Günstigkeitsprinzip und Sachgruppenvergleich – kein Rosinenpicken für Arbeitnehmer

Veröffentlicht am 7th Jul 2015

Treffen vertragliche Bezugnahmeklausel und beidseitige Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien aufeinander, findet grundsätzlich. das Günstigkeitsprinzip Anwendung. Der Vergleich im Einzelfall verlangt jedoch mehr als die bloße Gegenüberstellung einzelner Vertragsbestandteile. Es bedarf vielmehr eines Sachgruppenvergleichs, so das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung. (BAG, Urteil vom 15. April 2015 – 4 AZR 587/13).

Der Sachverhalt

Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di und bei der Beklagten beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag enthält einen Verweis auf die Tarifverträge der Deutschen Bundespost Telekom (Ost) in ihrer jeweils gültigen Fassung (sog. dynamische Bezugnahmeklausel).

Im Jahr 1995 ist das Arbeitsverhältnis des Klägers auf die Deutsche Telekom AG übergeleitet worden. Am 25. Juni 2007 erfolgte schließlich ein Betriebsübergang auf die Beklagte.

Am gleichen Tag schloss die Beklagte Haustarifverträge mit der Gewerkschaft ver.di ab, welche in verschiedenen Punkten von den arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifverträgen abweicht. Sowohl hinsichtlich der Arbeitszeit als auch der Entgelthöhe ergaben sich dadurch Unterschiede.

Der Kläger machte mit seiner Klage geltend, dass die in seinem Arbeitsvertrag in Bezug genommenen Tarifverträge auch durch den letzten Betriebsübergang nicht abgelöst worden sind. Diese seien hinsichtlich der Arbeitszeit (34 Stunden pro Woche bei höherem Stundensatz gegenüber 38 Stunden bei höherem Monatslohn) günstiger als die neu abgeschlossenen Tarifverträge und seien daher wegen des Günstigkeitsvergleichs vorrangig anwendbar. Des Weiteren hat er Entlohnung für Mehrarbeit von wöchentlich vier Stunden über einen Zeitraum von mehreren Monaten verlangt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat der Berufung des Klägers hingegen überwiegend stattgegeben.

Mit der Revision begehrten beide Parteien nun eine Abänderung des Urteils zu ihren Gunsten.

Die Entscheidung

Das BAG hat in seinem Urteil die Revision des Klägers zurückgewiesen und der der Beklagten weitgehend stattgegeben.

Die Bezugnahmeklausel des Arbeitsvertrags finde zwar trotz Betriebsübergang weiterhin Anwendung, der Günstigkeitsvergleich nach § 4 Abs. 3 TVG führe jedoch nicht zum Vorrang der arbeitsvertraglichen Regelung.

Zwar erfolge der Günstigkeitsvergleich nicht zwischen Arbeitsvertrag und Tarifvertrag insgesamt, aber auch die einzelnen Bestandteile der Verträge dürften nicht isoliert miteinander verglichen werden. Vielmehr müssten Sachgruppen gebildet und miteinander verglichen werden.

Ein Sachgruppenvergleich führe dazu, dass Arbeitszeit- und Entgeltbestimmungen zusammen eine Sachgruppe bildeten. Der in Bezug genommene Tarifvertrag sei dabei nicht günstiger als die neu abgeschlossenen, unmittelbar und zwingend geltenden Haustarifverträge.

Eine geringere Wochenarbeitszeit bei höherem Stundenlohn sei als Sachgruppe nicht zweifelsfrei günstiger als eine höhere wöchentliche Arbeitszeit bei insgesamt höherem Monatslohn. Die Bezugnahmeklausel könne sich daher nicht als günstigere Regelung durchsetzen.

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung wird dazu beitragen, dass zukünftig tarifvertraglich gefundene Vereinbarungen sich eher gegenüber individuell vereinbarten Arbeitsverträgen durchsetzen werden.

Das Urteil stellt klar, dass Arbeitszeit und Entgelt eine gemeinsame Sachgruppe für den nach § 4 Abs. 3 TVG zu erfolgenden Günstigkeitsvergleich bilden. 

Zudem geben die Richter mit ihrer Entscheidung vor, dass ein höherer Stundenlohn nicht automatisch als günstigere Reglung anzusehen ist – es entscheidet vielmehr das Gesamtbild.

Gelangt dieses Gesamtbild nicht eindeutig zu einem Günstigkeitsgefälle zwischen individualvertraglicher Regelung und Tarifvertrag, sondern entsteht eine Art „Pattsituation“, setzt sich die tarifvertragliche Vereinbarung durch.

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* Dieser Artikel entspricht dem aktuellen Stand zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung und spiegelt nicht notwendigerweise den aktuellen Stand des Gesetzes / der Regulatorik wider.

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