Blockchain in der Energiewirtschaft – Risiko oder Chance für Stadtwerke?
Veröffentlicht am 16th Aug 2019
Die Blockchain-Technologie ist fester Bestandteil der Berichterstattung in der Energiewirtschaft. Neben potentiellen Anwendungsfeldern wie Marktkommunikation oder Finanzierung ist der blockchainbasierte Peer-to-Peer-Energiehandel (P2P) im Fokus der Aufmerksamkeit. P2P bedeutet, dass Energie zwischen „Gleichgestellten“ (dt. für Peer), also z.B. Privatpersonen, geliefert wird, ohne dass ein Intermediär zwischengeschaltet ist. Die Funktion bisheriger Intermediäre, wie z.B. Stadtwerke, wird durch die Verwendung blockchainbasierter Anwendungen abgelöst. Gerät das Geschäftsmodell von Stadtwerken durch P2P weiter unter Druck und welche Rolle können Stadtwerke beim blockchainbasierten Stromhandel einnehmen?
Warum ist P2P für Kunden attraktiv?
Von P2P versprechen sich Erzeuger und Verbraucher, dass auf Intermediäre, also Zwischenhändler, Lieferanten und Direktvermarkter verzichtet werden kann, etwa um Kosten zu sparen oder Prozesse zu vereinfachen. Zudem steigt das Interesse an „echten“ Ökostrom-Tarifen ohne ausländische Herkunftsnachweise sowie an regionalen Stromprodukten. Aus Kundensicht steht P2P für Transparenz, eine Neudefinition regionaler Verknüpfung von Stromerzeugung und -verbrauch und einen aktiven Beitrag zur Energiewende, was zugleich die Akzeptanz der dezentralen Nutzung erneuerbarer Energien erhöhen kann.
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Blockchain?
Bislang dienen Intermediäre als verlässliche und verantwortliche Partner, die dafür einstehen, dass der Erzeuger für seine Leistung bezahlt wird und der Verbraucher mit Strom beliefert wird. Eine Blockchain bietet die Möglichkeit, diese Instanz zu ersetzen und gleichzeitig ein transparentes Instrument zur Abwicklung von Transaktionen zu schaffen. Die Blockchain fällt unter den Begriff der sog. Distributed-Ledger-Technologie (DLT) und beschreibt ein auf viele Anwender verteiltes Kontenbuch, welches eine dezentrale und öffentliche Struktur innehaben kann. Dies bedeutet, dass je nach Ausgestaltung nicht wie bisher eine zentrale Datenbank geführt wird, sondern jeder Teilnehmer dieses Netzwerkes eine Kopie der aktuellen Datenbank bzw. des Transaktionsbuches besitzt. Folge ist unter anderem eine hohe Manipulationssicherheit (Hier erfahren Sie mehr über die Blockchain generell).
Im Falle einer P2P-Stromlieferung würden alle Transaktionen und Abrechnungen über gelieferte Kilowattstunden Strom automatisch auf der Blockchain gespeichert. Die Technologie bietet gleichwohl noch deutlich mehr Anwendungsmöglichkeiten. So können auf einer Blockchain etwa über Ethereum ganze Verträge als Smart Contracts abgebildet und vollautomatisiert werden (Hier erfahren Sie mehr über Smart Contracts). Dies ermöglicht, nach einer Stromlieferung automatisch eine Zahlung in Kryptowährung vom Verbraucher an den Erzeuger auszulösen.
Welche regulatorischen Hürden gibt es?
