Agile Transformation im Unternehmen: Strukturiertes Vorgehen bei der Implementierung agiler Arbeitsmethoden
Veröffentlicht am 3rd Feb 2021
Ein Beitrag von Annabel Lehnen und Prof. Dr. Armin Trost
Das Thema
Viele insbesondere traditionell geführte Unternehmen beschäftigen sich derzeit mit der Frage, ob und wie sie sich durch organisationskulturelle und digitale Transformation zukunftsfähig machen müssen. Bevor sie sich für ein bestimmtes Konzept entscheiden, ist es aber von großer Wichtigkeit, die Voraussetzungen für eine solche Transformation zu kreieren, zumal die Umsetzung der Transformation typischerweise nicht nur digital, sondern auch durch neue Personalstrategien erfolgt.
Im Rahmen einer Beitragsreihe werden die beiden Autoren die Strukturen bei der Implementierung und deren (auch rechtliche) Auswirkung auf das bestehende Personalmanagement aufzeigen.
Nachdem im ersten Teil der Beitragsreihe die strategische Entscheidung und gleichzeitig auch die arbeitsrechtlich relevante unternehmerische Entscheidung als Herzstück einer solchen Transformation im Mittelpunkt stand, zeigt dieser Beitrag auf, wie wichtig auch bei einer Transformation der Arbeit in eine agile Organisation eine gemeinsam mit den Beteiligten erarbeitete Struktur ist. Und dies sowohl in personalstrategischer Sicht (Teil 1) als auch in arbeitsrechtlicher Sicht (Teil 2).
Teil 1
Personalmanagement und agile Transformation: Unsicherheit und Komplexität
Ein agiles Führungs- und Organisationsverständnis umfasst eine Reihe charakteristischer Denkweisen. Hierzu gehören u.a. kurze Zyklen von Denken und Handeln, vernetztes Agieren in und zwischen Teams, Eigenverantwortung und Kundenzentrierung. All dies begründet sich aus der zunehmenden Unsicherheit und Komplexität der zu bewältigenden Herausforderungen. Demgegenüber steht ein Verständnis, das von einem Streben nach Stabilität ausgeht. Man plant in langen Zyklen, denkt arbeitsteilig, hierarchisch bzw. vertikal entlang der Berichtswege, Anweisungen und Kontrolle gehören zu den zentralen Führungsaufgaben. Die heute gängigen Prozesse, Instrumente und Ansätze im Personalmanagement gehen von Letzterem aus.
Im Zuge einer agilen Transformation erkennen immer mehr Unternehmen, dass sie zahlreiche Handlungsfelder innerhalb des Personalmanagements umgestalten sollten. Das klassische Mitarbeitergespräch wird hinterfragt. Traditionelle Ansätze des Talentmanagements kommen auf den Prüfstand. Reihenweise verabschieden sich Unternehmen von individueller, leistungsabhängiger Vergütung. Die Liste ließe sich beliebig erweitern. Eine strategische Veränderung des Personalmanagements kann einer agilen Transformation Vorschub leisten oder sich dem übergeordneten Wandel anpassen.
Dilemma innerhalb der agilen Transformation
Eine Veränderung der Personalstrategie im Sinne eines agilen Führungs- und Organisationsverständnisses kann bzw. darf nur nach agilen Prinzipien erfolgen. Es wäre ein Widerspruch in sich, wollte man agile Strukturen nach traditioneller, hierarchischer Gangart top-down verordnen. Hier zeigt sich ein zentrales Dilemma. Wie kann ein Unternehmen eine agile Transformation vorantreiben, wenn es aktuell noch hierarchisch denkt?
Der strukturierte Umgang mit Unsicherheit
Wird eine strategische Veränderung angestoßen, sehen sich Geschäftsführer und Führungskräfte mit einem Universum an offenen Fragen konfrontiert, auf die sie keine Antwort haben und auch keine Antwort haben können. Aus einer hierarchischen Welt kommend ist dies für alle Beteiligten und Betroffenen nur schwer zu ertragen und widerspricht der Rolle, die Führungskräfte in der Vergangenheit zugeschrieben wurde. Niemand weiß zu Beginn einer agilen Transformation des Personalmanagements, wie die Alternative zum bisherigen Mitarbeitergespräch aussehen wird, was sich in der Vergütung für die Mitarbeiter konkret verändern wird, wie man zukünftig mit besonders talentierten Mitarbeitern umgehen wird etc.
