Gewerblicher Rechtsschutz / IP

BGH konkretisiert seine Rechtsprechung zu inländischen Patentverletzungen aus dem Ausland

Veröffentlicht am 13th Jul 2021

In seiner neuen Entscheidung Ultraschallwandler vom 8. Juni 2021 (Az. X ZR 47/19) konkretisiert der BGH die Anforderungen an eine Verantwortung ausländischer Unternehmen für inländische Patentverletzungen. Nicht nur in der Automobilindustrie reichen die Lieferketten oft weit über die Grenzen Deutschlands hinaus. Das Urteil hat daher allgemeinen Charakter für mögliche Patentverletzungen in Deutschland.

Sachverhalt und bisherige Rechtsprechung

Die Klägerin ist Inhaberin eines deutschen Patents, welches während des Verfahrens durch Zeitablauf erloschen ist. Das Klagepatent schützt in seinem Hauptanspruch einen Ultraschallwandler, der als Teil von Einparkhilfesystemen für Kraftfahrzeuge eingesetzt werden kann.

Die Beklagte ist ein in der Republik China (Taiwan) ansässiges Unternehmen, das in Produktionsstätten in China und Taiwan Autoteile und Autozubehör herstellt, darunter auch die streitgegenständlichen Ultraschallwandler. Sie ist die Lieferantin von zahlreichen Automobilherstellern, darunter unter anderem auch der Hersteller R. /D.

R. /D.  bringt bzw. brachte bereits vor dem 22. November 2012 die streitgegenständlichen Ultraschallwandler in Deutschland in Verkehr. Mit Schreiben vom 22. November 2012 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und bat um Darlegung, aus welchen Gründen diese berechtigt sei, das Klagepatent durch die Lieferung von Ultraschallwandlern an R. /D. zu benutzen, die in Fahrzeugen des Typs D. L. eingesetzt würden. Auch danach wurden die von der Beklagten hergestellten Ultraschallwandler weiterhin von R. /D. in Deutschland in Verkehr gebracht.

Nachdem die Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung zunächst übereinstimmend für erledigt erklärt wurden, verfolgte die Klägerin zuletzt noch den Antrag auf Feststellung der Pflicht zum Schadensersatz.

Im Zentrum der Entscheidung steht die Rechtsfrage, inwieweit ein im Ausland ansässiger Lieferant eines ebenfalls im Ausland ansässigen Abnehmers dafür verantwortlich sein kann, dass eine streitgegenständliche Ausführungsform auf den deutschen Markt gelangt – und somit ein zurechenbares Inverkehrbringen in Deutschland vorliegt.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH (BGH, Urt. v. 17. Sep. 2009 - Xa ZR 2/08 – MP3-Player-Import sowie BGH, Urt. v. 16. Mai 2017 - X ZR 120/15 – Abdichtsystem) kann nicht nur derjenige, der sich vorsätzlich an der Benutzung des geschützten Gegenstands durch einen Dritten beteiligt, für eine Patentverletzung mit einzustehen haben, sondern auch derjenige, der eine Benutzung des geschützten Gegenstands durch einen Dritten durch eigenes pflichtwidriges Verhalten ermöglicht. Im Falle eines fahrlässigen Verhaltens setzt dies in der Regel die Verletzung einer Rechtspflicht durch den Handelnden voraus. Im Fall Abdichtsystem urteilte der BGH, dass ein im Ausland ansässiger Lieferant eines im Inland patentgeschützten Erzeugnisses, der einen ebenfalls im Ausland ansässigen Abnehmer beliefert, zwar nicht ohne Weiteres verpflichtet sei, die weitere Verwendung der gelieferten Ware durch den Abnehmer zu überprüfen oder zu überwachen. Eine solche Überprüfungs- oder Überwachungspflicht (bezüglich einer patentgeschützten Benutzung im Inland) könne jedoch dann entstehen, wenn es für den im Ausland ansässigen Lieferanten konkrete Anhaltspunkte gebe, die solche Handlungen als naheliegend erscheinen lassen (z. B. Kenntnis über tatsächliche oder konkret bevorstehende Weiterlieferungen; unwahrscheinlicher Vertrieb nur auf schutzrechtsfreien Märkten aufgrund großer Abnahmemengen; auffälliges Abnahmeverhalten im Ausland korrelierend mit Tätigkeiten des Abnehmers auf dem inländischen Markt, etc.).

