Europarechtliche Vorgaben für den auf entsandte Arbeitnehmer erstreckbaren Mindestlohn
Veröffentlicht am 27th Feb 2015
Der EuGH hat mit Urteil vom 12. Februar 2015 – C-396/13 – (Sähköalojen ammatttiliitto) entschieden, dass auf entsandte Arbeitnehmer auch ein nach Lohngruppen differenzierter Mindestlohn erstreckt werden kann. Zudem zieht er die Grenze zwischen erstreckbarem Mindestlohn und nicht erstreckbaren Kostenerstattungen genauer und äußert sich zum auf den Mindestlohn anwendbaren Recht.
Der Sachverhalt
Dem Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) lag die Klage einer finnischen Gewerkschaft gegen ein polnisches Unternehmen der Elektrobranche zu Grunde. Das polnische Unternehmen hatte Arbeitnehmer zu seiner finnischen Tochter nach Finnland entsandt, damit diese Elektroarbeiten auf der Baustelle eines Kernkraftwerkes ausführen konnten. Auf diese Arbeitnehmer wurde der Mindestlohn nach dem anwendbaren Tarifvertrag für die Stromwirtschaftsbranche erstreckt. Es handelte sich dabei nicht um einen einheitlichen Mindestlohn, sondern einen nach Lohngruppen differenzierten Mindestlohn, der je nach Lohngruppe als Zeit- oder Akkordlohn berechnet wurde und zudem aus Urlaubsgeld Tagegeld, Wegezeitentschädigung sowie Erstattung für die Unterbringungskosten der Arbeitnehmer bestand. Das polnische Unternehmen zahlte den Arbeitnehmern den Lohn in Geld sowie in Essensmarken aus.
Zum Zwecke der gerichtlichen Durchsetzung der ihrer Meinung nach nicht erfüllten Mindestlohnansprüche traten die Arbeitnehmer ihre Entgeltansprüche an die zuständige finnische Gewerkschaft ab. Die Gewerkschaft erhob Klage gegen das polnische Unternehmen.
Das finnische Gericht leitete ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH ein und fragte, ob als Mindestlohn nach Lohngruppen unterteilte Löhne, Urlaubsgeld, festes Tagegeld, Erstattungen für Unterkunftskosten und eine Wegezeitentschädigung erstreckt werden können, ob die Ausgabe von Essensgutscheinen als Zahlung des Mindestlohnes anzusehen ist und ob die Ansprüche auf den Mindestlohn trotz Verbots zur Abtretung von Entgeltsansprüchen im polnischen Recht abgetreten werden konnten.
Die Entscheidung
Der EuGH hat die Vorlagefragen in Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung wie folgt beantwortet:
Bei dem erstreckten Mindestlohn muss es sich nicht um einen einheitlichen Lohn handeln, sondern es kann auch ein Lohngitter erstreckt werden, das nach Lohngruppen ausdifferenziert ist und für diese Lohngruppen auch verschiedene Lohnarten vorsieht. Es genüge, dass der erstreckte Lohn nach den Vorschriften und Gepflogenheiten des jeweiligen Mitgliedstaates als Mindestlohn angesehen wird.
Allerdings muss die Einteilung in die Lohngruppen zwingend sein und nach transparenten Vorschriften vorgenommen werden. Es darf sich also nicht um nur fakultativ einzuhaltende Lohngruppen handeln. Zudem muss auch für den entsendenden Arbeitgeber erkenntlich sein, welchen Lohn er welchem Arbeitnehmer gewähren muss.
Ein festes Tagegeld, das nach dem Tarifvertrag entsandten Arbeitnehmern zu zahlen ist, ist nach Ansicht des EuGH als Entsendezulage anzusehen, die als Bestandteil des Mindestlohns angesehen werden kann, sofern sie nicht als Erstattung für in Folge der Entsendung tatsächlich entstandene Kosten gezahlt werden soll.
Das Gleiche gilt für Wegezeitentschädigungen, die gezahlt werden sollen, wenn der Arbeitnehmer Anfahrtszeit zur Arbeit von einer bestimmten Dauer hat (hier: eine Stunde). Auch solche „Pendlerpauschalen“ seien keine Erstattung für tatsächliche Kosten, sondern als Entsendungszulage einzuordnen, die die allgemeine Erschwernis einer Entsendung für den Arbeitnehmer ausgleichen soll. Damit kann sie auch als Teil des Mindestlohns angesehen werden.
Anderes gilt für Erstattungspflichten bzgl. der Unterbringungskosten. Hierbei handelt es sich um Erstattungen für in Folge der Entsendung tatsächlich entstandene Kosten. Diese bilden nach Art. 3 Abs. 7 der Richtlinie 96/71/EG (Entsenderichtlinie) keinen Bestandteil des Mindestlohns. Damit können sie nach der Diktion des EuGH nicht auf entsandte Arbeitnehmer erstreckt werden, da sie außerhalb des harten Kerns des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie liegen.
