Beginn der Durchführung einer Betriebsänderung
Veröffentlicht am 5th Aug 2015
Eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG beginnt erst dann, wenn unumkehrbare Maßnahmen getroffen wurden, die zwangsläufig in die Betriebsänderung münden.
Der Sachverhalt
Die Beklagte, eine Zeitungsvertriebsgesellschaft mit 57 Arbeitnehmern, zu denen auch der Kläger gehörte, verlor durch Kündigung vom 30. November 2011 mit Wirkung zum 29. Februar 2012 ihren einzigen Auftraggeber. Die Gesellschafterinnen der Beklagten beschlossen, den Geschäftsbetrieb zum Ablauf des 29. Februars einzustellen und den Betrieb stillzulegen. Seit dem 1. März 2012 wurden die Zusteller nicht mehr beschäftigt. Die zur Erledigung der Zustellung benötigten Haustürschlüssel, Bücher sowie Transportmittel wurden an den Auftragsnachfolger übergeben. Die Beklagte informierte den Betriebsrat mit Schreiben vom 12. Januar 2012 über die beabsichtigte Betriebsstilllegung. Das Scheitern der Verhandlungen über den Interessenausgleich wurde am 27. April 2012 festgestellt. Am 24. April 2012 schaltet die Beklagte ordnungsgemäß Massenentlassungsanzeigen und kündigte nach ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats am 28. April 2012 ihren Arbeitnehmern zum Ablauf des 31. Juli 2012. Der Kläger machte Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG in Verbindung zu dem Kündigungsschutzgesetz geltend, da die Beklagte schon vor Beginn der Verhandlungen über Interessenausgleich unumkehrbare Maßnahmen zur Durchführung der Betriebsstilllegung getroffen hätte.
Die Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat der Revision der Beklagten stattgegeben und die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe keine unumkehrbaren Maßnahmen zur Durchführung der Betriebsstilllegung getroffen.
Die Durchführung einer Betriebsänderung beginnt nach ständiger Rechtsprechung des BAG erst dann, wenn der Arbeitgeber eine unumkehrbare Maßnahme ergreift und damit vollendete Tatsachen schafft. Dies ist spätestens dann der Fall, wenn er die bestehenden Arbeitsverhältnisse zum Zwecke der Betriebsstilllegung kündigt.
Das BAG betont in dieser Entscheidung, dass eine solche unumkehrbare Maßnahme noch nicht in dem Entschluss besteht, eine Betriebsänderung vorzunehmen, bspw. den Betrieb still zu legen. § 113 Abs. 3 BetrVG sichert kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats an der unternehmerischen Entscheidung, sondern nur bei deren Umsetzung. Die Beteiligungsrechte nach § 111 BetrVG setzen vielmehr eine solche Entscheidung sogar voraus.
Entsprechende endgültige, unumkehrbare Maßnahmen habe der Arbeitgeber in diesem Fall nicht getroffen. So sei weder in der Anhörung des Betriebsrats zur beabsichtigten Kündigung noch in der Massenentlassungsanzeige eine unumkehrbare Maßnahme zu sehen. Der Arbeitgeber sei auch nach Anhörung des Betriebsrats und Erstattungen der Massenentlassungsanzeigen nicht gezwungen, die Kündigungen tatsächlich auszusprechen.
Auch die Einstellung der Geschäftstätigkeit stellt noch keine unumkehrbare Maßnahme dar. Es ist dem Arbeitgeber unbenommen, den Geschäftsbetrieb wieder aufzunehmen. Es sei vielmehr notwendig, dass der Arbeitgeber bereits mit der Auflösung der betrieblichen Organisation beginnt. Die von der Beklagten durchgeführten Maßnahmen, wie die Übergabe von Haustürschlüsseln, Büchern und Transportmittel stellten keine solche Auflösung der betrieblichen Organisation dar, sondern folgten lediglich aus dem Verlust des Auftrags. Die genannten Betriebsmittel seien nur für diesen Auftrag benötigt gewesen. Die Durchführung anderer Aufträge sei durch deren Verkauf daher nicht gehindert gewesen. Das Gleiche gelte für die Kündigung von Mietverträgen für Verteilstellen. Dies könne nur dann eine unumkehrbare Maßnahme sein, wenn diese zwingend notwendig für die Aufrechterhaltung des Betriebes gewesen seien. Dies sei in diesem Fall nicht zu erkennen gewesen.
Auch die Freistellung der Arbeitnehmer sei keine solche unumkehrbare Maßnahme. Vielmehr sei es der Beklagten möglich gewesen, die Arbeitnehmer, sofern wieder Arbeit vorhanden gewesen wäre, bspw. durch einen neuen Auftrag, erneut zu beschäftigen. Es handelte sich gerade nicht um eine unwiderrufliche Freistellung.
Schließlich sei auch nicht die Ausführung der vorher von der Beklagten ausgeführten Aufträge durch eine andere Gesellschaft als Hinweis auf die Durchführung einer Betriebsstilllegung zu sehen. Dies sei vielmehr nur auf die Neuvergabe der bisherigen Aufträge der Beklagten durch den Auftraggeber an eine andere Gesellschaft zurückzuführen.
Hinweise für die Praxis
Das Bundesarbeitsgericht hat hier erneut festgestellt, dass dem Arbeitgeber bei der Vorbereitung einer Betriebsänderung wie bspw. einer Betriebsstilllegung gewisse Spielräume bleiben, um die Betriebsänderung vorzubereiten. Es ist ihm unbenommen, solche Vorbereitungsmaßnahmen durchzuführen, solange diese nicht unumkehrbar sind. Auch rechtlich notwendige Beteiligungen Dritter, wie des Betriebsrats oder der Agentur für Arbeit über die Massenentlassungsanzeige, sind noch nicht als solche unwiderruflichen Maßnahmen zu sehen.
Eine vor Abschluss der Verhandlungen zum Interessenausgleich verbotene unwiderrufliche Maßnahme liegt erst dann vor, wenn auch der Arbeitgeber diese Maßnahme nicht mehr umkehren kann bzw. wenn die Auflösung der betrieblichen Strukturen begonnen hat. Es ist einem Arbeitgeber dringend zu raten, bei geplanten Betriebsänderungen diese Grenze strikt einzuhalten, um sich nicht in die Gefahr zu begeben, nachteilsausgleichspflichtig zu werden. Die Maßnahmen, die in Vorbereitung auf die Betriebsänderung durchgeführt werden, müssen steht darauf überprüft werden, ob es sich hierbei um endgültige, unumkehrbare Maßnahmen handelt oder ob diese Maßnahmen in ihrer Wirkung umgekehrt werden können, also bspw. ob der Betrieb trotz der vorherigen Maßnahmen wieder fortgeführt werden kann.
Sofern Sie Fragen zu diesem Thema haben oder weitere Informationen wünschen, kontaktieren Sie bitte Michael Hoffmann.