Die Reform von Leiharbeit und Werkverträgen
Veröffentlicht am 15th Jun 2016
Der Einsatz von Fremdpersonal im Unternehmen birgt ab Januar 2017 neue Herausforderungen: Der Entwurf des Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs von Leiharbeit und Werkverträgen hat den außerparlamentarischen Abstimmungsprozess durchlaufen und wurde am 1. Juni 2016 vom Bundeskabinett beschlossen. Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren soll noch in diesem Jahr abgeschlossen werden, so dass die geplanten Änderungen bereits zum 1. Januar 2017 in Kraft treten könnten. Unternehmen bleibt wenig Zeit, um sich auf die entscheidenden Änderungen einzustellen.
Verbot verdeckter Arbeitnehmerüberlassung und Wegfall der „Vorratslizenz“
In fast allen Unternehmen kommt neben den eigenen Mitarbeitern auch Fremdpersonal zum Einsatz. Bislang ist es gängige Praxis, dabei nicht hinreichend trennscharf zwischen Arbeitnehmerüberlassung und einem Fremdpersonaleinsatz auf der Grundlage von Dienst- oder Werkverträgen zu unterscheiden. Die Vertragsbeziehung wird als Werk- oder Dienstvertrag ausgestaltet, während tatsächlich Arbeitnehmerüberlassung praktiziert wird. Um die Rechtsfolgen einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung im Falle solcher Scheinwerkverträge abzuwenden, reicht es bislang aus, eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung vorrätig zu halten und die verdeckte Arbeitnehmerüberlassung dadurch im Falle der „Aufdeckung“ nachträglich zu „legalisieren“. Um gegen solche missbräuchlich genutzte Scheinwerkverträge vorzugehen, entfällt mit der Umsetzung des geplanten Gesetzes der Schutz der Vorratslizenz. Ausdrücklich muss die Überlassung von Arbeitnehmern als Arbeitnehmerüberlassung im Vertrag bezeichnet und auch die Person des Leiharbeitnehmers konkretisiert werden (§ 1 Abs. 1 Satz 5, 6 AÜG-E).
Beim Verstoß gegen diese Offenlegungspflicht ist der Arbeitsvertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer unwirksam und es wird ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer fingiert (§§ 9 Nr. 1a, 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG-E). Allerdings kann der Leiharbeitnehmer innerhalb einer Monatsfrist nach dem vorgesehenen Überlassungsbeginn schriftlich erklären, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält und so die Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher verhindern. Eine vor Fristbeginn abgegebene Erklärung ist dabei unwirksam. Dadurch will der Gesetzgeber verhindern, dass dem Leiharbeitnehmer bereits vor der Überlassung entsprechende Erklärungen „auf Vorrat“ abverlangt werden. Sowohl dem Entleiher als auch dem Verleiher kann im Falle einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung ein Bußgeld in Höhe von bis zu EUR 30.000,00 auferlegt werden (§ 16 Abs. 1, 2 AÜG-E).
Begrenzung der Verleihdauer
Die Dauer der Überlassung wird in § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG-E personenbezogen (nicht arbeitsplatzbezogen) auf 18 Monate begrenzt. Vorherige Zeiträume, in denen derselbe Leiharbeitnehmer an denselben Entleiher verliehen wurde, sollen gemäß § 1 Abs. 1b Satz 2 AÜG -E angerechnet werden, wenn der Zeitraum zwischen den Einsätzen nicht länger als drei Monate ist. Auch der Entleiher darf den Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 Monate bei sich tätig werden lassen, um die fortgesetzte Überlassung durch verschiedene Verleiher zu verhindern. Für die Berechnung der Überlassungsdauer werden nur Zeiten nach dem Inkrafttreten des Gesetzes berücksichtigt.
Die Tarifvertragsparteien der jeweiligen Einsatzbranche können gemäß § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG-E in Branchentarifverträgen auch eine über 18 Monate hinausgehende Überlassungshöchstdauer für Leiharbeitnehmer festlegen. Der Gesetzesentwurf sieht keine entsprechende Regelungsmöglichkeit durch Tarifverträge der Zeitarbeitsbranche vor. Im Geltungsbereich des Branchentarifvertrages können auch nicht tarifgebundene Entleiher die abweichende tarifvertragliche Regelung durch Betriebsvereinbarung inhaltsgleich übernehmen (§ 1 Abs. 1b Satz 4 AÜG-E).
Gemäß § 1 Abs. 1b Satz 5 AÜG-E kann der Tarifvertrag der Einsatzbranche in einer Öffnungsklausel auch vorsehen, dass abweichende Regelungen zur Höchstüberlassungsdauer in einer Betriebsvereinbarung festgelegt werden. Im Falle einer solchen Öffnungsklausel können auch nicht tarifgebundene Entleiher von dieser Möglichkeit Gebrauch machen und durch Betriebsvereinbarung die Überlassungshöchstdauer festlegen. Legt nicht schon der Tarifvertrag für Betriebsvereinbarungen eine eigene Obergrenze fest, sind die nicht tarifgebundenen Entleiher jedoch gemäß § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG-E an eine Höchstgrenze von 24 Monaten gebunden.
