Gewerblicher Rechtsschutz / IP

Keine mittelbare Patentverletzung bei bloßen Verschleißteilen

Veröffentlicht am 27th Jan 2023

Die letzte Entscheidung des BGH zur patentrechtlichen Abgrenzung eines zulässigen bestimmungsgemäßen Gebrauchs von einer unzulässigen Neuherstellung liegt bereits über fünf Jahre zurück. Nun hat der BGH in seiner Entscheidung Scheibenbremse II (Urt. v. 8. Nov. 2022, Az. X ZR 10/20) diese Abgrenzungsfrage weiter ausdifferenziert und hebt das Urteil der Vorinstanz damit auf (OLG Düsseldorf, Urt. v. 23. Jan. 2020, Az. 2 U 13/19).

Die Entscheidung hat aus patentrechtlicher Sicht erhebliche Auswirkungen auf den Handel mit Verschleißteilen und sorgt dort für mehr Wettbewerb. Zugleich werden die Voraussetzungen für eine mittelbare Patentverletzung erhöht.
 

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Der Sachverhalt

Das Klagepatent schützt eine Scheibenbremse, die unter anderem aus einem Bremsträger und in einer bestimmten Art ausgebildeten Verschleißblechen besteht. Bereits nach dem Anspruchswortlaut des Klagepatents sind die Verschleißbleche zum Austausch vorgesehen.
Die Beklagte vertreibt Bremsbelagsätze als Ersatzteile, welche für Scheibenbremsenmodelle der Klägerin geeignet sind. Bestandteile des gelieferten Sets sind unter anderem zwei Verschleißbleche.

Hierin erblickt die Klägerin eine mittelbare Patentverletzung. Die Vorinstanzen haben eine solche mittelbare Patentverletzung bejaht. Der BGH sieht dies nun anders.

Die Entscheidungsgründe

Rechtlicher Dreh- und Angelpunkt der Entscheidung ist der sog. Erschöpfungsgrundsatz. Diesem liegt eine Interessenabwägung zugrunde, bei der das Patentinhaberinteresse an der wirtschaftlichen Verwertung der Erfindung gegen die Allgemeininteressen am ungehinderten Gebrauch eines zuvor mit Zustimmung des Patentinhabers in Verkehr gebrachten Erzeugnisses - im vorliegenden Fall die Scheibenbremsen - abgewogen wird.

In diesem Zusammenhang kann nach ständiger Rechtsprechung eine Handlung in der Regel nur dann einer Neuherstellung gleichkommen, wenn sich die technischen Wirkungen der Erfindung gerade in dem ausgetauschten Teil widerspiegeln, weil dann der technische oder wirtschaftliche Vorteil der Erfindung erneut verwirklicht wird.

Der BGH hat dies nun präzisiert und geurteilt, dass sich die technischen Wirkungen einer Erfindung in bestimmten Teilen nur dann widerspiegeln und deren Einbau zu einer die Erschöpfungswirkung verdrängenden Neuherstellung führt, wenn diese in besonderer, auf die Erfindung abgestimmter Weise ausgestaltet sind, um die ihnen zukommende Funktion erfüllen zu können. Dies kann zum Beispiel - muss aber nicht - durch eine besondere Formgebung des auszutauschenden Teils erreicht werden.

Die Voraussetzungen sind laut dem BGH jedoch nicht erfüllt, wenn die maßgebliche Wirkung der zu beurteilenden Teile allein darin besteht, dass sie verschleißen. Durch den Austausch eines bestimmungsgemäß als Verschleißteil ausgebildeten - und hierauf beschränkten - Bauteils würde dem betroffenen Erzeugnis keine technische Funktion hinzugefügt. Es würden lediglich erneut die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass das Erzeugnis die angestrebte Lebensdauer erreichen könne. Diese Erhaltung der Lebensdauer gehöre aber zu denjenigen Handlungen, zu denen ein rechtmäßiger Erwerber und dessen Nachfolger grundsätzlich befugt seien. Eine hiervon abweichende Beurteilung komme nur in Betracht, wenn die Erfindung weitergehende Wirkungen habe und sich zumindest eine dieser Wirkungen in dem ausgetauschten Teil widerspiegele. 
Das vom BGH entwickelte Regel-/Ausnahme-Verhältnis würde in sein Gegenteil verkehrt werden, wenn dem Patentinhaber auch der Austausch eines bloßen Verschleißteils vorbehalten bliebe; dies würde zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der berechtigten Abnehmerinteressen führen.

Fazit

Der Entscheidung ist im Ergebnis zuzustimmen. Der BGH verneint mit überzeugenden Argumenten das Vorliegen einer patentrechtlichen Neuherstellung, weil es sich bei den auszutauschenden Verschleißblechen gerade nur um Verschleißteile handelt, die im Laufe der Zeit ausgetauscht werden müssen (selbst nach der patentgemäßen Lehre). In der Folge ordnet der BGH den Austausch der streitgegenständlichen Verschleißbleche damit richtigerweise dem bestimmungsgemäßen Gebrauch der patentgemäßen Scheibenbremsen zu, weshalb die Abnehmer der Scheibenbremse noch als „berechtigt“ im Sinne von § 10 Abs. 1 PatG anzusehen sind. 

Die Entscheidung kann für Verschleißteile als Grundsatzentscheidung bezeichnet werden. Aus diesem Grund ist sie auch zu Recht für die Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs (BGHZ) vorgesehen. Der Wettbewerb im Handel mit Verschleißteilen dürfte mit dieser Entscheidung gefördert werden.

Aufgrund der Forderung einer zusätzlichen technischen Funktion etabliert der BGH zugleich eine Art Stufenprüfung im Tatbestand der mittelbaren Patentverletzung. Die Anforderungen an eine mittelbare Patentverletzung werden dadurch erhöht.

Unser Experte für Patentrecht, Dr. Stephan Reisner, hat die Entscheidung in der Zeitschrift GRUR (Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht) kommentiert. Eine noch detailliertere Analyse des Urteils finden Sie daher in Reisner, GRUR 2023, 137 ff. - Verschleißteile im Kontext einer mittelbaren Patentverletzung und des Erschöpfungsgrundsatzes. Zugleich Besprechung von BGH „Scheibenbremse II“.
 

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* Dieser Artikel entspricht dem aktuellen Stand zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung und spiegelt nicht notwendigerweise den aktuellen Stand des Gesetzes / der Regulatorik wider.

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