EXPO REAL spezial: Bestandsschutz vs. Verkehrssicherungspflicht
Veröffentlicht am 1st Okt 2014
Bauliche Anlagen verlieren unter Umständen ihren Bestandsschutz, wenn sich die Bestimmungen der jeweils geltenden Landesbauordnung zwischenzeitlich geändert haben. Dies kann dazu führen, dass ein Gebäude nach heutigen Maßstäben nicht mehr verkehrssicher ist. Wann müssen die Eigentümer agieren und die baulichen Risiken beseitigen? Was müssen Verwalter und Makler wissen, wenn sie es mit älteren Bestandsgebäuden zu tun haben und wie ihre Kunden informieren und beraten?
In der Regel genießen bauliche Anlagen Bestandsschutz, wenn Sie dem zum Zeitpunkt der Errichtung geltenden Baurecht entsprechen und über eine entsprechende Baugenehmigung verfügen. Dies auch dann, wenn sich die Gesetze und Normen der jeweiligen Landesbauordnung zwischenzeitlich geändert haben. Dies gilt beispielsweise beim Trittschallschutz, der in den 1950er Jahren quasi nicht vorhanden, heute aber Bestandteil baurechtlicher Normen ist.
Es gibt aber auch Fälle, bei denen der Bestandsschutz nicht greift oder unabhängig vom Bestandsschutz eine zivilrechtliche Verkehrssicherungspflicht besteht.
Ein Konflikt zwischen Bestandsschutz und Verkehrssicherheit kann beispielsweise ein Treppengeländer aus den 1950er Jahren oder der Vorkriegszeit sein. Damals waren noch breiter auseinander liegende, vertikale Gitterstäbe und niedrigere Brüstungshöhen erlaubt. Auch Kellertreppen wurden früher sehr steil und mit schmalen Stufen gebaut. Zwischenzeitlich gibt es hierfür Normen, die befolgt werden müssen und gewisse Stufengrößen vorschreiben.
Immobilienerwerber müssen wissen, welche bevorstehenden Baumaßnahmen sie gegebenenfalls einplanen müssen, um diese Verkehrssicherungspflicht wieder herzustellen. Denn dies kann erhebliche Kosten nach sich ziehen, die sich entweder in einer Reduktion des Kaufpreises niederschlagen sollten oder dazu bewegen, lieber vom Kauf Abstand zu nehmen. Daher sollte bei größeren Immobilientransaktionen im Rahmen der Due-Diligence-Prüfung mit Experten wie Fachjuristen, Architekten und Bauingenieuren das Gebäude und seine Unterlagen daraufhin überprüft werden, ob in dieser Hinsicht Ausgaben bevorstehen könnten. Möglicherweise reicht es auch aus, wenn die neuen Eigentümer ihre Mieter über das Risiko unzulänglicher Verkehrssicherung informieren, damit sie aus der Haftung sind. Dies geht allerdings nur bei weniger gravierenden baulichen Unzulänglichkeiten, die keine unmittelbaren Gefahren nach sich ziehen.
Immobilienmakler müssen bei der Vermarktung einer Immobilie in Fragen nicht normerfüllender Bauteile keine Nachforschungen anstellen; das Weitergeben von Verkäuferangaben im Exposé ist ausreichend. Erkennt der Vermittler allerdings aufgrund seiner Qualifikation, etwa als Architekt, dass mögliche Verstöße gegen aktuelles Baurecht oder Verkehrssicherungspflichten vorliegen, muss er den Erwerber darüber informieren. Eine Anzeigepflicht gegenüber der zuständigen Behörde, in der Regel der Bauaufsicht, besteht allerdings nicht.
Kommen während der Vermittlungsphase durch Nachprüfungen entsprechende Informationen an den Tag, muss er ebenfalls seine Interessenten unverzüglich in Kenntnis setzen. Was er weiß und was die Kaufentscheidung eines Klienten beeinflussen kann, muss der Vermittler weitergeben.
Auch Verwalter sind gut beraten, für Objekte, die sie neu in ihre Liegenschaftsbetreuung übernehmen, vorab entsprechende Prüfungen durchzuführen. Denn auch sie können haften, wenn sich herausstellt, dass Verkehrssicherungspflichten verletzt oder geltendes Baurecht nicht eingehalten wird. Ist beispielsweise erkennbar, dass eine Wohnung gravierende Brandschutzmängel aufweist, ist zu prüfen, ob die Nutzung überhaupt genehmigt wurde und wenn ja, in dieser Form auch heute noch genutzt werden darf.