Bei Überschreitung der Überlassungshöchstdauer ist der Arbeitsvertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer unwirksam und es wird ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer fingiert (§§ 9 Nr. 1b 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG-E). Auch in diesem Fall kann der Leiharbeitnehmer innerhalb eines Monats nach Überschreitung der Höchstüberlassungsdauer sein Festhalten am Arbeitsvertrag mit dem Verleiher erklären. Auch diese Erklärung kann nicht vor dem Beginn der Frist abgegeben werden. Dem Verleiher kann bei einem Verstoß ein Bußgeld in Höhe von bis zu EUR 30.000,00 auferlegt und die ANÜ-Erlaubnis versagt werden (§ 16 Abs. 1, 2, § 3 AÜG-E).
Zulässig bleibt es aber, nach Ablauf der Höchstüberlassungsdauer einen anderen Leiharbeitnehmer auf dem Arbeitsplatz einzusetzen.
Gleichstellungsgrundsatz und Umsetzungsfristen für Equal Pay
Nach dem Gleichstellungsgrundsatz hat der Verleiher dem Leiharbeitnehmer die wesentlichen Arbeitsbedingungen und das Arbeitsentgelt (Equal Pay) eines vergleichbaren Stammmitarbeiters des Entleihers zu gewähren. Erhält der Arbeitnehmer das für einen vergleichbaren Arbeitnehmer im Entleihbetrieb maßgebliche tarifvertragliche Entgelt, wird vermutet, dass eine entsprechende Gleichstellung vorliegt.
Die Möglichkeit einer tarifvertraglichen Abweichung vom Equal Pay Grundsatz ist im Gesetzesentwurf eröffnet, jedoch grundsätzlich auf neun Monate begrenzt (§ 8 Abs. 4 AÜG-E) – wobei nur Zeiten nach dem Inkrafttreten des Gesetzes berücksichtigt werden und Unterbrechungen bis zu drei Monaten die Frist nicht neu in Gang setzen.
Längere Abweichungen sind nur zulässig, wenn ein einschlägiger Branchenzuschlagstarifvertrag vorsieht, dass nach spätestens sechs Wochen eine stufenweise Heranführung der Vergütung an das gleichwertige tarifvertragliche Entgelt vergleichbarer Arbeitnehmer der Einsatzbranche beginnt und die Anpassung nach spätestens 15 Monaten abgeschlossen ist (§ 8 Abs. 4 Satz 2 AÜG-E). Vereinbarungen, die für Leiharbeitnehmer schlechtere Arbeitsbedingungen bzw. ein geringeres Arbeitsentgelt vorsehen, sind gemäß § 9 Nr. 2 AÜG-E unwirksam. Dem Verleiher kann ein Bußgeld in Höhe von bis zu EUR 500.000,00 auferlegt und die ANÜ-Erlaubnis versagt werden (§ 16 Abs.1, 2, § 3 AÜG-E). Nicht tarifgebundene Verleiher und Leiharbeitnehmer können im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages die Anwendung des Tarifvertrages individualrechtlich vereinbaren.
Verbot des Einsatzes von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher
Leiharbeitnehmer dürfen – unabhängig von deren Einverständnis – gemäß § 11 Abs. 5 AÜG-E vom Entleiher nicht mehr eingesetzt werden, wenn dessen Betrieb unmittelbar von einem Arbeitskampf betroffen ist und der Leiharbeitnehmer Aufgaben wahrnehmen soll, die entweder unmittelbar oder mittelbar zuvor von Streikenden verrichtet wurden. Auch wenn keine „Streikbrechertätigkeit“ vorliegt, hat der Leiharbeitnehmer bereits nach den geltenden Bestimmungen ein Arbeitsverweigerungsrecht, soweit der Betrieb des Entleihers vom Streik betroffen ist. Hierauf hat der Verleiher hinzuweisen.
Verstöße gegen das Einsatzverbot können mit Bußgeldern in Höhe von bis zu EUR 500.000,00 geahndet werden (§ 16 Abs. 1, 2 AÜG-E).
Verbot der Kettenüberlassung
Ausdrücklich soll in § 1 Abs. 1 Satz 3 AÜG-E normiert werden, dass eine Kettenüberlassung von Arbeitnehmern nicht möglich ist, da die Überlassung eines Leiharbeitnehmers durch den Verleiher ausdrücklich voraussetzt, dass zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis besteht. Dem Entleiher und dem Dritten, an den ersterer den Leiharbeitnehmer weiterverleiht, können beim Verstoß nach § 16 Abs. 1, 2 AÜG-E Bußgelder in Höhe von bis zu EUR 30.000,00 auferlegt werden.
