Aus für die dynamische Fortgeltung von Verweisungsklauseln? - BAG ersucht EuGH um Vorabentscheidung zur Auslegung des Betriebsübergangsparagraphen
Veröffentlicht am 29th Sep 2015
Dynamische Verweisungsklauseln auf Tarifverträge in Arbeitsverträgen können nach der aktuellen Rechtsprechung des BAG zu § 613a BGB sicherstellen, dass auch nach einem Betriebsübergang tarifvertragliche Regelungen in ihrer jeweils aktuellen Fassung weiter gelten. Zur Frage, ob ein Betriebserwerber auch dann gezwungen ist, Tariflohnerhöhungen auszuzahlen, wenn er selbst das Tarifergebnis gar nicht beeinflussen kann, hat das BAG nunmehr den EuGH um Vorabentscheidung ersucht.
Der Sachverhalt
Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist seit 1978 als Hausarbeiter in einem Krankenhaus beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag enthält eine Verweisung auf den Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter/Arbeiterinnen gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe vom 31. Januar 1962 (BMT-G II) und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge. Träger des Krankenhauses war ursprünglich ein Landkreis, der Mitglied im kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) war. Im Jahr 1995 wurde das Krankenhaus privatisiert und nunmehr von einer GmbH betrieben, die ebenfalls Mitglied im KAV war. Mit Blick auf eine geplante Ausgliederung schlossen die GmbH, deren Betriebsrat und die K. FM GmbH i. G. im Jahr 1997 einen Personalüberleitungsvertrag. Danach sollten „der BMT-G II in der jeweils geltenden Fassung einschließlich der diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge“ für die Arbeitsverhältnisse der Arbeiterinnen und Arbeiter „weiterhin“ bei dem Betriebserwerber Anwendung finden. Am 31. Dezember 1997 ging der Betriebsteil, in dem der Kläger beschäftigt war, auf die K. FM GmbH i. G. über, die nicht Mitglied im KAV war. In der Folgezeit wurde auf das Arbeitsverhältnis weiterhin der BMT-G II angewandt. Die K. FM GmbH gab allerdings die beiden tariflichen Lohnerhöhungen im Jahr 2004 nicht weiter. Mit Wirkung zum 1. Juli 2008 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers auf die Beklagte, einen privaten Träger, über. Diese wandte auf das Arbeitsverhältnis weiterhin die Vorschriften des BMT-G II an. Mit seiner Klage hat der Kläger die Anwendung des TVöD-VKA und des TVÜ-VKA auf sein Arbeitsverhältnis begehrt. Er ist – anders als die Beklagte – der Auffassung, diese seien als den BMT-G II ersetzende Tarifverträge auf sein Arbeitsverhältnis dynamisch anwendbar. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben.
Das Vorabentscheidungsersuchen
Die bisherige Rechtsprechung geht davon aus, dass der Erwerber eines Betriebsteils nach nationalem Recht aufgrund von § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB an eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, die auf Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung Bezug nimmt und deren Regelungen aufgrund privatautonomer Willenserklärungen zum Inhalt des Arbeitsvertrags gemacht hat (sog. dynamische Bezugnahmeklausel), vertraglich so gebunden ist, als habe er diese Vertragsabrede selbst mit dem Arbeitnehmer getroffen.
Im Wege des Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV soll nunmehr geklärt werden, ob dieser Auslegung des nationalen Rechts unionsrechtliche Vorschriften – insbesondere Art. 3 der Richtlinie 2001/23/EG und Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – entgegenstehen.
Hinweise für die Praxis
Hintergrund des Vorlageersuchens des BAG ist die Rechtsprechung des EuGH in der Alemo-Herron-Entscheidung. Dieser Entscheidung des EuGH vom 18. Juli 2013 (C-426/11) lässt sich entnehmen, dass der EuGH der Fortgeltung von Bestimmungen, die der Arbeitgeber selbst nicht mitverhandeln kann, kritisch gegenüber steht. Im vorliegenden Fall hatte der Kläger gegen seinen Arbeitgeber auf Zahlung des erhöhten Tariflohnes aus dem TvÖD geklagt. Der Arbeitgeber war zunächst in öffentlicher Trägerschaft gewesen und später durch einen privaten Träger übernommen worden. Eine Möglichkeit, auf den TvÖD Einfluss zu nehmen, hat der private Träger nicht, weil die Satzung des tarifschließenden KAV dem privaten Träger den Beitritt nicht gestattet. Die Konstellation entspricht daher wohl der im Fall Alemo-Herron vom EuGH angesprochenen.
Die Entscheidung des EuGH kann mit Spannung erwartet werden, da sie das grundsätzliche Spannungsverhältnis zwischen Abreitnehmerschutz und unternehmerischer Freiheit berührt. Sollte der EuGH zu dem Ergebnis kommen, dass die bisherige Auslegung von § 613 a BGB nicht mit dem Unionsrecht konform ist, kann das BAG an seiner bisherigen Rechtsprechung zu dynamischen Bezugnahmeklauseln nicht festhalten. Die Entscheidung ist jedenfalls in den Bereichen von besonderer Relevanz, in denen der Betriebserwerber keinen Einfluss auf den Tarifvertrag nehmen kann. Dies ist typischerweise bei der Ausgliederung aus dem öffentlichen Dienst der Fall.