In dem gleichen Maß, wie Kostenerstattungen nicht erstreckt werden können, sondern nur tatsächliches Leistungsentgelt, muss der Mindestlohn, der den entsandten Arbeitnehmern gezahlt wird, auch aus Gegenleistungen für geleistete Arbeit bestehen. Erstattungen für tatsächlich angefallene Kosten, wie z.B. Essensmarken, die zum Ausgleich erhöhter Verpflegungskosten im Ausland gezahlt werden, stellen keine Form der Mindestlohngewährung dar.
Nimmt ein Arbeitnehmer während der Entsendung Urlaub, ist ihm ein Urlaubsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns zu zahlen. Der Arbeitnehmer soll nämlich während des Jahresurlaubs in die Lage übersetzt werden, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist.
Struktur und Bestandteile des erstreckten Mindestlohns geben allerdings nicht vor, nach welchen Maßstäben der entsendende Arbeitgeber den von ihm gezahlten Lohn aufzubauen hat. Er kann das bei ihm gezahlte Entgelt nach eigenen, frei gewählten Kriterien aufbauen und strukturieren. Es ist lediglich entscheidend, dass das tatsächlich ausgezahlte Entgelt in der Höhe mit dem erstreckten Mindestlohn übereinstimmt. Wie die vorgeschriebene Mindesthöhe erreicht wird, ist dabei unerheblich. Bestehende Entgeltsysteme werden also nicht während einer Entsendung aufgehoben oder verändert, solange der Arbeitgeber sicherstellt, dass die Arbeitnehmer den ihnen zustehenden Mindestlohn erhalten.
Weiterhin könne der Anspruch auf den Mindestlohn auch dann nach den Vorschriften des Zielstaates abgetreten werden, wenn dies das Recht des Heimatstaates verbietet. Nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 der RL 96/71/EG richte sich der Mindestlohnanspruch nämlich nach den Vorschriften des Zielstaates.
Hinweise für die Praxis
Arbeitgeber, die mit ihren Arbeitnehmern Aufträge im Ausland wahrnehmen möchten, müssen bei einer Entsendung mit einigen Unannehmlichkeiten rechnen, die zwar aus der Praxis bereits bekannt waren, nunmehr aber vom EuGH auch juristisch abgesegnet wurden.
So müssen sie damit rechnen, keinen einheitlichen Mindestlohn vorzufinden, sondern diversifizierte Lohngruppen, die sich erheblich von der eigenen unterscheidet und mitunter nach vom Arbeitgeber bisher nicht herangezogenen Kriterien aufgebaut ist. Auch trotz der Vorgabe, dass die Lohngruppen nach transparenten Kriterien aufgebaut sein müssen, kann dies zu erheblichen Schwierigkeiten in der Entsendepraxis führen. Auf bisher nach einheitlichen Kriterien entlohnte Arbeitnehmer können nunmehr grundsätzlich verschiedene Entlohnungssysteme (Zeit- und Akkordlohn) angewendet werden. Auch eventuell zu zahlende Zulagen können sich anders als nach den eigentlichen Arbeitsverträgen der Arbeitnehmer auf die Belegschaft nunmehr grundsätzlich anders verteilen. Dass der Arbeitgeber das Entgelt weiterhin nach den Vorgaben eigener Arbeits- oder Tarifverträge berechnen darf, sofern der Mindestlohn erreicht wird, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der Notwendigkeit, den Lohn mindestens auch nach den erstreckten Vorschriften berechnen zu müssen.
Es gilt auch zu beachten, dass der EuGH ausdrücklich festgestellt hat, dass der erstreckte Mindestlohn im Entgelt, also in direkter Geldzuwendung, auszuzahlen ist. Es genügt nicht, dass der Arbeitgeber den entsandten Arbeitnehmern geldwerte Zuwendungen, wie beispielsweise in Form von Essensmarken, macht. Diese können nur zusätzlich zum Mindestlohn gewährt werden und müssen daher bei der Berechnung der Kosten einer Entsendung als gesonderter Posten betrachtet werden.
Es kann auch nicht damit gerechnet werden, dass für die Auszahlung und weitere rechtliche Behandlung des Mindestlohns die gleichen Grundsätze wie im Heimatstaat gelten. Vielmehr können diesbezüglich abweichende Vorschriften aus dem Zielstaat anzuwenden sein.
Es bedarf daher einer intensiven und sorgfältigen Vorbereitung auf die Entsendung. Die erstreckten gesetzlichen Vorschriften bzw. Tarifverträge sowie die eigenen Arbeits- und Tarifverträge müssen genauestens analysiert werden, um evtl. notwendige weitere Zahlungen an die Arbeitnehmer zu identifizieren. Der flüchtige Blick auf Gesetz, Arbeitsvertrag und Tarifvertrag offenbaren dabei nicht immer, welche Bestandteile nun tatsächlich zum Mindestlohn gehören bzw. welche Bestandteile des tatsächlich gezahlten Entgeltes als gezahlter Mindestlohn angesehen werden können.
Sofern Sie Fragen zu diesem Thema haben oder weitere Informationen wünschen, kontaktieren Sie bitte Michael Hoffmann.