FAQ Coronavirus und Insolvenz

Veröffentlicht am 30th Mar 2020

Executive Summary

  • Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September 2020
  • Gilt nur für Unternehmen, die sich zum 31. Dezember 2019 nicht in einer wirtschaftlichen Krise befunden haben
  • Aussetzung der Insolvenzantragspflicht hat keine Auswirkungen auf gegenseitige Leistungspflichten
  • Einschränkung der Haftungsrisiken für Geschäftsleiter und Kreditgeber während der Zeit der Aussetzung
  • Erschwerung der späteren Insolvenzanfechtung zugunsten der Gläubiger für Unterstützung des Schuldners im Zeitraum der Aussetzung
  • Insolvenzantrag durch Gläubiger weiterhin möglich, aber erschwert

Coronavirus in Deutschland: Gesetzesänderungen im Insolvenzrecht

Das am 27. März 2020 beschlossene COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) sieht eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September 2020 sowie darauf beruhende Folgen für die Haftungsrisiken von Vertretungsorganen, die Insolvenzanfechtung und Gläubigerinsolvenzanträge vor.

Was ist neu?

Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags entfällt trotz Vorliegen eines Insolvenzgrundes (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung), wenn

  • die Insolvenzreife auf den Folgen der Corona-Pandemie beruht und
  • Aussichten darauf bestehen, dass eine bestehende Zahlungsunfähigkeit beseitigt wird.
Vorsicht: Befand sich das Unternehmen bereits vor dem Beginn der Pandemie in der Krise, gilt für einen Insolvenzantrag weiterhin die maximale Drei-Wochen-Frist ab Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Halten sich Geschäftsleiter nicht daran, drohen ihnen ernste straf- und zivilrechtliche Konsequenzen.

Wenn und soweit die Pflicht zur Antragstellung aufgrund der vorgenannten Voraussetzungen ausgesetzt ist, sieht der Gesetzesentwurf weitere Änderungen vor, um betroffenen Unternehmen die Möglichkeit zu geben, das Unternehmen fortzuführen und die Insolvenzreife zu beseitigen:

  • Betriebsnotwendige Zahlungen von Geschäftsleitern gelten als sorgfaltsgemäß im Sinne der entsprechenden Vorschriften des GmbHG, AktG, HGB und GenG.
  • Die Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraums gewährten neuen Kredits sowie die im Aussetzungszeitraum erfolgte Bestellung von Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite gelten bis zum 30. September 2023 als nicht gläubigerbenachteiligend und damit als anfechtungsfest.
    • Dies gilt auch für die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen und Zahlungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen
    • Keine Anwendung findet die Vorschrift jedoch auf die Besicherung von solchen Darlehen.
  • Der insolvenzrechtliche Nachrang von neuen Gesellschafterdarlehen und von Forderungen aus wirtschaftlich vergleichbaren Rechtshandlungen gilt für Insolvenzverfahren, die bis zum 30. September 2023 beantragt werden, als suspendiert.

Soweit die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt ist, sind Kreditgewährungen und Besicherungen im Aussetzungszeitraum nicht als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung anzusehen.

Soweit die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt ist, sind vertragsgemäße Zahlungen der späteren Anfechtung durch den Insolvenzverwalter weitestgehend entzogen. Erfasst sind auch:

  • Leistungen an Erfüllung statt oder erfüllungshalber,
  • Zahlungen durch einen Dritten auf Anweisung des Schuldners,
  • die Bestellung einer anderen als der ursprünglich vereinbarten Sicherheit, wenn diese nicht werthaltiger ist,
  • die Verkürzung von Zahlungszielen,
  • die Gewährung von Zahlungserleichterungen.
Vorsicht: Dies gilt nicht, wenn dem anderen Teil bekannt war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind. Allerdings muss sich der Gläubiger laut Gesetzesbegründung nicht davon überzeugen, dass der Schuldner geeignete Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen entfaltet. Nur die nachgewiesene positive Kenntnis von deren Fehlen oder von der offensichtlichen Ungeeignetheit soll den Anfechtungsschutz entfallen lassen.