Nun kann eine agile Transformation niemals gelingen, würde man diese irgendwie vorantreiben, auf willkürliche Weise etwa, ad hoc oder gar chaotisch. Eine Transformation nach agilen Prinzipien muss klaren Regeln folgen. Agilität bedeutet eben nicht, Dinge unstrukturiert handzuhaben, sondern Dinge anders zu bewältigen. Dabei bleiben die Ergebnisse über lange Phasen hinweg offen.
Notwendigkeit authentischer Kommunikation
Insgesamt ergibt sich aus den obigen Punkten für die Unternehmensleitung die Notwendigkeit authentischer Kommunikation. Anders als möglicherweise bisher üblich muss die Unternehmensleitung dazu stehen, auf zahlreiche operative Fragen keine klaren Antworten zu haben. Nicht die Unternehmensleitung, sondern auch die Führungskräfte und Mitarbeiter sind dazu aufgefordert, diesen Umstand offen zu ertragen.
Zugleich liegt es in der Verantwortung der Unternehmensleitung, aufzuzeigen, wie man mit dieser Unsicherheit umgehen möchte. Führung heißt in diesem Fall, unter Unsicherheit Sicherheit zu vermitteln. Dabei geht es mehr als um die Vermittlung emotionaler Sicherheit im Sinne eines „Wir schaffen das“ sondern auch darum, Wege aufzuzeigen, wie der Umgang mit Unsicherheit bewältigt werden soll: Welche Projektgruppen kümmern sich um welche Problemstellungen? Wie werden im Rahmen der Transformationen Entscheidungen gefällt? Unter welchen Voraussetzungen werden operative Problemlösungen gemeinsam als tauglich betrachtet? Wie werden die Betroffenen in den Gestaltungsprozess eingebunden?
Teil 2
Der arbeitsrechtliche Rahmen mit Hilfe einer Transformations-Rahmen-Betriebsvereinbarung („BV“)
Eine Transformation nach agilen Prinzipien sollte auch arbeitsrechtlich klaren Regeln folgen. Neben der Identifizierung von mitbestimmungspflichtigen Betriebsänderungen durch strukturelle Organisationsänderungen benötigen die Betriebsparteien auch einen gemeinsam vereinbarten Rahmen, um (1) Sicherheit in einem komplexen agilen Kontext zu schaffen und (2) ein gemeinsames Verständnis über die rechtliche Vorgehensweise bei jeglichen Veränderungen zu kreieren.
Ein solcher Rahmen kann durch eine Betriebsvereinbarung, für die es bereits unterschiedliche Bezeichnungen wie „Transformations-Rahmen-BV“ oder Betriebsvereinbarung „New Work“ oder auch „iterative Betriebsvereinbarung“ (wie bei der DATEV) gibt, erfolgen.
In betriebsratslosen Betrieben kann alternativ eine sog. Transformations-Richtlinie einseitig durch den Arbeitgeber zur Schaffung eines „Agilen Mindsets“ bei den Mitarbeitern definiert werden.
Eine zusätzliche transparente Kommunikation hierüber ist für das gemeinsame Verständnis besonders wichtig.
Es empfiehlt sich ein sog. Baukastensystem:
- Abschluss einer Transformations-Rahmen-BV für alle Mitarbeiter zu den Grundsätzen der Zusammenarbeit mit den Gremien zu grundsätzlich von der Transformation betroffenen Themen
- Abschluss von dazugehörigen spezifischen Einzelbetriebsvereinbarungen als Anlagen nach Bedarf für konkrete Einzelfälle
(Anmerkung: Ob solche Themen in Konzern-, Gesamt- oder Einzelvereinbarungen gestaltet werden, ist gesondert zu klären).
Inhalt und rechtliche Konstruktion einer Betriebsvereinbarung
Eine Präambel über das gemeinsame Verständnis für die Notwendigkeit etwaiger künftiger „Transformations- oder New Work“-Prozesse und für die Schaffung eines rechtlich zulässigen Rahmens zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens sollte am Beginn stehen.
