Betriebliche Übung auch bei Sonderzahlungen in unterschiedlicher Höhe möglich

Veröffentlicht am 2nd Dez 2015

Das BAG hat mit seinem Urteil vom 13. Mai 2015 – 10 AZR 266/14 seine jahrelange Rechtsprechung zum Erfordernis einer gleichförmigen Leistungsgewährung zur Anspruchsentstehung aufgrund betrieblicher Übung aufgegeben.

Der Sachverhalt

Der Kläger war bei der Beklagten vom 1. Mai 1992 bis zum 19. November 2010 als Bauleiter gegen eine monatliche Vergütung von zuletzt 5300 Euro brutto beschäftigt. Der Kläger erhielt mit der am 10. Januar des Folgejahres ausgezahlten Vergütung für Dezember des Vorjahres einen in den jeweiligen Abrechnungen als „Sonderzahlung“ ausgewiesenen Betrag, der sich im Jahr 2007 auf 10.000 Euro brutto und in den Jahren 2008 und 2009 auf jeweils 12.500 Euro brutto belief. Im Jahr 2010 wurde keine „Sonderzahlung“ gewährt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe auch für das Jahr 2010 eine Sonderzahlung in Höhe von Euro 12.500 brutto zu. Durch die vorbehaltlose Leistung einer Sonderzahlung in den drei aufeinanderfolgenden Jahren zuvor habe die Beklagte ihm gegenüber konkludent eine entsprechende Zahlungsverpflichtung begründet.

Die Entscheidung

Der Kläger war im Revisionsverfahren erfolgreich.

Das BAG entschied, dass der Arbeitnehmer, der mindestens drei Jahre hinweg vorbehaltlos Sonderzahlungen von seinem Arbeitgeber erhält, diese Leistungen als verbindliches Vertragsangebot dahingehend werten darf, dass diese Zahlungen nunmehr in jedem Kalenderjahr erfolgen werden.

Gewähre der Arbeitgeber zusätzlich zu dem vereinbarten monatlichen Gehalt eine einmalige Sonderzahlung, so das BAG, sei zunächst durch Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB zu ermitteln, ob er sich nur zu der konkreten Leistung oder darüber hinaus auch für die Zukunft verpflichtet habe. Eine dauerhafte Verpflichtung könne sich insbesondere aus einem Verhalten mit einem Erklärungswert, wie einer betrieblichen Übung, ergeben. Auch wenn keine betriebliche Übung bestehe, weil der Arbeitgeber eine Zahlung nur an einen Arbeitnehmer vorgenommen habe und damit das kollektive Element fehle, könne für diesen durch die Leistungsgewährung ein Anspruch entstanden sein. Dies sei der Fall, wenn der Arbeitnehmer aus einem tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers auf ein Angebot schließen konnte, das er gemäß § 151 BGB durch schlüssiges Verhalten angenommen habe.

Zwar müssen in jedem Einzelfall auch die Umstände berücksichtigt werden, die dafür sprechen können, dass die Auszahlungen nur in dem jeweiligen Auszahlungsjahr erfolgen sollen und der Arbeitgeber keine weitere Bindung eingehen wolle, wie dies etwa durch entsprechende Vorbehalte möglich erscheine. Jedoch müsse der Arbeitnehmer aus der nicht gleichförmigen Höhe der Zahlungen in den Jahren 2007 bis 2009 nicht den Schluss ziehen, dass eine dauerhafte Bindung vom Arbeitgeber nicht gewollt sei. Dies gelte fortan nicht nur für den konkludenten Vertragsschluss zwischen Arbeitgeber und einzelnen Arbeitnehmern, sondern auch in den Fällen der betrieblichen Übung.

Soweit der 10. Senat des BAG bislang vertreten hat, dass es bei einer Zuwendung in jährlich unterschiedlicher Höhe an einer regelmäßigen, gleichförmigen Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen fehle und darin der Wille des Arbeitgebers zum Ausdruck komme, in jedem Jahr neu über die Zuwendung nach „Gutdünken“ zu entscheiden, halte er daran nun nicht mehr fest.

Der Arbeitnehmer könne zwar wegen der unterschiedlich hohen Auszahlungssummen nicht aus dem Verhalten des Arbeitgebers schließen, dass die Sonderzahlung auch im Jahr 2010 EUR 12.500 brutto betrage, jedoch lag zumindest ein Angebot bezüglich einer vom Arbeitgeber einseitig festzusetzenden jährlichen Sonderzahlung vor, welches der Arbeitnehmer durch die Entgegennahme der bisherigen Zahlungen konkludent nach § 151 BGB angenommen habe.

Bezüglich der konkreten Höhe der Sonderzahlung für das Jahr 2010 sei der Arbeitgeber beweisbelastet und müsse im Zweifelsfall nachweisen, dass eine Leistungsbestimmung „auf Null“ vorgesehen war und billigem Ermessen nach § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB entspreche. Sollte die Leistungsbestimmung nicht billigem Ermessen gerecht werden, so hat sie das Gericht selbst gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB vorzunehmen.

Hinweise für die Praxis

Das BAG bricht in diesem Urteil mit seiner jahrelangen Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer Anspruchsentstehung aufgrund betrieblicher Übung. Konnten Arbeitgeber bis dato eine betriebliche Übung auch dadurch verhindern, dass die freiwilligen Sonderzahlungen über einen Zeitraum von mindestens drei aufeinander folgenden Jahren in immer unterschiedlichen Höhen gewährt wurden, so ist dies fortan nicht mehr möglich. Eine sogenannte „Gleichförmigkeit“ der Auszahlungen ist für das Entstehen einer betrieblichen Übung nicht mehr erforderlich und es reicht nunmehr bereits aus, dass vorbehaltlos gewährte Sonderzahlungen in unterschiedlicher Höhe über mindestens drei Jahre gezahlt werden.

Die Bindungswirkung kann den Arbeitgeber dabei sowohl aufgrund betrieblicher Übung als auch, wie im vorliegenden Fall, im Wege eines konkludenten Vertragsschlusses treffen.

Arbeitgebern ist vor diesem Hintergrund umso dringender zu raten, einen entsprechenden Freiwilligkeitsvorbehalt bereits in den Arbeitsverträgen zu implementieren und zusätzlich bei Auszahlung der Sonderzahlung jeweils einen solchen Vorbehalt schriftlich zu erklären. Zudem ist auch die arbeitsvertragliche Vereinbarung einer qualifizierten Schriftformklausel grundsätzlich geeignet, Ansprüche aus betrieblicher Übung auszuschließen.

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* Dieser Artikel entspricht dem aktuellen Stand zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung und spiegelt nicht notwendigerweise den aktuellen Stand des Gesetzes / der Regulatorik wider.

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