Interview mit Gerhard Feldmeyer
Veröffentlicht am 2nd Okt 2019
Freischaffende Künstler, Architekten oder Kuratoren müssen sich in einer immer digitaleren Welt neuen Herausforderungen stellen und ihr Handeln neu ausrichten. Im Rahmen der Expo Real möchten wir Ihnen anhand einer Interviewreihe mit ausgewählten Akteuren aus Kunst, Kultur und Wirtschaft die Wechselwirkung zwischen Kunst und Digitalisierung aufzeigen und Ihnen so die Möglichkeit eines Perspektivwechsels geben.
Im zweiten Teil unserer Interviewreihe haben wir mit Gerhard Feldmeyer, Senior Partner des in Düsseldorf ansässigen internationalen Architektenbüros HPP, gesprochen. In seinem Interview erzählt er uns wie sich die Arbeitswelt von morgen unter den Aspekten des Umweltschutzes und der gesellschaftlichen Anforderungen entwickeln wird, und welches Potential die Digitalisierung hierbei bietet.
Wird sich die Bedeutung, die die Architektur für den Menschen seit jeher hat, durch die Digitalisierung verändern?
Nicht grundsätzlich, eine Wohnung sollte auch in der heutigen Zeit den Bewohnern Geborgenheit, Schutz und Sicherheit geben.
Das Medium, das der entwerfende Architekt nutzt, hat aber sehr wohl Auswirkungen auf die gebaute Realität. Mit einem Kohlestift entsteht eine andere Architektur als mit „Maus“ und „Rechner“. Die Tatsache, dass die ganze Welt die gleichen digitalen Werkzeuge nutzt und über die gleiche Information verfügt, führt dazu, dass kulturelle Unterschiede zunehmend eliminiert werden. Wir müssen heute stärker reflektieren, weil es keine Konventionen mehr gibt um sicherzustellen, dass die Architektur ihre kulturelle Bedeutung nicht verliert.
Es gehört zur Haltung unseres Büros, bei jedem Projekt die Frage zu stellen, „wie muss ein Haus für den jeweiligen konkreten Ort aussehen, wie kann es in Dialog mit seinem physischen und spirituellen Kontext treten, welche Geschichte kann es letztlich erzählen?“ und „welche kulturelle und soziale Relevanz hat es?“. Menschen müssen sich mit ihrer gebauten Umwelt identifizieren können - bewusst oder unbewusst - um sie als Heimat zu empfinden.
„Für viele Menschen ist der persönliche Arbeitsplatz aber nach wie vor Ausdruck von Wertschätzung."
Welchen Einfluss hat die Digitalisierung bzw. die digitale Transformation unserer Gesellschaft auf das Design und die Ästhetik von Gebäuden?
Auch die Transformation der Architektur - aus der rein handwerklichen - in die Ära der industriellen Fertigungsprozesse, die im Übrigen immer noch nicht abgeschlossen ist, hat die Ästhetik der Gebäude stark verändert. Dafür hatte die Menschheit aber Jahrzehnte - wenn nicht Jahrhunderte - Zeit. Unsere Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten sind bekanntlich genetisch verankert und verändern sich nur langsam. Die Fähigkeit des Menschen, mit beschleunigten Veränderungsprozessen der gebauten Umwelt klarzukommen, sind meines Erachtens begrenzt. Im Umkehrschluss führt dies zu gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen, in denen Sozialisierungsprozesse eine immer größere Bedeutung gewinnen.
Die Ästhetik der Gebäude wird sich abgesehen von gewissen retardierenden Momenten weiter verändern. Im Zuge des parametrischen Entwerfens wird der Architekt zunehmend zum Programmierer und die Architektur in gleichem Maße ein Produkt von Algorithmen.
Werden wir einen Wandel des Inneren und Äußeren von Geschäfts- und Wohnraum erfahren?
Den gab es schon immer – allerdings verlief er jahrzehntelang linear. Heute stellen wir eine zunehmende Beschleunigung bis hin zu einer exponentiellen Entwicklung fest. Gebäude und Quartiere müssen multifunktionaler, flexibler und reversibler werden. Das Thema Gesundheit als Spitze der Bedarfspyramide spielt in unserem Wohn- und Arbeitsumfeld eine zunehmende Rolle. Die Verwendung giftfreier Baustoffe und Materialien wird zur Regel. Der Innenraumluftqualität wird endlich die gleiche Beachtung geschenkt wie der Luftqualität im Freien. Tageslichtqualität und akustischer Komfort werden zentrale Qualitätsmerkmale. Das Ganze wird im Sinne von Smart Building gesteuert. Das Arbeiten wird agiler. Jeder wird seinen Arbeitstag individuell gestalten und braucht dafür eine möglichst vielfältige Arbeitswelt. Open Space und Zellenbüro existieren in harmonischer Koexistenz. Über Allem steht das Bedürfnis nach Kommunikation und Vernetzung.
