Auf die Probezeit in einem Berufsausbildungsverhältnis erfolgt keine Anrechnung von vorausgegangenen Praktika
Veröffentlicht am 15th Jun 2016
Die gesetzliche Differenzierung von Berufsausbildungsverhältnis und Praktikum ist mit einer Anrechnung von Zeiten eines Praktikums auf die Probezeit in einem späteren Berufsausbildungsverhältnis nicht vereinbar (BAG, Urteil vom 19. November 2015 – 6 AZR 844/14).
Der Sachverhalt
Zwischen den Parteien bestand Streit über die Wirksamkeit einer Probezeitkündigung eines Ausbildungsverhältnisses.
Der Kläger hatte sich bei der Beklagten um einen Berufsausbildungsplatz zum Kaufmann im Einzelhandel beworben. Die Parteien kamen überein, dass der Beklagte zum 1. August 2013 die Ausbildung aufnehmen solle. Um die Zeit bis zum Beginn der Ausbildung zu überbrücken, schlossen die Parteien einen Praktikantenvertrag nach welchem der Kläger vom 11. März 2013 bis zum 31. Juli 2013 in einer Filiale des Beklagten „zum Erwerb von Erfahrungen und Kenntnissen im Fachbereich Handel- und Verkaufsvorbereitung“ ein Praktikum absolvieren sollte. Es war eine Probezeit von zwei Monaten vereinbart. Der Kläger absolvierte das Praktikum und begann schließlich am 1. August 2013 seine Ausbildung zum Kaufmann des Einzelhandels. Im Ausbildungsvertrag war eine Probezeit von drei Monaten vereinbart.
Der Beklagte kündigte das Ausbildungsverhältnis zum 31. Oktober 2013 mittels Kündigungsschreiben vom 29. Oktober 2013, welches am selben Tag zuging. Der Betriebsrat stimmte der Kündigung zu.
Der Kläger wandte sich mittels Klage gegen die Kündigung und verlangte Weiterbeschäftigung. Nach Auffassung des Klägers, sei die Kündigung außerhalb der Probezeit ergangen und mithin unwirksam. Das dem Ausbildungsverhältnis vorangehende Praktikum sei auf die Probezeit anzurechnen. Dieses sei schließlich im Zusammenhang mit dem bereits zugesagten Ausbildungsbeginn durchgeführt worden. Zudem habe der Kläger während des Praktikums bereits Ausbildungsinhalte vermittelt bekommen. Bei Zusammenrechnung von Praktikumszeit und Probezeit des Ausbildungsverhältnisses lägen fast acht Monate Probezeit vor. Dies sei nicht mit dem Sinn und Zweck der Probezeit und nicht mit den Grundsätzen von Treu und Glauben vereinbar.
Der Beklagte hingegen war der Ansicht, die Kündigung sei gemäß den gesetzlichen Vorgaben innerhalb der Probezeit erklärt worden. Auf den im Praktikum vermittelten Inhalt komme es nicht an. Dem Kläger seien aber auch nur die üblichen Praktikumsinhalte vermittelt worden.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Die Entscheidung
Das BAG hat die Revision des Klägers für unbegründet erachtet. Die Kündigung vom 29. Oktober 2013 habe das Berufsausbildungsverhältnis wirksam beendet.
Das Gericht führt aus, dass ein Berufsausbildungsverhältnis gemäß § 22 Abs. 1 BBiG während der Probezeit jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden kann.
Der Zeitraum vom 11. März 2013 bis zum 31. Juli 2013 sei auf die Probezeit des Berufsausbildungsverhältnisses nicht anzurechnen. Dies gelte auch unabhängig davon, ob tatsächlich ein Praktikumsverhältnis oder aber beispielsweise ein Arbeitsverhältnis vorlag.
Nach der gesetzlichen Regelung in § 20 Satz 1 BBiG sei eine solche Anrechnung der Probezeit nicht vorgesehen. Dies ergebe sich auch aus dem Zweck der Probezeit in jeweiligen Vertragsverhältnissen. Die gesetzlich vorgeschriebene Probezeit solle eine Überprüfung der Eignung des Auszubildenden für den zu erlernenden Beruf ermöglichen beziehungsweise eine Prüfung, ob die Ausbildung den Vorstellungen des Auszubildenden entspricht. Dies sei nur unter den Bedingungen des Berufsausbildungsverhältnisses mit seinem spezifischen Pflichtenkatalog möglich. Inhalt und Ziel eines vorher absolvierten Praktikums seien nicht zu berücksichtigen.
Hinweise für die Praxis
Die Entscheidung des BAG schafft bezüglich der Anrechnung vorheriger Praktika auf die Probezeit in Ausbildungsverhältnissen Rechtsklarheit.
Die Vereinbarung einer Probezeit ist in Ausbildungsverhältnissen zwingend vorgeschrieben. Lediglich deren Dauer ist zwischen den Parteien dispositiv (vgl. § 20 BBiG). Sofern ein Arbeitgeber beabsichtigt, einen Auszubildenden zuvor als Praktikanten zu beschäftigen, muss er somit keine Bedenken haben, dass es zu einer Anrechnung der Praktikumszeit auf die Probezeit kommt.