Das beschriebene Modell eines blockchainbasierten P2P-Handels ist derzeit in Deutschland aus regulatorischen Gründen nur eingeschränkt möglich. Dies liegt zum einen daran, dass es für private Erzeuger derzeit kaum abbildbar ist, als Stromlieferant im Sinne des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) aufzutreten, da damit erhebliche regulatorische Pflichten verbunden sind. So müsste der Erzeuger über einen Bilanzkreis verfügen und diesen im Rahmen der derzeitigen Marktprozesse für die Endkundenbelieferung bewirtschaften. Darüber hinaus wäre er verpflichtet, EEG-Umlage, Netzentgelte, Stromsteuer und weitere Umlagen und Abgaben ordnungsgemäß abzuführen und Stromrechnungen gemäß den gesetzlichen Auflagen zu erstellen, u.a. den Strommix auszuweisen. Diese Pflichten kann und will ein privater Erzeuger in aller Regel nicht ohne Hilfe professioneller Intermediäre erfüllen. Im derzeitigen regulatorischen Umfeld liegt es somit weiterhin an Stadtwerken oder P2P-Handelsplattformen wie Tal.Markt, enyway und Grönstroom, die regulatorischen und bürokratischen Pflichten des Energielieferanten als Dienstleister zu erfüllen, Residualmengen zu beschaffen, Überschussmengen zu vermarkten und die Stromlieferung über das öffentliche Stromnetz ordnungsgemäß abzuwickeln. Auf Intermediäre wird im derzeitigen P2P-Handel also nur scheinbar verzichtet. Soweit Strom zugekauft wird, unterscheiden sich die Plattformen somit nicht grundlegend von klassischen Geschäftsmodellen.
Durch Umsetzung der Erneuerbare-Energie-Richtlinie (EU) 2018/2001 (EE-RL) kann sich dies ändern. Nach Art. 21 Abs. 2 der EE-RL sollen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass Eigenversorger (Prosumer) individuell oder über Aggregatoren berechtigt sind, Energie für die Eigenversorgung zu erzeugen und die Überschussproduktion zu speichern und nun auch u.a. mittels P2P-Vereinbarungen zu verkaufen, ohne dass die Elektrizität diskriminierenden oder unverhältnismäßigen Verfahren, Umlagen und Abgaben sowie Netzentgelten unterworfen ist, die nicht kostenorientiert sind. Diese garantierte Umlagenfreiheit besteht jedoch nur für kleine Anlagen mit einer Stromerzeugungskapazität bis 30 kW. Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten die Grenzen für die Umlagebefreiung selbst festlegen. Auch die jüngste Entscheidung des EuGH, wonach die EEG-Umlage keine staatliche Beihilfe darstellt, verschafft der Bundesregierung weiteren Spielraum bei der Umsetzung der EE-RL, die bis zum 30. Juni 2021 zu erfolgen hat.
Die EE-RL könnte vor allem für Energielieferungen zwischen Nachbarn oder in Quartieren erhebliche Vorteile bringen: In einem derart lokal abgrenzbaren Gebiet kann sich eine Blockchain als effiziente Abwicklungsvariante anbieten. Erste Pilotprojekte sind bereits in der Umsetzungsphase.
Doppelvermarktungsverbot und Stromkennzeichnung
Aus Sicht von Intermediären gehört die Umsetzung derartiger regulatorischen Voraussetzungen zum „Daily Business“ und erste Stadtwerke haben die Chancen der Blockchain-Technologie längst erkannt, wie etwa die Stadtwerke Wuppertal mit ihrer Plattform Tal.Markt. Die Einhaltung der Regelungen zum Doppelvermarktungsverbot, zur Stromkennzeichnung sowie zur wettbewerbs- und lauterkeitsrechtlichen Bewerbung von Regionalprodukten kann auch für Intermediäre ein Stolperstein darstellen.
Das Doppelvermarktungsverbot nach § 80 EEG 2017 bezweckt, Stromkunden vor überhöhten Preisen für Grünstromprodukte zu schützen und eine doppelte Verwendung der Grünstromeigenschaft zu verhindern, die durch eine Kostenwälzung über die EEG-Umlage einerseits und eine zusätzliche Zahlung für die Grünstromeigenschaft des Stroms andererseits entstehen kann. Zugleich sollen Anlagenbetreiber, die eine Förderung nach dem EEG beanspruchen, die Herkunft des Stroms aus erneuerbaren Energien nicht zusätzlich als Grünstrom vermarkten dürfen und erhalten folglich auch keine Herkunftsnachweise.
Bei der P2P-Lieferung bewerben Anlagenbetreiber ihre Erzeugung häufig durch Angaben über die konkreten Anlagen (etwa nach Größe, Standort und Erzeugungsart sowie durch Bildmaterial). Je nach Ausgestaltung der Bewerbung von Strom aus geförderten Anlagen und dem Verständnis des Anwendungsbereichs von § 80 Abs. 1 EEG 2017 kann dies bereits einen Verstoß gegen das Doppelvermarktungsverbot darstellen, da das Verbot jegliche Vermarktungshandlungen und Werbeaussagen erfasst, die die Umweltvorteile der Stromerzeugung bewerben und eine doppelte Nutzung der Vorteile des EEG zur Folge haben (können). Auch der Nachweis des Echtzeit-Stromerzeugungsmixes mittels Blockchain-Technologie kann je nach Darstellung bei einem weitem Verständnis des § 80 Abs. 2 S. 1 EEG 2017 einen verbotenen sonstigen Nachweis der Herkunft des Stroms darstellen.