Kontrollrechte des Betriebsrates beim Fremdpersonaleinsatz im Unternehmen
Der Betriebsrat soll nach §§ 80 Abs. 2, 92, BetrVG-E zukünftig über jede Form des Fremdpersonaleinsatzes und jeweiligen Einsatzbedingungen unter Vorlage der jeweiligen Verträge informiert werden. Dadurch erhält der Betriebsrat ein Kontrollrecht hinsichtlich der Abgrenzung des Leiharbeitnehmers vom Erfüllungsgehilfen des Werkunternehmers bzw. von „Solo-Selbstständigen“.
Unternehmensmitbestimmung
Leiharbeitnehmer sollen zukünftig im Rahmen der unternehmerischen Mitbestimmung auch im Entleiherbetrieb als Arbeitnehmer berücksichtigt werden, wenn die Einsatzdauer sechs Monate übersteigt (§14 Abs. 2 AÜG -E).
Hinweise für die Praxis
Mit Blick auf die bevorstehenden Änderungen besteht in Unternehmen, die Fremdpersonal einsetzen, Handlungsbedarf.
Ab Inkrafttreten des Gesetzes muss sichergestellt sein, dass die gewählte Vertragsform den tatsächlichen Umständen und der Vertragsdurchführung in der Praxis entspricht.
Insofern empfiehlt sich bereits jetzt eine Überprüfung der betreffenden Verträge sowie der Arbeitsprozesse, in die Fremdpersonal eingebunden ist, um Scheinwerkverträge und verdeckte Arbeitnehmerüberlassung zu identifizieren. Abhängig vom Prüfungsergebnis müssen die Verträge und Einsatzformen ggf. angepasst werden. Leiharbeit ist als Arbeitnehmerüberlassung auszuweisen und entsprechend den gesetzlichen Anforderungen umzusetzen. Die Arbeitnehmerüberlassung wird vor allem dann zu nutzen sein, wenn der Beschäftigungsbedarf tatsächlich nur vorübergehend besteht oder zumindest der konkrete Leiharbeitnehmer bei Erreichen der Höchstüberlassungsdauer mit geringer Einarbeitungszeit gegen einen anderen Leiharbeitnehmer ausgetauscht werden kann. Auch die enge Einbindung in das Team des Entleihers, verbunden mit entsprechender Eingliederung in den Betrieb und Weisungsgebundenheit kann die Arbeitnehmerüberlassung als Einsatzform bedingen.
Bei der Beauftragung von Werkunternehmern ist zukünftig noch genauer darauf zu achten, dass Erfüllungsgehilfen bei einem Einsatz vor Ort nicht weisungsgebunden in das Einsatzunternehmen eingegliedert werden. Gerade beim Einsatz von sogenannten „Solo-Selbständigen“ ist im Vorfeld das geschuldete Werk genau zu definieren und darauf zu achten, dass der Selbständige als Werkunternehmer eine eigenständige Arbeitsorganisation unterhält, selbst die zeitliche Einsatzplanung vornimmt, ein eigenes Qualitätsmanagement hat und die Ergebnisverantwortung trägt.
Der Dienstvertrag ist als Vertragsform geeignet, wenn die Erbringung höherrangiger Dienste erforderlich ist, bei denen kein konkreter Erfolg geschuldet ist und der Dienstleistende bzw. dessen Erfüllungsgehilfe keine einzelnen Weisungen für die Erfüllung seiner Aufgaben entgegennehmen muss. Dabei sollte bei der Wahl dieser Vertragsart zur Abgrenzung von der Arbeitnehmerüberlassung darauf geachtet werden, dass der Dienstleistende bzw. dessen Erfüllungsgehilfen andere Arbeiten als die Stammbelegschaft des Einsatzunternehmens erbringen und nicht in gemischten Teams vergleichbare Arbeiten übertragen bekommen. Auch die Vergütung sollte die Höherrangigkeit der Dienste zum Ausdruck bringen. Unproblematisch sollte bei Beachtung dieser Grundsätze auch weiterhin der Einsatz von Unternehmensberatern, Wirtschaftsprüfern etc. vor Ort im Unternehmen bleiben, während sich der Einsatz von „Solo-Selbständigen“ im Unternehmen auch insoweit erschwert.
Für tarifgebundene Unternehmen sowie die Unternehmen der Zeitarbeitswirtschaft ist zudem Folgendes zu empfehlen: Entleiher sollten darauf hinwirken, dass in ihrer Einsatzbranche Tarifverträge mit längeren Überlassungszeiten oder entsprechenden Öffnungsklauseln geschlossen werden.
Um für die gesetzlich zulässige Dauer vom Gleichstellungsgrundsatz insbesondere im Hinblick auf das Arbeitsentgelt abzuweichen, ist den Tarifvertragsparteien der Zeitarbeitsbranche zu empfehlen, bestehende Tarifverträge zu überarbeiten und für neue Branchen entsprechende Branchenzuschlagstarifverträge zu schließen.