Bauliche Anpassungen vornehmen bei Gefahr für Leib und Leben
Eine bauliche Anlage genießt grundsätzlich Bestandsschutz, sofern sie die Anforderungen der Bauordnung erfüllen, die zum Zeitpunkt des Baus galten und hierfür eine entsprechende Baugenehmigung vorliegt. Die Baubehörde kann allerdings in bestimmten Fällen Anpassungen an das heute geltende Baurecht verlangen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn aufgrund des Bestandes eine konkrete für Leben und Gesundheit besteht. Es genügt dabei nicht, dass nur eine Abweichung vom aktuellen Baurecht und damit eine abstrakte Gefahr besteht. Vielmehr muss das Schadensrisiko recht hoch sein. Dies wird im Einzelfall entschieden und insbesondere in Fällen des Brandschutzes zu bejahen sein, so beispielsweise dann wenn ein zweiter baulicher Rettungsweg fehlt. Unterschreitet demgegenüber eine Balkonbrüstung die aktuelle Baunorm nur geringfügig, wird dies nicht dazu führen, dass der Freisitz mit einem Nutzungsverbot belegt wird. Ist die Brüstung hingegen wesentlich niedriger, könnte eine Nutzung verboten werden, bis ein neues Geländer in der aktuell geforderten Höhe eingebaut ist.
Die Richter des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg verlangten beispielsweise den Einbau einer neuen Treppe, weil die bisherige zu steil war (Az: I A 94/74). Auch eine unsichere, betagte Wendeltreppe zieht es eventuell nach sich, dass sie durch eine baurechtskonforme ersetzt werden muss, um das Risiko von Stürzen zu begrenzen (BayVGH Nr. 53 II 77). Auch Aufzüge ohne separate Fahrkorbtüren genügen nicht mehr der aktuellen Sicherheit und müssen unter Umständen durch neue Anlagen ersetzt werden (BVerwG I, Az: C 23/72).
Anpassungen bei baulichen Veränderungen
Ferner gibt es eine zweite Gruppe von Fällen, bei denen der Eigentümer ebenfalls tätig werden und die bauliche Anlage an das heute geltende Baurecht anpassen muss. So kann die Behörde nach Landesbauordnung eine Anpassung baurechtlich aktuell nicht konformer Bauteile verlangen, sofern der Eigentümer eine bauliche Veränderung vornimmt, die mit diesen betroffenen Teilen in einem konstruktiven Zusammenhang stehen. Plant er beispielsweise einen Dachausbau und sind die neuen Bewohner auf einen Fluchtweg durch den Keller angewiesen, dann muss er seine einfachen Kellertüren durch Feuerschutz-Türen ersetzen, welche die aktuellen Bauanforderungen erfüllen.
Gleiches gilt auch, wenn beim Dachausbau die in diese Etage führende nicht baurechtskonforme Treppe ersetzt werden muss. Sie steht im baulichen Kontext mit dem Ausbau. Es wird aber nicht verlangt werden können, dass in diesem Zusammenhang die Treppen des gesamten Hauses ersetzt werden müssen, falls sie nicht den aktuellen Baunormen entspricht und keine konkreten Gefahren hiervon ausgehen.
Dem Bauherrn dürfen aber in diesem Zusammenhang durch die Zusatz-Maßnahmen keine unzumutbaren Mehrkosten aufgebürdet werden. Als Anhaltspunkt dient die Regelung in einigen Landesbauordnungen, wonach der Mehrbetrag nicht mehr als 20 Prozent der eigentlichen Baukosten betragen darf (§ 85 Abs. 3 NBauO).
Es kommt auch vor, dass Kommunen fehlerhafte Baugenehmigungen erteilt haben und das Bauvorhaben deshalb schon dem damals geltenden Baurecht widersprochen hat. Auch in diesen Fällen kann unter Umständen die Verpflichtung bestehen, die bauliche Anlage an das heutige Recht anzupassen, da sich der Eigentümer gerade nicht auf Bestandsschutz berufen kann. In diesen Fällen kann – und muss dann auch – die Baubehörde die damalige Baugenehmigung zurücknehmen (§§ 48ff. VerwVfG), macht sich aber den betroffenen Immobilieneigentümer entschädigungspflichtig, wenn dieser auf den Bestand der (fehlerhaften) Baugenehmigung vertrauen durfte.