Corporate – Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften in Zeiten von Covid-19
Veröffentlicht am 27th Mar 2020
Zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie gelten in Deutschland derzeit flächendeckende Regelungen, die die Versammlungsmöglichkeiten von Menschen außerhalb des Familienkreises einschränken. Dies stellt Aktiengesellschaften vor ernste Herausforderungen. Wie können Hauptversammlungen wirksam abgehalten werden, die nach bisher geltendem Aktienrecht eine physische Präsenz der Beteiligten oder ihrer Vertreter erfordern?
1. Die virtuelle, präsenzlose Hauptversammlung kommt – als Option im Jahr 2020
Durch ein jüngst beschlossenes Gesetz wird die Planung und Durchführung von Hauptversammlungen flexibilisiert. Dies ist ein dringender Schritt, denn es ist „Hauptversammlungs-Saison“. Unter normalen Umständen finden zu dieser Jahreszeit fast täglich die jährlich abzuhaltenden ordentlichen Hauptversammlungen statt. Die neuen Regelungen finden auch auf außerordentliche Hauptversammlungen Anwendung. Kurzfristig handlungsfähig zu sein, ist in der aktuellen wirtschaftlichen Situation ebenso wichtig, insbesondere mit Blick auf Struktur- und Kapitalmaßnahmen.
Der folgende Überblick erläutert die neuen Handlungsoptionen für Vorstand und Aufsichtsrat. Zwei Aspekte sind dabei von besonderer Bedeutung: (i) Die virtuelle, präsenzlose Hauptversammlung wird Realität. Sie wurde schon viel diskutiert, aber vor dem Hintergrund drohender Anfechtungsrisiken nie in geltendes Recht umgesetzt. (ii) Die Organisatoren der Hauptversammlungen werden von dem Zeitdruck befreit, die ordentliche Hauptversammlung spätestens bis zum 31. August 2020 abhalten zu müssen. Dem Vorstand hätte ansonsten ein Zwangsgeldverfahren oder eine Schadensersatzhaftung drohen können.
2. Die neuen Handlungsoptionen im Überblick
- Virtuelle, präsenzlose Hauptversammlung: Ein beachtlicher Paukenschlag ist die Einführung einer virtuellen Hauptversammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre. Versammlungsort ist der Cyperspace. Die Aktionäre werden ausschließlich elektronisch zugeschaltet in allen Phasen der Hauptversammlung, einschließlich der Generaldebatte und der Abstimmungen. Es besteht ein Fragerecht der Aktionäre, aber kein Recht auf eine Auskunft. Aktionäre können somit Fragen formulieren, ob sie auch beantwortet werden, entscheidet der Vorstand. Ein Widerspruch gegen Beschlüsse muss ermöglicht werden.
- Der Vorstand hat Gestaltungsmöglichkeiten und entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, wie und bis wann Fragen zu stellen sind und welche Fragen die Verwaltung beantwortet.
- Elektronische Teilnahme: Bereits durch jüngste Änderungen im Aktienrecht besteht die Möglichkeit der Teilnahme und Stimmangabe der Aktionäre im Wege elektronischer Kommunikation, der Teilnahme von Mitgliedern des Aufsichtsrats im Wege der Bild- und Tonübertragung sowie der Bild- und Tonübertragung der Hauptversammlung – allesamt Wegbereiter für die präsenzlose Hauptversammlung.
- Das neue Gesetz eröffnet diese Möglichkeit auch dann, wenn die Satzung derzeit noch keine entsprechende Ermächtigung des Vorstands enthält.
- Verkürzung der Einberufungsfrist auf 21 Tage: Die Einberufungsfrist wird abgesenkt auf eine Mindestfrist von 21 Tagen vor der Versammlung. Als Folge ändern sich Nachweisstichtage, Mitteilungsregelungen und die Fristen für Einberufungsverlangen.
