Disputes & Risk

BGH zum Merkmal der Unlauterkeit im Rahmen des Bargeschäftsprivilegs

Veröffentlicht am 30th Dez 2024

BGH, Urt. 5. Dezember 2024 – IX ZR 122/23

People in a meeting and close up of a gavel

Befindet sich ein Unternehmen in der Krise, so müssen dessen Geschäftspartner grundsätzlich Sorge tragen, dass etwaige Gegenleistungen später vom Insolvenzverwalter angefochten werden. Im Falle einer solchen Anfechtung werden die – üblicherweise für den Geschäftspartner vorteilhaften – Rechtshandlungen rückgängig gemacht. Weiß der Geschäftspartner von der Krise und der Anfechtungsgefahr, so ginge sein erster Reflex dahin, die Zusammenarbeit mit dem betroffenen Unternehmen gänzlich einzustellen. Für das betroffene Unternehmen wäre eine Sanierung nicht mehr möglich, sein Ende wäre ohne nennenswerte Chance einer Rettung besiegelt. Das ist ein rechtspolitisch unerwünschtes Ergebnis. Um also in solchen Fällen der Krise das Vertrauen des Geschäftspartners dahingehend zu bestärken, dass er die Gegenleistung trotz möglicher Anfechtungen des Insolvenzverwalters behalten darf und um die Sanierung des betroffenen Unternehmens zu erleichtern, hat der Gesetzgeber das Bargeschäftsprivileg in § 142 InsO geschaffen. Nicht anfechtbar sind hiernach ausnahmsweise Leistungen des Schuldners, die unmittelbar mit einer gleichwertigen Gegenleistung des Geschäftspartners vergolten werden. Denn der Vermögensnachteil, der letzten Endes zulasten der Insolvenzgläubiger ginge, wird sofort kompensiert. Die Haftungsmasse wird also nicht geschmälert, das Vermögen wird lediglich umgeschichtet.

Eine Ausnahme von dieser Ausnahme gilt nach dem Wortlaut des § 142 InsO dann, wenn die Voraussetzungen einer Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO vorliegen, der Schuldner unlauter gehandelt hat und der Geschäftspartner hiervon wusste. Es reicht also nicht aus, dass der Schuldner mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handelte und der Geschäftspartner hiervon wusste. Der Schuldner muss zudem „unlauter“ gehandelt haben. Was hierunter zu verstehen ist, wurde nun erstmals höchstrichterlich für die betreffende Norm festgelegt.

Entscheidung

Der Entscheidung lag eine Anfechtung zweier Zahlungen in Höhe von insgesamt rund EUR 190.000 zugrunde. Gezahlt hatte sie die spätere Schuldnerin, eine Gesellschaft für Dienstleistungen für Bauprojektgesellschaften, an den späteren Beklagten. Der Beklagte selbst ist einer von drei Kommanditisten der Schuldnerin. Bereits seit einigen Jahren übernahm der Beklagte aufgrund einer Vereinbarung die Betreuung von Bauvorhaben, die eigentlich von der – von Anbeginn unrentablen – Schuldnerin zu betreuen waren. Die angefochtenen Zahlungen entsprangen dieser Vereinbarung und wurden jeweils innerhalb von 30 Tagen nach der Leistungserbringung getätigt.

Etwa anderthalb Monate vor diesen Zahlungen hatte der Geschäftsführer der Schuldnerin in einem Rundschreiben darauf hingewiesen, dass es wegen Verzögerungen im Baufortschritt zu Liquiditätsengpässen gekommen sei.

Der Senat stellte zunächst fest, dass es sich bei den Zahlungen unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs um ein Bargeschäft nach § 142 Abs. 1 InsO handelte. Damit wären die Zahlungen ausnahmsweise zunächst nicht anfechtbar.

Nun war fraglich, ob von dieser Ausnahme nicht wiederum die Ausnahme greift und die Zahlung doch anfechtbar ist. Dazu stellte der Senat fest, dass der Beklagte von dem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin wusste. Dies führt dazu, dass die Bedingungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO grundsätzlich vorliegen. Für die Ausnahme-Ausnahme braucht es jedoch auch noch eine Unlauterkeit des schuldnerischen Handelns. Diese sah der BGH nicht gegeben und bezog zu der lang umstrittenen Frage, was hierunter zu verstehen sei, erstmals Stellung:

„[Der Schuldner handelt] bei einem Bargeschäft dann unlauter, wenn es sich weniger um die Abwicklung von Bargeschäften handelt als vielmehr um ein die übrigen Gläubiger gezielt schädigendes Verhalten. Dies kommt in Betracht, wenn zusätzlich zu den Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO das Bargeschäft zu einer gezielten Benachteiligung anderer Gläubiger führt oder dazu genutzt wird, den Empfänger gegenüber anderen Gläubigern gezielt zu bevorzugen.“

Als Beispiele, in denen eine Unlauterkeit in Betracht kommt, nennt der BGH Bargeschäfte, die nicht zur Fortführung des Geschäftsbetriebs erforderlich sind. Auch die gezielte Bevorzugung eines bestimmten Gläubigers kann eine unlautere Handlung sein. Das kommt vor allem bei Leistungen an nahestehende Personen in Betracht oder wenn der Schuldner versucht, einen Gläubiger von der Stellung eines Insolvenzantrags abzuhalten.

Nicht automatisch unlauter sind wiederum Handlungen, die gegen § 15a bzw. § 15b InsO verstoßen oder wenn der Schuldner fortlaufend Verluste erwirtschaftet.

Folge und Ausblick

Für die Praxis geht diese Entscheidung mit wertvollen Klarstellungen über den nun umfassenderen Anwendungsbereich des Bargeschäftsprivilegs einher. Denn in der Rechtsprechung zur alten Fassung des § 142 InsO wurde bei fortlaufender Verlustwirtschaft das Bargeschäftsprivileg noch verneint. Damit wurde das Institut des Bargeschäftsprivilegs de facto entwertet: Nur die wenigsten Unternehmen wirtschaften im Vorfeld der Insolvenz profitabel. Der BGH löst sich mithilfe des vom Gesetzgeber bewusst eingeführten Unlauterkeitsmerkmals von seiner alten Rechtsprechungslinie, liefert eine definitorische Grundlage für künftige Rechtsprechung und legt zugleich praxisgerecht Beispiele dar, in denen das Bargeschäftsprivileg anwendbar bzw. unanwendbar ist. Das Wirtschaften für Unternehmen in der Krise wird insgesamt wesentlich erleichtert.
 

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* Dieser Artikel entspricht dem aktuellen Stand zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung und spiegelt nicht notwendigerweise den aktuellen Stand des Gesetzes / der Regulatorik wider.

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