Bundesverfassungsgericht entscheidet über Europäisches Einheitspatent
Veröffentlicht am 2nd Apr 2020
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am Freitag, den 20. März 2020, das deutsche Zustimmungsgesetz zum Einheitspatent vorerst gekippt.
Der anvisierte Starttermin des Einheitspatents zum Ende des Jahres 2020 dürfte damit nur schwerlich einzuhalten sein, denn Deutschland gehört zu den drei Staaten, deren Ratifizierung für das Zustandekommen des Vorhabens zwingend notwendig ist.
Hintergrund
Bereits 2012 wurde auf EU-Ebene von einem Großteil der Mitgliedstaaten das Vorhaben eines sogenannten einheitlichen Patentschutzes auf den Weg gebracht, nachdem kein Konsens für ein vollumfängliches Unionspatent gefunden werden konnte. Während für andere IP-Rechte, bspw. mit der Unionsmarke, ein solcher EU-weiter Schutz bereits existiert, müssen Erfindungen aktuell noch in jedem Mitgliedstaat einzeln zum nationalen Patent angemeldet oder nach einer zentralen EPA-Anmeldung für jeden gewünschten Mitgliedstaat einzeln validiert werden. Ziel des Einheitspatent-Vorhabens ist es daher, mit einer einzigen Patentanmeldung eine länderübergreifende, einheitliche Schutzwirkung im EU-Gebiet zu ermöglichen, womit zugleich ein einheitliches Schutzniveau gewährleistet wird. Dadurch sollen Unternehmen bei adäquatem Schutz ihrer Erfindungen Zeit und Geld sparen.
Der finale Start des Vorhabens ist davon abhängig, dass mindestens 13 EU-Staaten diesem zustimmen. Als patentstärkste Länder müssen dabei in jedem Fall Deutschland, das Vereinigte Königreich und Frankreich mit dabei sein.
Nachdem einige Mitgliedstaaten dem Vorhaben recht zügig zugestimmt haben, war mit dem Brexit zunächst die Ratifikation durch das Vereinigte Königreich fraglich. Dieses hatte dem Vorhaben jedoch schließlich zugestimmt.
Somit kam es nur noch auf die Zustimmung Deutschlands an.
Der Deutsche Bundestag verabschiedete zwar ein entsprechendes Zustimmungsgesetz. Gegen dieses wurde jedoch kurz nach der einstimmigen Schlussabstimmung im Bundestag im April 2017, an der nur ca. 35 Abgeordnete teilgenommen haben, eine Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG erhoben.
Auf Bitten des BVerfG unterzeichnete der Bundespräsident das Gesetz infolgedessen erst einmal nicht. Das Gesetz trat somit noch nicht in Kraft.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Am Freitag, den 20. März 2020, hat das BVerfG schließlich über die Verfassungsbeschwerde entschieden. Das Gericht folgte dem Beschwerdeführer in Teilen seiner Begründung und erklärte das Gesetz für nichtig.
Neben formellen Bedenken gegen das Gesetzgebungsverfahren aufgrund der geringen Anzahl der an der Abstimmung beteiligten Abgeordneten rügte der Beschwerdeführer mit mehreren Argumenten außerdem die Verfassungswidrigkeit des gesamten Vorhabens. Die Verfassungswidrigkeit folge unter anderem aus den Umständen, dass Deutschland mit der Ratifikation des Vorhabens einen entscheidenden Teil seiner Hoheitsrechte abgebe und die Unabhängigkeit der Richter an dem für das System eigens geschaffenen Einheitlichen Patentgericht nicht gewährleistet sei.
Das BVerfG hat der Begründung des Beschwerdeführers teilweise zugestimmt, sich im Rahmen der Begründetheit der Beschwerde jedoch fast ausschließlich mit den formellen Aspekten des Gesetzgebungsverfahrens auseinandergesetzt. Das Gericht urteilte, dass das Zustimmungsgesetz eine Verfassungsänderung bewirke und daher nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 i.V.m. 79 Abs. 2 GG einer Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag bedürfe. Die rechtsprechende Gewalt deutscher Gerichte würde durch die Errichtung eines Einheitlichen Patentgerichts verdrängt. Deutsche Bürger hätten jedoch ein Recht darauf, dass bei einer derartigen Übertragung von Hoheitsrechten die verfassungsmäßigen Grundsätze eingehalten werden. Im Ergebnis ist das Zustimmungsgesetz somit formell rechtswidrig zustande gekommen.
