindeutige Erklärung zur Lizenzbereitschaft geäußert werden. Die Vorgaben des EuGH im Fall Huawei ./. ZTE dürften insgesamt jedoch nicht zu einer schematischen Formalisierung des Verhandlungsprozesses führen.
Mit seinem FRAND II-Urteil (BGH, Urt. v. 24. Nov. 2020, Az. K ZR 35/17) konkretisierte der BGH die Anforderungen an die Lizenzwilligkeit: „Die Lizenzwilligkeit des Verletzers darf sich grundsätzlich ebenso wenig wie die Lizenzierungsbereitschaft des Patentinhabers in der einmaligen Bekundung des Lizenzierungsinteresses oder der Vorlage eines (Gegen-) Angebots erschöpfen“. Weiterhin stellte er fest, dass bei Fehlen der Lizenzwilligkeit des Lizenznehmers eine Patentverletzungsklage des SEP-Inhabers keinen Missbrauch der Marktmacht darstelle.
Im Ergebnis bringen auch die FRAND-Urteile des BGH wenig Klarheit für die Praxis, insbesondere zu der zentralen Frage, welche Verhaltensweisen und Lizenzvereinbarungen im Einzelfall nun fair, zumutbar und nichtdiskriminierend sind.
Die rechtlichen Herausforderungen, die mit der Lizenzierung von SEPs einhergehen, ergeben sich auch in den anderen EU-Mitgliedsstaaten. Die Relevanz von SEP ist aktuell so hoch wie noch nie. Die Zahl der registrierten SEP sowie der Anwender nimmt kontinuierlich zu. Ein reibungsloses Lizenzierungssystem ist unverzichtbar geworden. Jedoch führen unter anderem die Unsicherheiten aufgrund unklarer FRAND-Kriterien, fehlende Offenlegungen der Lizenzverhandlungen und eine fehlende Überprüfung der Essenzialität der patentierten Technologie bei der Anmeldung eines Patentes zu einer ineffizienten Lizenzierungspraxis und damit auch zu Hindernissen bei der Entwicklung und Durchsetzung von Standards in Europa.
Mit der jüngsten Konsultation möchte die EU-Kommission unter anderem ein wenig Licht ins Dunkel bringen. Es soll ein fairer und ausgewogener Rahmen für die Lizenzierung angestrebt werden. Zu diesem Zweck können legislative und nichtlegislative Maßnahmen kombiniert werden.
Inhalt der Konsultation
Ziel der Konsultation ist es, Rechtssicherheit und Transparenz zu erhöhen sowie die Fragmentierung und Transaktionskosten zu verringern.
Der 65-seitige Konsultationsfragebogen ist in sieben Abschnitte aufgeteilt:
- Allgemeine Fragen
Der erste Abschnitt befasst sich mit den Auswirkungen der SEP-Lizenzierungen und den FRAND-Gerichtsverfahren auf Start-ups und KMU. - Lizenzierungsverfahren
Die Fragen in Bezug auf das Lizenzierungsverfahren zielen darauf ab, Umfang und Dauer eines solchen Verfahrens in räumlicher und zeitlicher Hinsicht zu erfassen. Dabei stehen der Kostenaufwand und die Beweggründe der Parteien im Vordergrund. - Probleme im Zusammenhang mit der Lizenzierung von SEP
In diesem Block werden die typischen Probleme bei den Lizenzverhandlungen sowie Ausschlusskriterien für die Nutzung eines Standards eruiert. Dazu sollen jeweils Hold-Up-Verhaltensweisen von SEP-Inhabern und Anwendern spezifiziert werden. Solche Hold-Up-Verhaltensweisen seitens des SEP-Inhabers können beispielsweise die Verweigerung zur Offenlegung der Lizenzbedingungen mit anderen Unternehmen, die Verweigerung zur Lizenzerteilung sein oder aber die Verweigerung, eine Lizenz zu einem bestimmten Preis anzubieten. Seitens des Anwenders kommen als mögliche Hold-Up-Verhaltensweisen unter anderem die Einforderung von unangemessen vielen Informationen, das Ignorieren von Benachrichtigungen des SEP-Inhabers oder die wiederholte Anforderung von Informationen in Betracht. - Transparenz
Hier werden Fragen rund um die Art und Weise der Offenlegung von Informationen durch den SEP-Inhaber, den Anwender sowie sog. Patentpools gestellt. Darüber hinaus geht es hier maßgeblich um eine mögliche Schaffung eines Lizenzvereinbarungsregisters. Hierzu werden Nutzen/Vorteile eines solchen Registers, Zugangsberechtigungen für das Register (etwa Richter, Schiedsrichter, Schlichter, Rechtsanwälte oder Behörden) sowie der Informationsumfang (z. B. zu Laufzeiten der Lizenzen, Berechnungsmethoden für Lizenzgebühren, Zahlungsvereinbarungen, lizenzierte SEPs und Produkte, geographischer Anwendungsbereich und anwendbares Recht) abgefragt. - Essenzialität
Im Zusammenhang mit „Essenzialität“ beschäftigt sich der Fragenkatalog mit einer möglichen Einführung einer sog. Essenzialitätsprüfung. Abgefragt werden etwaige Nutzen/Vorteile (beispielsweise bezüglich der Aushandlung einer Lizenzgebühr oder Erleichterung der Lizenzvereinbarungen), die Verantwortlichkeiten (wie z.B. Europäisches Patentamt, nationale Patentämter, spezialisierte Kanzleien oder eine Kombination aus mehreren Stellen) sowie typische Herausforderungen einer solchen Implementierung. Außerdem ermittelt die Kommission Vorschläge, wie und in welchem Umfang die angemeldeten SEP-Familien auf ihre Essenzialität hin überprüft werden können. - FRAND
Ziel dieses Abschnitts ist es, das Lizenzierungsverfahren effizienter, transparenter und berechenbarer zu gestalten, die bisher noch eher schwammigen FRAND-Kriterien zu konkretisieren und herauszufinden, inwieweit die Betroffenen Kenntnis über die FRAND-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs haben.
