Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohns durch monatliche Jahressonderzahlungen
Veröffentlicht am 1st Aug 2016
Der Arbeitgeber schuldet den Mindestlohn für jede erbrachte Arbeitsstunde – vorbehaltlos gewährte Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld können auf den Mindestlohn angerechnet werden, BAG vom 25. Mai 2016 – Az.: 5 AZR 135/16.
Der Sachverhalt
Die Klägerin war als Arbeitnehmerin in Vollzeit bei der Beklagten im Umfang von 40 Wochenarbeitsstunden beschäftigt. Neben einem Monatsgehalt standen der Arbeitnehmerin Lohnzuschläge, sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu. Eventuell zu viel gezahltes Urlaubs- und Weihnachtsgeld war nach dem Arbeitsvertrag zurückzuzahlen. Im Dezember 2014 schloss die Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung, nach der ab Januar 2015 das Urlaubs- und Weihnachtsgeld monatlich ausgezahlt werden sollte. Seit Januar zahlte die Arbeitgeberin an die Arbeitnehmerin insgesamt EUR 1.507,30, bestehend aus dem Bruttogrundgehalt von EUR 1.391,36 zuzüglich 1/12 des Urlaubs- und Weihnachtsgelds. Mitte Januar 2015 erklärte die Arbeitgeberin, auf die Rückforderung von zu viel gezahltem Urlaubs- und Weihnachtsgeld seit Jahresbeginn zu verzichten.
Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage die Nachzahlung von zu wenig gezahltem Gehalt nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG). Sie meinte, der Mindestlohn beziehe sich nur auf das Monatsgehalt. Urlaubs- und Weihnachtsgeld seien nicht auf den Mindestlohn anrechenbar. Das Urlaubsgeld sei zusätzlich zum Lohn vereinbart und diene dem erhöhten Finanzbedürfnis der Arbeitnehmer während des Urlaubs. Das vom Lohn unabhängige Weihnachtsgeld belohne die Betriebstreue der Arbeitnehmer.
Die Abweichung von der arbeitsvertraglich vereinbarten Fälligkeit sei zudem eine Abweichung zu Lasten des Arbeitnehmers und könne nicht allein vom Arbeitgeber – durch Betriebsvereinbarung – vorgenommen werden.
Die Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht ist den Vorinstanzen gefolgt und hat die Revision der Arbeitnehmerin zurückgewiesen.
Bei dem Arbeitsumfang der Klägerin von 40 Wochenstunden stand der Kläger rein rechnerisch nach dem Mindestlohngesetz ein Monatsgehalt von EUR 1.473,31 (brutto) zu. Die monatlichen Bruttogrundgehaltszahlungen der Beklagten an die Klägerin (ohne Urlaubs- und Weihnachtsgeld) von EUR 1.391,36 lagen unter diesem Betrag. Daher kam es auf die Anrechnung der monatlichen Urlaubs- und Weihnachtsgeldzahlungen an.
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass die Arbeitgeberin die Jahressonderzahlungen auf den Mindestlohn anrechnen durfte. Es stellte klar, dass Entgeltzahlungen als Gegenleistung für erbrachte Arbeit solche sind, die dem Arbeitnehmer endgültig verbleiben. Die Erfüllungswirkung fehle nur solchen Zahlungen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung beruhen (z.B. Zuschlag auf das zustehende Bruttoarbeitsentgelt für Nachtarbeit).
Voraussetzung für die Anrechnung sei, dass die Zahlungen vorbehaltlos und unwiderruflich erfolgen und Entgeltcharakter haben. Nicht die Bezeichnung sei maßgebend, sondern der tatsächlich Zweck der Sonderzahlung. Dabei legt das BAG anhand diverser Kriterien aus, ob eine als „Urlaubs-“ oder„ Weihnachtsgeld“ bezeichnete Zahlung, tatsächlich als Belohnung für die Betriebstreue erfolgt oder nicht.
Im dem vorliegenden Fall kam das Gericht zu dem Schluss, dass beide Zahlungen Entgeltcharakter haben und daher auf den Mindestlohn wegen des Verzichts des Arbeitgebers auf Rückzahlung von Überzahlungen anzurechnen seien. Trotz der Bezeichnung als Urlaubs- bzw. Weihnachtsgeld wurde das Gehalt nicht zweckgebunden durch die Arbeitgeberin ausgezahlt. Es sollte keine Betriebstreue belohnen oder ein gesteigertes Finanzbedürfnis im Urlaub decken. Das ergab eine Betrachtung der Umstände des Einzelfalls.
Ferner entschied das Bundesarbeitsgericht über die Reichweite von Betriebsvereinbarungen. Die Arbeitgeberin durfte lediglich aufgrund der im Dezember 2014 abgeschlossenen Betriebsvereinbarung Zahlungen an die Klägerin aufteilen und monatlich zu 1/12 auszahlen.
Ob Betriebsvereinbarungen über Arbeitsentgelt überhaupt möglich sind, bestimmt sich unter anderem nach § 77 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Danach sind Betriebsvereinbarungen über Arbeitsentgelt und Arbeitsbedingungen, die in Tarifverträgen geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, unwirksam.
Im vorliegenden Fall war die Quotelung und Vorverlagerung der Zahlungen nach § 77 Abs. 3 BetrVG nicht unwirksam. Regelungen zu der Quotelung oder zu der Fälligkeit von Urlaubs- oder Weihnachtsgeld waren in diesem Fall nicht tarifüblich. In der Vergangenheit gab es noch keinen einschlägigen Tarifvertrag.
Hinweise für die Praxis
Seit Einführung des Mindestlohngesetzes zum 1. Januar 2015 gab es bereits einige Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vor dem Bundesarbeitsgericht. Zahlreiche Fragen zu dem Thema Mindestlohn sind höchstrichterlich noch nicht geklärt. Mit dieser Entscheidung schafft das Bundesarbeitsgericht jedoch ein weiteres Stück Rechtsklarheit. Für Arbeitgeber, die Mitarbeiter im „Niedriglohnsektor“ bezahlen, ist die Entscheidung von höchster Bedeutung.
In Arbeitsverträgen finden sich bei vielen Mitarbeitern Regelungen zu Urlaubs- oder Weihnachtsgeldzahlungen. Der Arbeitgeber kann versuchen auf eine arbeitsvertragliche Anpassung hinzuwirken. Wie der vorliegende Fall veranschaulicht, lassen sich Arbeitnehmer jedoch nicht unbedingt auf eine Vertragsanpassung ein. Um Kosten zu sparen, bleibt dem Arbeitgeber der Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Regelung der Auszahlungsmodalitäten. Dabei ist allerdings der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG zu beachten – es darf sich nicht um Arbeitsentgelte oder sonstige Arbeitsbedingungen handeln, die tariflich geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden.
Mit den richtigen Maßnahmen kann eine Kostenersparnis des Arbeitgebers herbeigeführt werden. Bei Fragen zu dem Mindestlohn muss in Zukunft noch mehr auf die einschlägigen Entscheidungen der Obergerichte und des BAG geachtet werden, schon um (bußgeldbewährte) Verstöße gegen das Mindestlohngesetz zu vermeiden.
Sofern Sie Fragen zu diesem Thema haben oder weitere Informationen wünschen, kontaktieren Sie gern Alexander Schlicht.