Soweit die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt ist, führen auch Fremdanträge nur zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, wenn der Eröffnungsgrund bereits am 1. März 2020 vorlag. Dies gilt nur für Fremdanträge, die innerhalb von drei Monaten ab einem Tag nach der Verkündung des Gesetzes gestellt werden.

Welche Risiken bestehen weiterhin für Unternehmen in der Krise?

Den Nachweis, dass es zwischen der Corona-Pandemie und dem Eintritt eines Insolvenzgrundes einen Zusammenhang gibt, wird im Einzelfall schwer zu erbringen sein. Etliche Unternehmen standen schon vorher vor Liquiditätsproblemen oder befanden sich in der Restrukturierung. Für diese Unternehmen gelten die Gesetzesänderungen aber gerade nicht.

  • Zwar kommt den betroffenen Unternehmen eine gesetzliche Vermutung zugute, wonach davon ausgegangen wird, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der Corona-Pandemie beruht, wenn zum 31. Dezember 2019 kein Insolvenzgrund bestand. Eine Widerlegung dieser Vermutung soll laut Gesetzesbegründung nur in Betracht kommen, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die Corona-Pandemie nicht ursächlich für die Insolvenzreife war und eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit nicht gelingen konnte.
  • Die gesetzliche Vermutung ändert jedoch nichts daran, dass weiterhin der Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit maßgeblich für den Ausgang eines späteren Rechtsstreits ist.
Tipp: Dokumentieren Sie Ihre wirtschaftliche Lage sorgfältig. Wenn Sie ein akutes Insolvenzrisiko feststellen, nehmen Sie umgehend Kontakt zu einem insolvenzerfahrenen Rechtsanwalt auf.

Welche Risiken bestehen weiterhin für Gläubiger von Unternehmen in der Krise?

Zwar soll das Gesetz auch die Vertragspartner von betroffenen Unternehmen, wie beispielsweise Vermieter und Lieferanten schützen. Insbesondere sollen sie nicht befürchten, erhaltene Zahlungen im Falle des Scheiterns von Sanierungsbemühungen des Unternehmens in der Krise aufgrund einer Anfechtung zurück zahlen zu müssen.

Es besteht jedoch weiterhin ein erhebliches Anfechtungsrisiko, da das Greifen der Privilegien von verschiedenen Voraussetzungen abhängig gemacht wird, deren Nachweis im Ergebnis schwierig sein wird. Weiterhin anfechtbar sind auch im Gesetz nicht genannte inkongruente Geschäfte, d. h. solche, die nicht den ursprünglich vertraglich vereinbarten Regelungen entsprechen.

Tipp: Lassen Sie sich die Zahlungsfähigkeit zum 31. Dezember 2019 durch eine Erklärung der Geschäftsführung oder Bestätigung eines Steuerberaters nachweisen. Bestehen Sie, wenn möglich auf Vorkasse und nutzen Sie Verrechnungsmöglichkeiten.

Können die Maßnahmen verlängert werden?

Das COVInsAG enthält eine Verordnungsermächtigung, wonach die Insolvenzantragspflicht sowie die Regelungen zu Fremdanträgen höchstens bis zum 31. März 2021 verlängert werden können.

Welche Regeln sollten stets beachtet werden, wenn sich ein Unternehmen in der Krise befindet?

Aufgrund der weiterhin bestehenden Schwierigkeiten hinsichtlich des Nachweises der Kausalität und der Prognostizierbarkeit der weiteren Entwicklungen, sollten Betroffene sowohl als Schuldner als auch als Gläubiger stets folgenden Handlungsempfehlungen beachten.

Wie verhalte ich mich in der Krise meines Vertragspartners?

(a) Wie verhalte ich mich, wenn es sich um einen wichtigen Vertragspartner handelt?

  • Vorkasse vereinbaren und regelmäßig abrechnen

    Grund: Leistungen des späteren Insolvenzschuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen fließt, sind nicht anfechtbar. Voraussetzung ist stets, dass der Leistungsaustausch innerhalb von 30 Tagen nach Lieferung und Leistung vollständig vollzogen ist, d.h. der Vorschuss muss innerhalb von 30 Tagen abgerechnet werden.

