Das Medizinforschungsgesetz – ein Update für den Pharmastandort Deutschland
Veröffentlicht am 16th Jul 2024
Deutschland soll ein attraktiver Standort für die Forschung, Entwicklung und Produktion pharmazeutischer Unternehmen bleiben bzw. – in jenen Bereichen, wo noch Verbesserungsbedarf besteht – werden. Diese Ziele verfolgt die nationale Pharmastrategie der Bundesregierung, die verschiedene legislative Maßnahmen zur Verbesserung der entsprechenden Rahmenbedingungen vorsieht.
Teil dieser Initiative ist das am 4. Juli 2024 durch den Bundestag verabschiedete Medizinforschungsgesetz (MFG), das insbesondere Regelungen zur Beschleunigung und Vereinfachung von klinischen Prüfungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten beinhaltet.
Neuerungen durch das MFG „at a glance“
Der Entwurf sieht Änderungen im Arzneimittelgesetz (AMG), im Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG), im Strahlenschutzgesetz (StrSchG) und in der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung (AMWHV) vor. Zulassungsverfahren von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie Genehmigungsverfahren für klinische Prüfungen sollen vereinfacht und effizienter gestaltet werden. Gleichzeitig sollen die in Deutschland bestehenden hohen Standards für die Sicherheit der Patienten bewahrt werden. Im Einzelnen:
Einrichtung einer Bundesethikkommission
Neben den bisher bestehenden Ethikkommissionen der Länder, wird am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine spezialisierte, zentrale Ethik-Kommission für besondere Verfahren („Bundesethikkommission“) eingerichtet. Diese wird zuständig sein für klinische Prüfungen, die in den Aufgabenbereich der Notfall-Einsatzgruppe gem. Art. 15 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 2022/123 fallen sowie für klinische Prüfungen, die aus mehreren Teilstudien bestehen.
Die Bundesethikkommission ist außerdem zuständig für klinische Prüfungen für neue Arzneimittel, die erstmalig am Menschen geprüft werden und klinische Prüfungen für Arzneimittel betreffend neuartige Therapien. Die Mitglieder der Bundesethikkommission werden durch das Bundesgesundheitsministerium im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie den obersten Landesgesundheitsbehörden berufen. Zahlreiche Interessenvertreter und Praktiker sehen diese Änderungen kritisch und befürchten eine fehlende Unabhängigkeit der Bundesethikkommission, da alle Entscheidungskompetenzen im Bereich der Bundesoberbehörde und letztlich im Geschäftsbereich des Gesundheitsministeriums verbleiben.
Etablierung von Richtlinien zur Bewertung und Standardvertragsklauseln zur Durchführung von klinischen Studien
Um zu gewährleisten, dass alle Ethikkommissionen nach einheitlichen Standards arbeiten, soll der Arbeitskreis medizinischer Ethikkommissionen e.V. Richtlinien zur Bewertung klinischer Studien für Ethikkommissionen herausgeben.
Begleitend dazu wird das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) mittels Rechtsverordnung Standardvertragsklauseln für die Durchführung klinischer Studien veröffentlichen. Diese Standardvertragsklauseln sind bei der Durchführung von klinischen Prüfungen und Leistungsstudien zu verwenden. Sponsor und Prüfzentrum können jedoch durch Vereinbarung von ihnen abweichen. Hintergrund der Neuerungen ist die Annahme, dass langwierige Vertragsverhandlungen im internationalen Vergleich Wettbewerbsnachteile mit sich bringen.
Die Befürchtungen aus der Praxis, dass eine mögliche rechtliche Verbindlichkeit der Standardvertragsklauseln die Verhandlung von individuellen Klauseln beeinträchtigen könnte, haben sich nicht bestätigt, da – wie ausgeführt – durch individuelle Vereinbarung nunmehr von den Standardvertragsklauseln abgewichen werden kann. Unklar bleibt in der neuen Fassung des Gesetzes allerdings, ob Abweichungen nur von einzelnen Klauseln oder vom gesamten Regelwerk möglich sein sollen und wie eine solche Vereinbarung auszusehen hat.
Sonstige Regelungen zur Beschleunigung und Vereinfachung von klinischen Studien
Weiterhin werden Anzeige- und Genehmigungsverfahren im Bereich des Strahlenschutzes enger mit den medizinprodukterechtlichen Anzeige- und Genehmigungsverfahren und dem Verfahren zur Genehmigung der klinischen Prüfung bei Arzneimitteln verzahnt. So sollen beispielsweise für das strahlenschutzrechtliche Verfahren zukünftig die gleichen elektronischen Anzeigeportale wie für solche mit Arzneimitteln und Medizinprodukten genutzt werden können.
Außerdem wird die Kennzeichnung von Prüf- und Hilfspräparaten für klinische Prüfungen vereinfacht. Zudem stellt § 3 Abs. 2 AMWHV nunmehr klar, dass bei der Auslegung der EU-Grundsätze sowie Leitlinien der guten Herstellungspraxis bei Arzneimitteln für neuartige Therapien auch die von den zuständigen Bundesbehörden veröffentlichten Empfehlungen beachtet werden müssen.
Bewertung & Ausblick
Es bleibt abzuwarten, ob das Medizinforschungsgesetz für pharmazeutische Unternehmen in Deutschland tatsächlich neue Forschungsanreize setzt.
Zu begrüßen ist zunächst die weitere Vereinheitlichung und Anpassung der stark regulierten (Zulassungs-)Verfahren, die absehbar zu einer Vereinfachung der Prozesse führen werden. Die nunmehr einheitlichen Standards für die Bewertung der zahlreichen Landesethikkommissionen sind ebenfalls zu begrüßen. Diese verringern das Risiko einer unterschiedlichen Beurteilung von gleichen Sachverhalten in nicht unerheblichem Maße.
Kritisch zu sehen ist – im Einklang mit Stimmen aus der Praxis – allerdings die Einführung der Bundesethikkommission. Nicht nur die nachvollziehbaren Überlegungen zur deren Unabhängigkeit lassen gewisse Zweifel aufkommen. Pharmazeutische Unternehmer, die in Deutschland klinische Studien durchführen, müssen nunmehr eine wesentlich komplexere Behördenstruktur auf Landes- und Bundesebene mit jeweils unterschiedlichen Verfahrensanforderungen berücksichtigen.
Ungewiss bleibt auch, ob die Einführung von Standardvertragsklauseln gelingen wird. Der Ansatz klinische Studien durch standardisierte Klauseln zu beschleunigen ist zunächst sinnvoll und überfällig. Dennoch bedarf es nicht zwingend vollständig neuer Vertragswerke, da bereits jahrelang erprobte Klauseln von Branchenverbänden existieren. Sollte sich die Bundesregierung entscheiden, eine Neufassung zu veröffentlichen, so ist zu hoffen, dass im Gesetzgebungsverfahren die Verbände ihre Expertise in die Verordnung einfließen lassen können. Unternehmen, die bisher mit eigenen Vertragswerken arbeiten, sollten diese Änderungen gut im Blick behalten und gegebenenfalls Musterklauseln für abweichende Vereinbarungen vorbereiten.
Jedem pharmazeutischen Unternehmer ist schon jetzt zu empfehlen, bestehende Prozesse im Hinblick auf das Medizinforschungsgesetz zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Es steht außer Frage, dass dies nicht die letzte Änderung sein wird, die der europäische bzw. der deutsche Gesetzgeber in regulatorischer Hinsicht zur weiteren Angleichung und Anpassung der Verfahren im Sinne eines gemeinsamen „European Life Sciences Approach“ auf den Weg bringen werden.