Die Fragen sind vielfältig. Soll sich die Beurteilung einer fairen und zumutbaren Lizenz beispielsweise an dem Mehrwert der Technologie ausrichten oder ist die Funktion des Standards ausschlaggebend? Soll sich die Definition von fairen und zumutbaren Kriterien am Einzelfall orientieren oder sollten vielmehr einheitliche Standardkriterien entwickelt werden? Wann liegen diskriminierungsfreie Preisspannen und Lizenzbedingungen vor? Befinden sich unterschiedliche Unternehmen schon dann in einer ähnlichen Lage, wenn sie im selben Zeitraum eine Lizenz erwerben, oder erst, wenn sie auf derselben Stufe in der Wertschöpfungskette tätig sind und die gleiche Funktion des Standards nutzen? Auf welcher Ebene soll die Lizenzvergabe stattfinden oder dürften SEP-Inhaber eine Lizenzvergabe sogar ganz verweigern? Dies ist nur ein Teil der Fragen, mit denen sich dieser Abschnitt unter anderem beschäftigt.
Ein weiteres Augenmerk wird auf die Lizenzwilligkeit, die Lizenzbereitschaftserklärung sowie auf das vom EuGH entwickelte „Verhandlungs-Verfahren“ gelegt. Zudem wird erfragt, ob es ratsam erscheint, innerhalb dieses Verfahrens eine Frist für jede Phase einzuführen. - Durchsetzung
Der letzte Abschnitt widmet sich der Bedeutung von Gerichts- und Schiedsverfahren in FRAND-Streitigkeiten. Im Fokus steht hier zunächst die Festlegung der Zuständigkeit einer Schlichtungsstelle sowie der anwendbaren Verfahrensregeln. Als zuständige Schlichtungsstelle kommen beispielsweise die Schlichtungsstelle der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), der Internationale Schiedsgerichtshof der Internationalen Handelskammer (ICC), der Internationale Schiedsgerichtshof in London (LCIA), ein künftiges Mediations- und Schiedszentrum für Patentsachen bei dem neuen Einheitlichen Patentgericht oder ein Ad-hoc-Schiedsverfahren auf der Grundlage einer Liste unparteiischer und von einer Behörde zugelassener Schiedsrichter in Betracht. Außerdem soll beurteilt werden, wie umfassend die gerichtlichen Kompetenzen in Bezug auf die Überprüfung der FRAND-Bedingungen künftig sein sollten. Des Weiteren werden die Teilnehmer gebeten, anzugeben, unter welchen Voraussetzungen sie am ehesten ein Schiedsverfahren in Anspruch nehmen würden und wie dieses transparent ausgestaltet werden könnte. Abschließend wird nach möglichen Auswirkungen der SEP-Lizenzierungen auf Innovationen gefragt.
Ausblick
Die EU legt den Fokus auf die Stärkung des europäischen Patentrechts. Die SEP-Lizenzierung auf globaler Ebene zu fördern, einen reibungslosen Zugang zu standardisierten Technologien zu ermöglichen sowie mit anderen Regionen und Drittländern, einschließlich Japan und den USA, zusammenzuarbeiten, stellen dabei ein wichtiges Instrument dar. Ziel ist es, ein nachhaltiges Ökosystem für SEP-Lizenzierungen zu implementieren. Die Konsultation läuft bis zum 9. Mai 2022.