Artikel Verkehrssicherungspflicht und Beweislastumkehr
Veröffentlicht am 1st Feb 2018
Unternehmen mit Sonderpflichten: BGH vergrößert Prozess- und Haftungsrisiko weiter
Für Unternehmen mit Sonderpflichten zum Schutz Dritter vor Gefahren für Leben und Gesundheit wächst das Prozess- und Haftungsrisiko. Das ist die Folge eines Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH), der damit seine Rechtsprechung zur Beweislast in Schadensersatzprozessen wegen der Verletzung von Körper und Gesundheit fortentwickelt (Urteil vom 23. November 2017, Az. III ZR 60/16). Zuletzt hatte der BGH mit einer Reihe von Urteilen die von ihm ursprünglich für die Arzthaftung entwickelte Beweislastumkehr auf andere Berufsgruppen ausgeweitet.
Die aktuelle Entscheidung betrifft Unternehmen, die im Rahmen ihrer Betätigung die besondere Berufs- und Organisationspflicht haben, andere vor Gefahren für Leben und Gesundheit zu bewahren (z. B. für die Bereiche Brandschutz und Gebäudesicherheit). Hohe Haftungssummen stehen auf dem Spiel, denn vom Schadensersatzanspruch sind auch lebenslange Pflege- und Schmerzensgeldansprüche erfasst, die nicht selten Millionenbeträge ausmachen können.
Grundsätzlich muss die Partei, die einen Schadensersatzanspruch geltend macht, das Vorliegen der Voraussetzungen beweisen (Beweislast). Dazu gehört auch der Nachweis, dass der Pflichtverstoß die konkrete Rechtsgutsverletzung verursacht hat. Eine Ausnahme gilt für den Bereich der Arzthaftung. Hier kann ein Patient häufig nicht nachweisen, dass der Behandlungsfehler den Gesundheitsschaden verursacht hat. Darum kehren die Gerichte die Beweislast um, wenn dem Arzt ein grob fahrlässiger Behandlungsfehler nachgewiesen werden kann: Der Arzt muss beweisen, dass sein Behandlungsfehler nicht ursächlich für die eingetretene Rechtsgutsverletzung des Geschädigten ist. Eine solche Beweislastumkehr ist häufig prozessentscheidend.
Selbst wenn keine grobe Fahrlässigkeit vorliegt und damit die Beweislastumkehr nicht greift, können die Gerichte auch bei einfacher Fahrlässigkeit dem Geschädigten den Beweis erleichtern. Sie vermuten eine Schadensursächlichkeit bereits dann, wenn eine ordnungsgemäße Beaufsichtigung an sich geeignet gewesen wäre, den Schaden zu verhindern, beziehungsweise sich gerade diejenige Gefahr verwirklicht hat, der durch die verletzte Verhaltenspflicht begegnet werden sollte.
Diese Ausnahme hat der BGH nun auf die Berufsgruppe der Schwimmbadbetreiber bzw. Bademeister ausgeweitet. Wie beim Arztberuf, so die Richter, bestünden besondere Berufs- und Organisationspflichten, die dem Schutz von Leben und Gesundheit anderer dienten. In der jüngeren Vergangenheit nahm der BGH eine vergleichbare Interessenlage auch schon für den Fall eines Hausnotrufvertrages (Urt. v. 11. Mai 2017, BGH NJW 2017, 2018) und für die Tierarzthaftung (Urt. v. 10. Mai 2016, BGHZ 210, 197) an. Bislang scheint der BGH die Ausnahme aber nur anzuwenden, wenn zwischen Schädiger und Geschädigtem ein Vertragsverhältnis besteht.
Es ist nicht auszuschließen, dass der BGH seine Rechtsprechung ausweitet. Auch für Vermieter ist es daher wichtig, jedenfalls grobe Fahrlässigkeit bei der Organisation der Erfüllung ihrer das Leben und Gesundheit ihrer Mieter betreffenden Pflichten auszuschließen. Mehr Beachtung müssen deshalb z.B. Organisationsstrukturen finden, die der Erfüllung von Brandschutzverpflichtungen dienen. Nimmt das Gericht im Prozess eine Beweislastumkehr an, haftet der für den Brandschutz Verantwortliche bereits, wenn er nicht beweisen kann, dass seine Versäumnis auf dem Gebiet des Brandschutzes nicht zur Gesundheitsschädigung geführt hat.