Das Gericht ging in seinen Entscheidungsgründen zwar auch kurz auf die weiteren vorgebrachten Einwendungen ein. Eine abschließende Entscheidung hierüber gab es jedoch nicht, da es für die anderen wesentlichen Einwendungen an der Beschwerdebefugnis des Beschwerdeführers fehle. Die Möglichkeit einer Verletzung der subjektiven Rechte sei nicht hinreichend dargelegt. Die Verfassungsbeschwerde war in diesem Umfang somit unzulässig.
Drei der acht Richter des zuständigen Zweiten Senats am BVerfG folgten der Mehrheit ihrer Richterkollegen nicht. Sie gaben ein Sondervotum ab, in dem sie die Meinung vertreten, dass eine solche Auslegung des Grundgesetzes zur Folge habe, dass die notwendigen politischen Gestaltungsspielräume im europäischen Integrationsprozess verengt werden. An der Nichtigkeit des Zustimmungsgesetzes ändert diese abweichende Meinung jedoch nichts.
Bedeutung des Beschlusses für die Zukunft
Die Entscheidung des BVerfG hat zur Folge, dass nun jedenfalls ein ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren nachgeholt werden muss.
Der Bundestag zählt in seiner 19. Legislaturperiode aktuell über 700 Abgeordnete. Um dem Erfordernis der Zweidrittel-Mehrheit zu genügen, müssten entsprechend ca. 480 Mitglieder des Bundestages dem Vorhaben zustimmen.
Neben einer Vielzahl an Stimmen aus den Reihen der CDU und SPD wären noch Abgeordnete weiterer Fraktionen für eine Zweidrittel-Mehrheit notwendig. Das Zustimmungsgesetz traf im Rahmen der ersten Abstimmung zwar auf viel Zuspruch. Die Abstimmung erfolgte allerdings noch in der 18. Legislaturperiode. Inwiefern das notwendige Zweidrittel-Ergebnis in der aktuellen Zusammensetzung des Bundestages erreicht werden kann, bleibt folglich abzuwarten.
Daneben können die weiteren Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Zustimmungsgesetzes nicht gänzlich vernachlässigt werden, da das BVerfG über die materielle Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz insofern nicht entschieden hat. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch ein ordnungsgemäß verabschiedetes Gesetz erneut vor dem BVerfG auf den Prüfstand gestellt wird. Als geeignete Beschwerdeführer kämen hierfür unter Umständen auch Unternehmen in Betracht.
Folgen für die Praxis
Für die Zukunft bedeutet der Beschluss insbesondere weitreichende zeitliche Verzögerungen im Prozess um einen länderübergreifenden Patentschutz in Europa. Auch aufgrund der aktuellen Corona-bedingten Beeinträchtigungen dürfte ein neues Gesetzgebungsverfahren vorerst auf sich warten lassen. In der Zwischenzeit hat das Vereinigte Königreich zudem angekündigt, aufgrund des Brexits an dem Vorhaben nicht weiter teilnehmen zu wollen. Neben der Bewältigung der nationalen Hürden in Deutschland muss das System deshalb auch auf europäischer Ebene nachgebessert werden. Unter anderem muss die für London geplante Zentralkammer des Einheitlichen Patentgerichts einen neuen Sitz finden.
Darüber hinaus stellt sich aus Sicht der Patentanmelder aufgrund der kürzlichen Absage Großbritanniens nun auch die Frage nach der Attraktivität des Systems eines Patents mit einheitlicher Wirkung. Im Hinblick auf die wirtschaftliche Relevanz dieses Gebietsverlustes geht für Unternehmen damit ein entscheidender Vorteil des Vorhabens verloren. Letztlich bleibt es eine Kostenfrage, ob das Interesse weiterhin ausreicht. Bei der Überarbeitung des Vorhabens muss dies in jedem Fall berücksichtigt werden. Deutschland als beliebtester europäischer Gerichtsstandort dürfte allerdings kaum im Nachteil sein, da das Einheitspatent erwartungsgemäß auch für eine stärkere Verlagerung von Patentprozessen nach Paris und London gesorgt hätte.