    Bestehen bereits Zahlungsrückstände, muss der Schuldner eine Tilgungsbestimmung treffen, damit nicht auf die älteste Schuld gezahlt wird, die gegebenenfalls älter als 30 Tage ist.

  • Prüfung, ob Verrechnungen möglich sind und wenn ja, Verrechnungen vornehmen.

    Grund: War ein Gläubiger zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits zur Aufrechnung berechtigt, verliert er dieses Recht durch die Eröffnung grundsätzlich nicht.

  • Bei Sanierungschance, Vertragspartner unterstützen durch
    • Tilgungsaussetzung
    • Ratenzahlungsvereinbarung
    • Stundungsvereinbarung
    • Verzicht auf Verrechnungen
  • Bei anhaltenden Zahlungsschwierigkeiten Maßnahmen zur Zwangsvollstreckung einleiten.

    Grund: Zwangsvollstreckungsmaßnahmen vor der Stellung des Insolvenzantrags sind regelmäßig anfechtungsfest, solange sie nicht innerhalb von drei Monaten vor Antragstellung erfolgt sind.

(b) Wie verhalte ich mich, wenn es sich um einen weniger wichtigen Vertragspartner handelt?

  • Kündigungsmöglichkeiten/Rücktrittsmöglichkeiten prüfen
  • Leistungsmängel für eine Loslösung vom Vertrag aufgrund von Vertragsverletzungen dokumentieren
  • Während etwaiger Kündigungsfrist
    • Vorkasse vereinbaren und regelmäßig abrechnen
    • Verrechnungsmöglichkeiten prüfen und Verrechnungen vornehmen
    • Zwangsvollstreckungsmaßnahmen unverzüglich einleiten.

Wie verhalte ich mich in der eigenen Krise?

(a) Welche Maßnahmen sollten stets ergriffen werden?

  • Reduzierung von Fixkosten auf das Betriebsnotwendige, d.h.:
    • Verträge, auf die verzichtet werden kann, unverzüglich kündigen
    • Nur betriebsnotwendige Verträge aufrechterhalten
  • Liquiditätsplanung mit Unterstützung des Steuerberaters erstellen
  • Gläubiger informieren und verhandeln über
    • Tilgungsreduzierungen
    • Mietreduzierungen
    • Stundungen
    • Ratenzahlungen
    • Aufrechterhaltung von Verträgen prüfen und Kündigungsmöglichkeiten nutzen
    • Verlängerung von Zahlungszielen gegenüber Gläubigern
  • Verhandeln Sie mit Ihren Schuldnern über Vorkasse oder Anzahlungen. Treiben sie ihre offenen Forderungen aktiv bei. Verkürzen Sie die gewährten Zahlungsziele gegenüber Ihren Schuldnern.

(b) Flucht in die Insolvenz?

Ist absehbar, dass eine Erholung des Unternehmens ohne Insolvenzverfahren nicht möglich ist, etwa weil eine Liquiditätskrise oder Restrukturierung schon bei Eintreten der Coronakrise bestand, sind frühzeitig Sanierungschancen zu prüfen. Dazu gehört auch eine Gesellschafterfinanzierung oder die Einleitung eines Investorenprozesses. Das Insolvenzverfahren ist die ultima ratio und sollte nicht ohne Beratung eingeleitet werden.

Rechtlicher Hinweis:

Die in diesem Memorandum angesprochenen Fragen sind sorgfältig geprüft worden. Dennoch übernimmt Osborne Clarke Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mbB keine Haftung für die hierin enthaltenen Informationen und rechtlichen Wertungen. Das Memorandum ersetzt keine individuelle Beratung im Einzelfall.

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* Dieser Artikel entspricht dem aktuellen Stand zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung und spiegelt nicht notwendigerweise den aktuellen Stand des Gesetzes / der Regulatorik wider.

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