Die Anforderungen an die Stromkennzeichnung, die Anlagenbetreiber als Stromlieferanten nach § 42 Abs. 1 EnWG beachten müssen, gelten auch bei einer P2P-Lieferung. Danach müssen in Rechnungen, Werbedarstellungen und auf der Website Informationen zum Energieträgermix angegeben werden. Dies setzt bei erneuerbaren Energien voraus, dass man nach § 42 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 EnWG Herkunftsnachweise entwertet und sich somit in der wirtschaftlich ungünstigeren sonstigen Direktvermarktung befindet oder dass man nach § 42 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 EnWG nur einen Teil seines Stroms als durch die EEG-Umlage finanziert ausweist und den Rest als Graustrom vermarktet. Herkunftsnachweise können bei der Inanspruchnahme der EEG-Förderung nicht für die eigene Erzeugung ausgestellt, sondern müssen von Dritten zugekauft und entwertet werden.
Folglich besteht derzeit die Herausforderung, dass der Strom bei P2P-Lieferungen im wirtschaftlich attraktiveren Marktprämienmodell nicht als Grünstrom, sondern nur als Graustrom vermarktet werden kann, da die über die EEG-Umlage geförderte Stromerzeugung im Energieträgermix separat auszuweisen ist. Bei Nichtbeachtung drohen eine Verringerung der Marktprämie sowie Bußgeld (§§ 52, 86 EEG 2017) und bei Missachtung der Stromkennzeichnungspflichten Unterlassungsansprüche nach dem UWG.
Die EE-RL hat hier entgegen der Branchenerwartung wenig Abhilfe geschaffen. So wird voraussichtlich die bisherige Regelung fortgeführt, dass Herkunftsnachweise für geförderte Anlagen nicht ausgestellt werden. Die Richtlinie bietet den Mitgliedstaaten an dieser Stelle einen umfassenden Ermessensspielraum zur Erhaltung des Marktwerts des Herkunftsnachweises, sodass für den Gesetzgeber kein Handlungsbedarf besteht (Art. 19 Abs. 2). Andererseits zeigen Beispiele anderer Mitgliedstaaten, wie etwa das niederländische Förderregime SDE+, dass die staatliche Förderung erneuerbarer Energien, die Nutzung von Herkunftsnachweisen und die Zusammenführung von Erzeugung und Verbrauch sehr wohl in Einklang gebracht werden kann.
Blockchainlösungen für die Energiewirtschaft
Auch wenn ein echter, d.h. „grüner“ P2P-Stromhandel derzeit noch nicht wirtschaftlich sein mag, könnten sich die Marktverhältnisse aufgrund des Technologiefortschritts schnell verschieben.
Einen innovativen Ansatz verfolgt etwa die global agierende Energy Web Foundation (EWF) mit der Energy Web Chain. Ziel der EWF ist es in Kooperation mit verschiedenen internationalen Partnern die Blockchain in der Energiewirtschaft zu verbreiten und weiterzuentwickeln. Die EWF hat hierzu eine Gemeinschaft aus ca. 70 Unternehmen gebildet, u.a. E.ON, Shell, TEPCO und weitere Energieversorger.
Auf Basis der Ethereum Blockchain hat die EWF, regulatorisch und technisch bedingt, eine öffentliche und frei zugängliche Open Source Blockchain konzipiert und notwendige Änderungen für den Energiesektor vorgenommen. Im Vergleich zu klassischen Blockchains, wie z.B. der Bitcoin Blockchain, wird kein energie- und zeitaufwendiger Proof-of-Work (PoW) Konsensmechanismus verwendet, sondern ein deutlich effizienterer Proof-of-Authority (PoA) Mechanismus. Dieser ermöglicht eine Erhöhung der Transaktionskapazität sowie eine schnellere und günstigere Abwicklung von Transaktionen.
