„Bestandskraft von Steuerbescheiden jetzt vermeiden“ - Beschluss des BVerfG zum Verlustabzug bei Kapitalgesellschaften
Veröffentlicht am 17th Okt 2017
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit seinem Beschluss vom 29. März 2017 die Regelung zum Verlustabzug bzw. -untergang bei Kapitalgesellschaften für verfassungswidrig erklärt und damit einer Kernregelung der deutschen Unternehmensbesteuerung deutliche Schranken gesetzt. Bis Ende 2018 muss der Gesetzgeber das Körperschaftsteuergesetz (KStG) rückwirkend zum 1. Januar 2008 nachbessern. Doch schon jetzt besteht akuter Handlungsbedarf.
Bisherige Regelung zum Verlustuntergang
Ein wesentlicher Grundsatz der Ertragsbesteuerung ist die Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit. Danach ist es Unternehmen in Deutschland grundsätzlich gestattet, Verluste für steuerrechtliche Zwecke in kommende Veranlagungszeiträume vorzutragen, um sie mit zukünftigen Gewinnen zu verrechnen. Ein festgestellter Verlustvortrag hat daher die Wirkung einer Steuergutschrift und somit einen großen Einfluss auf den öffentlichen Haushalt. Infolgedessen hat der Gesetzgeber seine Nutzung deutlich eingeschränkt. Verluste können anteilig nicht mehr genutzt werden, wenn zwischen 25 % und 50 % der Anteile, Beteiligungs- oder Stimmrechte einer Kapitalgesellschaft innerhalb von fünf Jahren auf einen Dritten übertragen werden. Dasselbe gilt für Zinsüberhänge und für das EBITDA-Volumen, die ebenfalls vorgetragen werden können.
Gesetzgeber muss handeln
Ob und in welcher Form sich der Gesetzgeber für eine rückwirkende Regelung entscheiden wird, ist derzeit noch unklar. Kommt er der Verpflichtung des BVerfG nicht rechtzeitig nach, tritt rückwirkend die Nichtigkeit des § 8c KStG ein, d.h. die Regelung zur Beschränkung der Verlustnutzung fällt zum 1. Januar 2008 weg. Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass die alten Verluste wieder aufleben und die Steuerbescheide für die betreffenden Jahre geändert werden müssen. Eine Änderung wäre überhaupt nur möglich, wenn das steuerrechtliche Verfahrensrecht eine solche noch erlaubt. Daher sollten betroffene Unternehmen in jedem Fall die mit Ablauf der Einspruchsfrist eintretende, endgültige Bestandskraft der Bescheide vermeiden. Um richtig und rechtzeitig handeln zu können, haben wir nachfolgend kurz die wesentlichen Punkte zusammengefasst.
Steuerbescheide offen halten
Ist es bei Unternehmen seit dem 1. Januar 2008 zu einem Verlustuntergang aufgrund einer Übertragung von über 25% der Anteile gekommen, muss geprüft werden, ob die entsprechenden Bescheide noch änderbar sind. Auch Bescheide mit Zins- und EBITDA-Vorträgen sollten in die Prüfung einbezogen werden.
- Bescheide für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2011 sind in den meisten Fällen bereits bestandskräftig. Auch dürften die entsprechenden Steuerfestsetzungen aufgrund eingetretener Festsetzungsverjährung in vielen Fällen nicht mehr änderbar sein. Für diese Bescheide hat der Beschluss des BVerfG daher meist keine Auswirkungen mehr.
- Bei Bescheiden, die noch nicht festsetzungsverjährt sind, ist zunächst zu prüfen, ob die Einspruchsfrist noch läuft. Ist dies der Fall, sollten die Bescheide grundsätzlich durch Einspruch offen gehalten werden, ggf. in Kombination mit einem Antrag auf Ruhen des Verfahrens. Ist die Einspruchsfrist bei Bescheiden mit Vorbehalt der Nachprüfung bereits abgelaufen, sollten Unternehmen den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht aus den Augen verlieren. Solange die Festsetzungsfrist noch läuft, kann der Steuerpflichtige jederzeit einen Antrag auf Änderung stellen, um in den Genuss einer zwischenzeitlich ergangenen Neuregelung oder der rückwirkenden Nichtigkeit des § 8c KStG zu kommen.
- Dies gilt auch, wenn die Bescheide mit einem Vorbehalt der Nachprüfung versehen wurden. Zwar ermöglich der Vorbehalt der Nachprüfung, dass der Steuerbescheid jederzeit geändert werden kann. Der Vorbehalt entfällt aber automatisch mit Ablauf der Festsetzungsfrist.
- Ein Einspruch ist ausnahmsweise nicht erforderlich, wenn die Bescheide im Hinblick auf den Beschluss des BVerfG mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen wurden. Durch den Vorläufigkeitsvermerk wird die Steuerfestsetzung hinsichtlich der Verlustberücksichtigung punktuell offen gehalten. Die Festsetzungsfrist und die Änderungsmöglichkeiten enden dann – anders als im Fall eines Vorbehalts der Nachprüfung – zwei Jahre nach Veröffentlichung des Beschlusses des BVerfG. Diese Frist sollten Unternehmen unbedingt im Auge behalten.
Was gibt es zusätzlich zu beachten
Das Gesetz versagt bei einer Anteilsübertragung von über 50 Prozent die weitere Nutzung des Verlustvortrags sogar vollständig. Das BVerfG hat ausdrücklich offengelassen, ob diese Regelung mit der Verfassung im Einklang steht. Unternehmen sollten entsprechende Steuerbescheide ebenfalls vorsichtshalber durch Einspruch offen halten, da auch hier eine rückwirkende Neuregelung durch den Gesetzgeber denkbar ist.