Keine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Teilnahme an Personalgesprächen während attestierter Arbeitsunfähigkeit

Veröffentlicht am 6th Dez 2016

Ein krankgeschriebener Arbeitnehmer ist regelmäßig nicht verpflichtet, auf Anweisung des Arbeitgebers im Betrieb zu erscheinen, um dort an einem Personalgespräch teilzunehmen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass eine solche Teilnahme nur dann verpflichtend ist, wenn sie aus betrieblichen Gründen unverzichtbar und der Arbeitnehmer zur Teilnahme gesundheitlich in der Lage ist (Entscheidung vom 2. November 2016 – 10 AZR 596/15).

Der Sachverhalt

Der Kläger war ursprünglich bei der Beklagten als Krankenpfleger angestellt. Nach einem Arbeitsunfall wurde er befristet als medizinischer Dokumentationsassistent beschäftigt.

Von Ende November 2013 bis Mitte Februar 2014 war der Kläger wiederholt arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte lud den Kläger daraufhin schriftlich zu einem Personalgespräch am 6. Januar 2014 ein. Der Kläger nahm an diesem Gespräch unter Verweis auf seine ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit nicht teil.

Die Beklagte lud den Kläger sodann erneut zu einem Personalgespräch am 11. Februar 2014 ein. Dabei forderte sie den Kläger auf, seine gesundheitlichen Hinderungsgründe unter Vorlage eines speziellen ärztlichen Attests nachzuweisen. Auch zu diesem Personalgespräch erschien der Kläger nicht und wies dabei erneut auf seine Arbeitsunfähigkeit hin.

Im Anschluss daran mahnte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 18. Februar 2014 ab. Der Kläger klagte auf Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte.

In den Vorinstanzen wurde der Klage stattgegeben.

Die Entscheidung

Die Revision der Beklagten vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte keinen Erfolg.

Nach Ansicht des BAG bestehe zwar grundsätzlich die Pflicht zur Teilnahme an einem vom Arbeitgeber während der Arbeitszeit im Betrieb angewiesenen Gespräch, wenn dessen Gegenstand, Inhalt, Ort und Zeit der zu erbringenden Arbeitsleistung ist und diese Arbeitsbedingungen nicht anderweitig festgelegt sind (§ 106 GewO).

Erkrankte Arbeitnehmer erhalten während ihrer Arbeitsunfähigkeit Lohnfortzahlung und müssten in dieser Zeit ihrer Arbeitspflicht nicht nachkommen. Dies befreie die Arbeitnehmer auch von der Pflicht, im Betrieb zu erscheinen oder sonstige Nebenpflichten zu erfüllen, die mit ihrer Hauptleistung unmittelbar zusammenhängen.

Dennoch sei es dem Arbeitgeber nicht ausnahmslos verwehrt, mit dem erkrankten Arbeitnehmer in einem zeitlich angemessenen Umfang in Kontakt zu treten, um mit ihm die Möglichkeiten der weiteren Beschäftigung nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit zu besprechen. Daran müsse der Arbeitgeber allerdings ein berechtigtes Interesse haben.

Nimmt der Arbeitgeber Kontakt zum erkrankten Arbeitnehmer auf und bittet ihn zu einem Gespräch in den Betrieb, so sei der arbeitsunfähige Arbeitnehmer jedoch nicht verpflichtet, zu diesem Gespräch mit dem Arbeitgeber zu erscheinen. Eine Pflicht zum Erscheinen bestehe nur, wenn dies ausnahmsweise aus betrieblichen Gründen unverzichtbar sei und der gesundheitliche Zustand des Arbeitnehmers dies zulasse.

Für diese Unverzichtbarkeit des Erscheinens im Betrieb sei die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet. Die Beklagte habe solche betrieblichen Gründe jedoch nicht aufgezeigt.

Daher habe der Kläger der Aufforderung der Beklagten, im Betrieb zu einem Personalgespräch zu erscheinen, nicht folgen müssen. Die Abmahnung sei zu Unrecht in die Personalakte des Klägers eingetragen worden. Der Kläger könne die Löschung aus seiner Personalakte verlangen.

Hinweise für die Praxis

Das Bundesarbeitsgericht hat mit dem vorliegenden Urteil eine konsequente Entscheidung getroffen.

Wenn ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht nicht erbringen muss, so kann für die Teilnahme an einem Personalgespräch während der Erkrankung nichts anderes gelten.

Dennoch wird dem Bedürfnis des Arbeitgebers, die weitere Beschäftigungssituation des Arbeitnehmers mit diesem abzuklären, dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass er durchaus mit dem Arbeitnehmer in Kontakt treten kann, wenn der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran hat.

Ein solches berechtigtes Interesse des Arbeitgebers könnte sich z.B. daraus ergeben, dass der Arbeitgeber ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM-Verfahren) nach § 84 Abs. 2 SGB IX durchführen muss. Ein solches „BEM-Verfahren“ ist immer dann erforderlich, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig gewesen ist. Der Arbeitgeber muss in einem solchen Fall, unter Beteiligung des betroffenen Arbeitnehmers und des Betriebsrats, klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.

In einem solchen Fall kann der Arbeitgeber den betroffenen Arbeitnehmer durchaus telefonisch oder schriftlich kontaktieren, ohne ihn jedoch zu einem Gespräch zwingen zu können.

Eine verpflichtende Aufforderung zum Personalgespräch durch den Arbeitgeber während der andauernden Krankheit kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn zwingende betriebliche Gründe bestehen und der Arbeitnehmer gesundheitlich zur Teilnahme in der Lage ist.

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* Dieser Artikel entspricht dem aktuellen Stand zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung und spiegelt nicht notwendigerweise den aktuellen Stand des Gesetzes / der Regulatorik wider.

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