Sodann sollte die Auflistung (und Abarbeitung) von in Betracht kommenden Transformations-Themen folgen, wie z.B.:
- Änderung der Unternehmenskultur (Schaffung neuer Arbeitsumgebungen – ggf. Großraum, Desk Sharing, Relaxzonen)
- „Moderne Arbeitsorganisation“ durch flexible Arbeitsortgestaltung (hybrides Home-Office und hybrides mobiles Arbeiten freiwillig oder auf Anordnung)
- „Moderne Arbeitsorganisation“ durch flexible Arbeitszeitgestaltung in identifizierten Bereichen (z.B. Vertrauensarbeitszeit)
- Änderung der Betriebsorganisationen durch teamübergreifendes- oder sogar betriebsübergreifendes Arbeiten in der Matrix in fluiden Projektteams
- Einführung neuer Anforderungsprofile durch Weiterqualifizierung in spezif. Bereichen (Reskilling/ Upskilling)
- Moderne Vergütungsmodelle im agilen Kontext
- Neue Strukturen beim Talentmanagement
- …usw.
Weitere Themen und Inhalte, die folgen sollten, sind:
- Geheimnisschutz
- Gesundheitsschutz/Arbeitssicherheit/Gefährdungsbeurteilungen
- Datenschutz
- Wahrung der Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte bei den Transformationsprozessen (z.B. § 99 BetrVG für personelle Maßnahmen, insbes. Versetzungen sowie § 87 BetrVG für verhaltensorientierte Bestimmungen, Arbeitszeit, Gesundheitsschutz, Leistungs- und Verhaltenskontrolle, Einführung neuer IT- und Kommunikationsplattformen und Gruppenarbeit, §§ 90, 91 BetrVG für Arbeitsverfahren/Umorganisation von Arbeitsplätzen, § 92 BetrVG für die Personalplanung) und natürlich §§ 111 ff BetrVG für jegliche Betriebsänderungen
- Ein paritätisch besetztes Lenkungsgremium zur Unterstützung und ggf. Konfliktvermeidung/Konfliktlösung
Hinweis: Es existiert kein Mitbestimmungsrecht zum mobilen Arbeiten oder Home-Office. Der Betriebsrat hat nur bzgl. bestimmter Aspekte bei der Ausgestaltung des mobilen Arbeitens/Home Office mitzubestimmen. Er hat deshalb keine Möglichkeit, die Zulassung außerbetrieblichen Arbeitens zu erzwingen, auch einen neuen § 87 Nr. 14 BetrVG wird es voraussichtlich nicht geben.
Spezifische Einzelbetriebsvereinbarungen als Anlagen zur Transformations-Rahmen-BV
Je nachdem, welche in der Transformations-Rahmen-BV in Betracht kommenden „New Work-Modelle“ der Arbeitgeber mit den Betriebsräten durchzuführen beabsichtigt, sind dann hierfür jeweils nur kurze spezifische Einzelbetriebsvereinbarungen als Anlagen zu vereinbaren. Der Vorteil bei der Gestaltung hierbei liegt darin, dass aufgrund der Transformations-Rahmen-BV bereits sämtliche Rahmenaspekte vereinbart sind, so dass die dazugehörigen Einzelbetriebsvereinbarungen auf Basis des gemeinsam kreierten Verständnisses ohne großen Aufwand vereinbart werden könnten.
Dabei werden Betriebsräte sogar durch das BetrVG geradezu aufgefordert, an solchen New Work-Modellen mitzuwirken, denn § 75 Abs. 2 BetrVG definiert, dass Arbeitgeber und Betriebsrat die Selbstständigkeit und Eigeninitiative der Arbeitnehmer und Arbeitsgruppen zu fördern haben.
Fazit: Gemeinsam herbei geführte Strukturen zur Implementierung agiler Arbeitsmethoden
Die hier genannten Strukturen, die zur Schaffung eines gemeinsamen Verständnisses erörtert und sofern arbeitsrechtlich notwendig vereinbart werden, schaffen sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Sicht eine gute Grundlage für eine erfolgsversprechende Implementierung agiler Arbeitsmethoden und -bedingungen in den identifizierten Bereichen.
Annabel Lehnen, Fachanwältin für Arbeitsrecht