- Diese Änderungen gelten unabhängig von bestehenden Satzungsregelungen. Alljährlich verwendete Fristenkalender bei Vorbereitung der Einberufung bedürfen der Anpassung.
- Abschlagszahlungen: Der bereits gesetzlich geregelte Abschlag auf den Bilanzgewinn des vergangenen Geschäftsjahres darf unter Wahrung der übrigen Voraussetzungen an die Aktionäre ausgezahlt werden – ohne eine entsprechende Ermächtigung in der Satzung. Die Einführung einer Interimsdividende ist damit nicht verbunden. Im Rahmen eines Unternehmens-vertrages kann auch an außenstehende Aktionäre eine Abschlagszahlung erfolgen.
- Sollen die Aktionäre eine Abschlagszahlung erhalten? Der Zeit- und Kostenaufwand ist nicht unerheblich. Oder bleibt der Bilanzgewinn zum Wohle der Gesellschaft in ungewissen wirtschaftlichen Zeiten bis zur ordentlichen Hauptversammlung unangetastet? Eine Balance zwischen der Zufriedenheit der Aktionäre und der Liquidität der Gesellschaft.
- Verlängerung der Achtmonatsfrist für Hauptversammlungen: Die ordentliche Hauptversammlung kann im gesamten Geschäftsjahr abgehalten werden.
- Diese Verlängerung bringt Flexibilität. Eine zeitnahe ordentliche Hauptversammlung bleibt möglich, virtuell und präsenzlos. Oder die ordentliche Hauptversammlung wird erst einmal verschoben. Dies hält die Option auf eine physische Präsenz-Hauptversammlung offen. Wichtig ist eine klare Entscheidung - intern für die Vorbereitung, extern für die Erwartungen der Aktionäre in Bezug auf ihre Dividendenzahlung.
Beachte: Der Vorstand darf über sämtliche dieser Erleichterungen nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats entscheiden. Die Aufsichtsräte können diesen Beschluss ebenfalls vereinfacht ohne ihre physische Anwesenheit fassen, durch eine schriftliche, fernmündliche oder in vergleichbarer Form abgegebene Zustimmung. |
- Folgen für Anfechtungsrisiken: Das Anfechtungsrecht der Aktionäre wird eingeschränkt. Insbesondere im Zusammenhang mit Aspekten der elektronischen Stimmrechtsausübung, der Bild- und Tonübertragung der Hauptversammlung, der Form für Einberufungsmitteilungen sowie des eingeschränkten Auskunftsrechts begründet fahrlässiges Handeln kein Anfechtungsrecht.
- Anfechtungsklagen von Aktionären gegen Hauptversammlungsbeschlüsse sind ein scharfes Schwert. Die Einschränkung des Anfechtungsrechts ist eine Ermutigung des Gesetzgebers, von den formellen Erleichterungen Gebrauch zu machen.
3. Geltungsdauer und Ausblick
Die Erleichterungen gelten zunächst nur für Hauptversammlungen und Abschlagszahlungen im Kalenderjahr 2020.
Diese „Testphase“ ist eine Chance für alle Beteiligten, die virtuelle, präsenzlose Hauptversammlung auszuprobieren und zu bewerten, ob sie auch in normalen Zeiten mehr Vor- als Nachteile bringen würde. Entscheidend für den Erfolg ist, ob sich die technischen Übertragungswege als stabil erweisen und ob Aktionäre Verständnis zeigen, dass ihr Recht auf Auskunft weiteren Einschränkungen unterliegt.
Für Vorstände und Aufsichtsräte bietet das neue Gesetz Planungssicherheit und Handlungsoptionen für die aktuelle Hauptversammlungssaison, auch wenn die neue Rechtslage einen sorgsamen Umgang mit den Handlungsoptionen vor dem Hintergrund nicht geklärter Detailfragen erfordert. Vor- und Nachteile und verschiedene Interessenlagen sind sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Die zentrale Frage ist: Wann und wie findet die (ordentliche) Hauptversammlung statt? Eine Entscheidung im Einzelfall.