Die Entscheidung des BGH

Der BGH hat im Zusammenhang mit dieser grenzüberschreitenden Rechtsfrage in seiner jüngsten Entscheidung Ultraschallwandler eine entsprechende Verantwortlichkeit der im Ausland ansässigen Beklagten zwar generell bejaht und seine diesbezügliche Rechtsprechung fortentwickelt, die Sache mangels hinreichender tatbestandlicher Feststellungen auf Sachverhaltsebene jedoch wieder zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Nach der aktuellen Entscheidung Ultraschallwandler können solche konkreten Anhaltspunkte für eine inländische Patentbenutzung auch durch versendete Schreiben entstehen und somit ein eigenes pflichtwidriges Handeln begründen (wenn auch noch weitere Anhaltspunkte gegeben sind). Im konkreten Fall lag es angesichts der geographischen Lage und der wirtschaftlichen Gegebenheiten nahe, dass von Produktionsstätten in Marokko in großem Umfang Lieferungen in die Europäische Union erfolgen. Dies berücksichtigend begründe die im Schreiben der Klägerin vom 22. November 2012 enthaltene Mitteilung, die von der Beklagten an R. /D. gelieferten Ultraschallwandler würden in Fahrzeugen des Typs D. L. eingesetzt, konkrete Anhaltspunkte für die Annahme eines patentverletzenden Vertriebs der Ultraschallwandler in Deutschland. Dabei sei irrelevant, ob das Schreiben als Berechtigungsanfrage oder als Abmahnung verfasst worden sei. Der faktische Informationsgehalt solcher Mitteilungen (nur darauf kommt es zur Begründung einer etwaigen Verantwortung an) hänge nämlich nicht davon ab, ob der Patentinhaber zugleich rechtliche Schritte androhe oder nur um Stellungnahme bitte. Die Beklagte sei folglich nach dem Erhalt des Schreibens vom 22. November 2012 zumindest verpflichtet gewesen, ihre Abnehmerin R. /D. auf einen etwaigen Patentschutz in Deutschland hinzuweisen und sich nach Lieferungen dorthin zu erkundigen. Das entsprechende Unterlassen der Beklagten habe zu einer Beteiligung an den in Deutschland begangenen Verletzungshandlungen geführt.

Allerdings reichten dem BGH die Feststellung des Berufungsgerichts nicht aus, um abschließend in der Sache entscheiden zu können. Es könne nämlich nicht beurteilt werden, ob für die Beklagte auch konkrete Anhaltspunkte erkennbar gewesen seien, die es als naheliegend erscheinen ließen, dass gelieferte Ware auch durch weitere im Ausland ansässige Abnehmer ins Inland weitergeliefert oder dort angeboten würden und durch welche charakteristischen Umstände diese Anhaltspunkte begründet würden. Aufgrund des Auslandsbezugs der Lieferung sei nämlich nicht automatisch jede Handlung im Ausland auch patentverletzend, vielmehr bedürfe es besonderer Anhaltspunkte, aus denen sich eine Überprüfungs- oder Überwachungspflicht ergebe. Ein vermeintlicher Patentverletzer hafte nicht ohne weiteres für das Verhalten jedes beliebigen Unternehmens in einer Lieferkette.

Entsprechende Verallgemeinerungen seien deshalb nur insoweit zulässig, als darin die charakteristischen Umstände zum Ausdruck kämen, welche die Rechtswidrigkeit des Anbietens oder Lieferns an einen bestimmten Abnehmer begründen. Laut dem BGH müsse deshalb aus dem Klägervortrag und aus den (stattgebenden) gerichtlichen Entscheidungsgründen zumindest hervorgehen, welche charakteristischen Elemente des Sachverhalts eine Überprüfungs- oder Überwachungspflicht begründen und somit den Kern der verbotenen bzw. zum Schadensersatz verpflichtenden Handlung darstellen würden.