Das Prinzip des Teilens wird nicht nur die Mobilität prägen, sondern auch die Arbeits- und Wohnwelt erfassen. Der öffentliche Raum wird stärker in den Arbeits- und Wohnalltag einbezogen, und gewinnt an Bedeutung für die sozialen Kontakte. Die Gebäudehüllen übernehmen eine Vielzahl von neuen Funktionen: Energiegewinnung, CO² Bindung durch Begrünung, Feinstaubbindung durch neuartige Oberflächen. Gebäudehüllen müssen zukünftig auch einen Beitrag zur Verbesserung des Stadtklimas, insbesondere zur Vermeidung von Überhitzung, leisten. Nicht zuletzt wird das Thema Urban Mining-Gebäude als Rohstofflager zur Vermeidung von Sondermüll zur Regel.
Wohnen wir bald gar in lebenden Skulpturen?
Wenn die Algorithmen das eines Tages für sinnvoll erachten, ist alles möglich. Gebäude als lebende Skulpturen könnten die Fähigkeit haben, Treibhausgase z.B. durch künstliche Photosynthese zu reduzieren und Sauerstoff zu erzeugen. Teile der Erde werden mit herkömmlichen Gebäuden in weniger als 50 Jahren entweder durch Überhitzung oder zeitweise Überflutung nicht mehr bewohnbar sein. Lebende Strukturen bzw. lebende Skulpturen könnten dann eine Lösung sein.
Führen, durch die Digitalisierung hervorgebrachte neue Gebäudeentwürfe zu gänzlich neuen Gebäude- und damit Lebensformen der Menschen?
Digitalisierung ist das eine. Demografische Entwicklung, Bevölkerungsentwicklung, Migration und Klimawandel sind die eigentlichen Treiber. Digitalisierung könnte letztlich dazu beitragen, Lösungen für die großen Menschheitsfragen zu finden. Aktuell haben wir in vielen Bereichen Dopplungen bzw. Redundanzen. Statistisch hat jeder Fahrzeughalter zwei Stellplätze. Im Zusammenhang mit autonomem Fahren könnte ein Großteil der Stellplätze im öffentlichen Raum entfallen. Was für ein Potential für die Stadtentwicklung der Zukunft!
Nach dem Co-Working kommt das Co-Living. Die immer noch zunehmende Zahl von Ein-Personen Haushalten wird neue Wohnformen auf insgesamt weniger Fläche hervorbringen. Da die Veränderungszyklen von Städten und Gebäuden im Vergleich zur Digitalisierung immer noch sehr lang sind, wird es aber zu einer Koexistenz von traditionellen Wohn- und Arbeitsformen und futuristischen Gegenentwürfen kommen. Die Akzeptanz der Bevölkerung muss dabei ernst genommen werden. Nicht alles was möglich ist wird von der breiten Masse angenommen werden. Schon in den 1960er Jahren gab es Überlegungen, schwimmende Städte zu bauen, auch das könnte wieder interessant werden. Besitz und Eigentum verliert an Relevanz.
Wird die Trennung von Geschäfts- und Wohnraum, wie wir sie kennen, verschwinden?
Der erste Schritt, nämlich Wohnen, Arbeiten und Freizeit wieder in räumliche Zusammenhänge zu bringen, ist getan. Kapitalanleger akzeptieren nach Jahrzehnten der Ablehnung endlich sogenannte Mixed-use Immobilien. Sterile, stereotype Arbeitswelten gehören ebenfalls der Vergangenheit an. Zeitgemäße Arbeitswelten verfügen über formelle und informelle Arbeitsmöglichkeiten. Dieser Trend wird durch flexible und mobile Arbeitsmittel natürlich erheblich beschleunigt. Wir können überall arbeiten. Das Büro wird zu einem Ort der Kommunikation und Begegnung. Für viele Menschen ist der persönliche Arbeitsplatz aber nach wie vor Ausdruck von Wertschätzung. Homeoffice wird auf lange Sicht ein zusätzliches Angebot im Sinne einer gewünschten Flexibilisierung des Arbeitslebens, aber keineswegs die alleinige Glückseligkeit sein.
Lesen Sie hier den ersten Teil unserer Interviewreihe mit der Kuratorin Dr. Dan Xu.