Für neue Geschäftsmodelle ist die Entwicklung eigener Blockchain-Technologie keineswegs zwingend. Bestehende Technologien wie die Energy Web Chain können als Basis genutzt werden. Bei der Verwendung eigener Blockchain-Technologie sind die Wahl des Konsensmechanismus sowie die Ausgestaltung der Blockchain elementar. Ein PoW Mechanismus ist zeitaufwendig, energieintensiv und hat bei einer hohen Anzahl an Transaktionen Performanceprobleme. Ein PoA Mechanismus ist ideal für eine Konsortialblockchain, da er klar identifizierte Teilnehmer innerhalb einer Blockchain mit gleichzeitig deutlich erhöhter Performance hinsichtlich Transaktionsvolumina, Energieeffizienz und Geschwindigkeit bietet. Bei einem Zusammenschluss verschiedener Institutionen zum Betreiben einer Konsortialblockchain hat das Konsortium im Regelfall mehr Rechte und Pflichten als Standardnutzer, wie z.B. die Validierung von Transaktionen. Die Verteilung und Speicherung der Daten können die Betreiber selbst bestimmen. Auch die Verwendung von Token muss berücksichtigt werden. Vereinfacht gesagt spiegelt ein Token eine Einheit innerhalb einer Blockchain wider, z.B. stellt in der Bitcoin-Blockchain ein Token einen Bitcoin dar (Hier erfahren Sie mehr über ICOs). Token bieten verschiedene Möglichkeiten, um mit Nutzern zu interagieren und ein Ökosystem aufzubauen: so können z.B. Assets wie Rohstoffe, Kunstgegenstände, Gebäude oder auch Energie über einen Token abgebildet oder bei Token der zweiten Ebene eigene Use Case-spezifische Währungen aufgebaut werden (Hier erfahren Sie mehr über Potentiale der Blockchain).
Vor jedem Projekt sollte gleichwohl die Frage gestellt werden, ob die Blockchain die richtige Technologie für das neue Geschäftsmodell ist. Denn nicht bei jedem Prozess wird eine Blockchain zu einer Effizienzsteigerung führen. Hierarchisch organisierte Prozesse oder Strukturen können häufig über klassische Datenbanken besser abgebildet werden, wohingegen netzwerkartige Strukturen oder Prozesse mit verschiedenen, teils unbekannten, Partnern eher dafür geeignet sind, durch eine Blockchain umgesetzt zu werden.
Blick in die Zukunft
Auch wenn bei jedem Anwendungsfall die regulatorischen Hürden sorgfältig zu bewerten sind, bietet die Blockchain viel Potenzial, die Energiewirtschaft effektiver zu gestalten und nachhaltig zu verändern. Der Prozess wird deutlich beschleunigt, wenn der Smart Meter Rollout endlich vorangeht. Denn erst mit einem Smart Meter in Verbindung mit einem Smart Meter Gateway ist das Senden der Verbrauchsdaten an die Blockchain in Echtzeit möglich (Hier erfahren Sie mehr über Datenschutz und Blockchain).
Die Blockchain bietet auch für Betreiber von Windenergieanlagen eine Perspektive, nach Ablauf der EEG-Förderung ihre Anlagen weiter zu betreiben und die erzeugte Energie mit Herkunftsnachweis über blockchainbasierten P2P-Handel „grün“ zu vermarkten. Dabei kann Vorteil gegenüber klassischen PPAs und „all-inclusive“-Angeboten von Intermediären sein, dass auch geringe Energiemengen flexibel abgenommen werden können. Verträge müssen nicht kompliziert ausgehandelt werden, sondern werden von der verwendeten Plattform über einen Smart Contract abgebildet. Dies ermöglicht es, auf Basis einer Blockchain einen Marktplatz für PPAs aufzubauen. Die ordnungsgemäße Wartung der Anlage kann allerdings auch die Blockchain nicht ersetzen.
Insgesamt ist die Blockchain-Technologie als Chance, Betreiber und Intermediäre zugleich zu verstehen. Lässt sich ein geeigneter Prozess oder Use Case finden, kann durch bereits bestehende Blockchainlösungen ein effizientes und nachhaltiges Geschäftsmodell aufgebaut werden, das die Demokratisierung der Energiewende vorantreibt.