Abweichende Senatsmeinungen am Bundesarbeitsgericht (BAG) zur Verbindlichkeit einer unbilligen Weisung

Veröffentlicht am 7th Aug 2017

Der Zehnte Senat des BAG möchte die Auffassung vertreten, dass der Arbeitnehmer im Anwendungsbereich des § 106 GewO eine unbillige Weisung des Arbeitgebers auch dann nicht befolgen muss, wenn keine dementsprechende rechtskräftige Entscheidung der Gerichte für Arbeitssachen vorliegt und damit von der Rechtsprechung des Fünften Senats abweichen. Nach Ansicht des Fünften Senats des BAG ist eine unbillige Leistungsbestimmung nicht etwa nichtig, sondern nur unverbindlich. Der Arbeitnehmer dürfe sich daher nicht eigenmächtig über die Weisung hinwegsetzen, sondern sei so lange an sie gebunden, bis ihre Unverbindlichkeit durch rechtskräftiges Gerichtsurteil festgestellt ist. Andernfalls setze er seinen Vergütungsanspruch oder gar seinen Arbeitsplatz aufs Spiel.

Der Zehnte Senat hat wegen seiner gegenteiligen Auffassung deshalb nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG angefragt, ob der Fünfte Senat an seiner Rechtsauffassung festhält. (BAG, Urteil vom 14. Juni 2017 – 10 AZR 330/16)

Der Sachverhalt

Der Kläger ist als Immobilienkaufmann bei der Beklagten am Standort Dortmund beschäftigt. Nachdem im März 2014 Mitarbeiter der Beklagten die weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger ablehnten, teilte die Beklagte dem Kläger mit, er werde für den Zeitraum vom 16. März 2015 bis zum 30. September 2015 am Standort Berlin eingesetzt. Der Kläger nahm seine Arbeit am Standort Berlin nicht auf. Daraufhin mahnte ihn die Beklagte mehrmals schriftlich ab. Mit Schreiben vom 28. Mai 2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Der Kläger begehrt Feststellung, dass er nicht verpflichtet war, der Weisung zur Erbringung der Arbeitsleistung in Berlin Folge zu leisten. Zudem verlangt er die Entfernung der Abmahnungen aus seiner Personalakte. In einem weiteren Gerichtsverfahren wehrt er sich gegen die ausgesprochene Kündigung.

Die Entscheidung

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht hatten der Klage stattgegeben. Die Vorinstanzen haben damit festgestellt, dass der Kläger nicht verpflichtet war, seine Arbeitsleistung am Standort Berlin zu erbringen. Sie haben die Beklagte verurteilt, die Abmahnungen aus der Personalakte zu entfernen und dem Kläger die vorenthaltene Vergütung nachzuzahlen. Nach dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 17. März 2016 – 17 Sa 1660/15, das eine vorläufige Bindungswirkung der als unbillig erachteten Versetzungsanordnung verneinte, widerspreche eine Bindung an unbillige Weisungen dem Gesetzeswortlaut, der die Billigkeit der Leistungsbestimmung gemäß § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB voraussetze. Die dem entgegenstehende Rechtsprechung des Fünften Senats führe zu einer für den Arbeitnehmer untragbaren Risikoverlagerung. Er müsse auch einer unbilligen Leistungsanordnung zunächst Folge leisten, wenn er nicht Gefahr laufen wolle, seine Vergütungsansprüche zu verlieren oder wegen Arbeitsverweigerung gekündigt zu werden.

Über die Revision der Beklagten kann derzeit noch nicht entschieden werden: Nach Auffassung des Zehnten Senats des BAG ist die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die Bestimmungen des Arbeitsvertrags der Parteien ließen zwar grundsätzlich eine Änderung des Arbeitsortes des Klägers zu, die Versetzung von Dortmund nach Berlin habe aber nicht billigem Ermessen entsprochen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Fünfte Senat vertrete allerdings die Auffassung, dass sich ein Arbeitnehmer über eine unbillige Weisung, die nicht aus anderen Gründen unwirksam sei, nicht hinwegsetzen dürfe, solange keine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung vorliege, die deren Unwirksamkeit feststelle. Der Zehnte Senat möchte hingegen die Auffassung vertreten, dass der Arbeitnehmer einer unbilligen Weisung nicht – auch nicht vorläufig – folgen muss und fragt deshalb nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG an, ob der Fünfte Senat an seiner Rechtsauffassung festhält.

Hinweise für die Praxis

Es gibt bereits seit Jahren unterschiedliche Meinungen zu der Frage, ob Arbeitnehmer dazu berechtigt sind, sich über rechtswidrige Arbeitsanweisungen hinwegzusetzen und deren Befolgung zu verweigern.

Sollte die bisherige Rechtsprechung des Fünften Senates aufgegeben werden, läge das Risiko der Unbilligkeit einer Weisung zukünftig beim Arbeitgeber: Verweigert der Arbeitnehmer die Befolgung einer Weisung, wäre der Arbeitgeber bei späterer Feststellung der Unbilligkeit der Weisung durch ein Arbeitsgericht rückwirkend zur Zahlung von Annahmeverzugslohn ohne entsprechende Arbeitsleistung verpflichtet. Ausgesprochene Abmahnungen und Kündigungen wegen Arbeitsverweigerung würden sich im Nachhinein als unwirksam herausstellen.

Präventiv ist Arbeitgebern bereits jetzt in Vorbereitung einer Rechtsstreitigkeit zu empfehlen, die Billigkeit einer Weisung vor Ausspruch der Weisung genau zu überprüfen und zu dokumentieren.

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* Dieser Artikel entspricht dem aktuellen Stand zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung und spiegelt nicht notwendigerweise den aktuellen Stand des Gesetzes / der Regulatorik wider.

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