Hieran mangelte es den Entscheidungen der Vorinstanzen in Hamburg. Die Formulierungen der Vorinstanzen im konkreten Fall hätten gerade nicht erkennen lassen, durch welche charakteristischen Umstände sich unzulässige Handlungen von zulässigen Handlungen unterscheiden würden. Der Entscheidung des OLG Hamburg könne nicht entnommen werden, unter welchen Voraussetzungen die Beklagte wegen Handlungen Dritter, auch in Bezug auf andere Abnehmer, zum Schadensersatz verpflichtet sei. Vielmehr müsste - was es aber gerade zu vermeiden gelte - in einem nachfolgenden Rechtsstreit über die Höhe des Schadensersatzes geklärt werden, ob die Beklagte diesbezüglich konkrete Anhaltspunkte für Lieferungen oder Angebote in Deutschland gehabt habe.

Anmerkung für die Praxis

Die Entscheidung Ultraschallwandler hat nicht nur Auswirkungen auf zahlreiche produzierende Unternehmen aus dem Ausland im Allgemeinen und zum Beispiel ausländische Zulieferunternehmen aus der Automobilindustrie im Speziellen, sondern auch auf die gerichtliche und rechtsberatende Praxis. Im Ergebnis werden originäre Lieferungen im (patentfreien) Ausland deutschem Patentrecht unterworfen. Insoweit stärkt das Urteil den „Patentstandort Deutschland“ zugunsten des Patentinhabers, sorgt zugleich aber auch für ein territorial erweitertes Risiko auf Beklagtenseite.

Sofern die Begleitumstände eine Benutzung der patentierten Lehre in Deutschland bzw. dem EWR naheliegend erscheinen lassen, können ausländische Unternehmen, die ihre Produkte (als solches nicht patentverletzend) an ausländische Abnehmer liefern, dennoch für eine Patentverletzung in Deutschland verantwortlich gemacht werden, sobald sie von dem Patentinhaber zuvor unter konkretem Hinweis auf die Annahme eines patentverletzenden Vertriebs in Deutschland (durch deren Abnehmer) aufmerksam gemacht wurden - egal, ob rechtliche Schritte angedroht werden oder nicht. Den ausländischen Lieferanten trifft sodann die Pflicht, seine Abnehmer auf einen etwaigen Patentschutz in Deutschland hinzuweisen und sich nach Lieferungen nach Deutschland zu erkundigen. Ein Unterlassen könnte sonst als verantwortungsbegründender Sorgfaltspflichtverstoß für eine Patentverletzung in Deutschland gewertet werden. Dieses Risiko sollte jedem Zulieferer bewusst sein - gleichgültig, wie weit die eigenen Produktionsstätten von Deutschland entfernt liegen oder ob eigene Lieferbeziehungen unmittelbar nach Deutschland bestehen.

Für die beratende Praxis hat das Urteil zur Folge, dass bereits für die Antragsfassung berücksichtigt werden sollte, welche charakteristischen Elemente des Sachverhalts eine Überprüfungs- oder Überwachungspflicht begründen und somit den „Kerngehalt“ der zu unterlassenen bzw. zum Schadensersatz verpflichtenden Handlung darstellen. Entsprechendes sollte von den Gerichten bei der Abfassung des (stattgebenden) Urteils berücksichtigt werden. Der BGH macht am Ende seiner Entscheidung in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass die klagende Partei dieser Darlegungspflicht nicht bereits durch eine Einschränkung des Antrags nachkommt, z. B. durch die Ergänzung „hinsichtlich derer die Beklagte […] konkrete Anhaltspunkte hatte, dass diese in die Bundesrepublik Deutschland liefern“. Eine solche Ergänzung führe laut BGH lediglich zu einer abstrakten Umschreibung der Voraussetzungen einer Patentverletzung, beschreibe jedoch keine charakteristischen Umstände, anhand derer in einem nachfolgenden Verfahren (z. B. in einem separaten Schadensersatz-Höheprozess) ohne Rückgriff auf die abstrakten Voraussetzungen beurteilt werden könne, ob eine Handlung von der begehrten Feststellung umfasst sei oder nicht.

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* Dieser Artikel entspricht dem aktuellen Stand zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung und spiegelt nicht notwendigerweise den aktuellen Stand des Gesetzes / der Regulatorik wider.

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