Die neue Transparenz beim Wärmeverbrauch
Published on 20th Oct 2021
Dr. Alexander Dlouhy, Partner bei Osborne Clarke im Gespräch mit Frau Sybille Wegerich, kaufmännischer Vorstand bei der bauverein AG, Darmstadt, und Dirk Wittler, Geschäftsführer der ETA+ GmbH.
Nach der Bundestagswahl Ende September bestehen kaum Zweifel, dass Grüne und Liberale gemeinsam die Maßnahmen zum Schutz des Klimas und gegen den Klimawandel mitgestalten werden. Der Schwerpunkt der FDP dürfte dabei stärker durch die Hoffnung geprägt sein, die Probleme mit technologischem Fortschritt lösen zu können.
Die bisherige Bundesregierung wollte mit einer Novelle der Heizkostenverordnung und einer neuen Verordnung zur Erfassung und Abrechnung von Fernwärme und Fernkälte mehr Transparenz über den Wärme- bzw. Kälteverbrauch schaffen. In seiner Sitzung am 17. September 2021 sollte der Bundesrat abschließend über die Neuregelung der Heizkostenverordnung abstimmen. Auf Betreiben des Wirtschaftsausschusses und des Umweltausschusses hatte der Bundesrat seine Entscheidung jedoch vertagt. Wann die Länderkammer über die Novelle der Heizkostenverordnung abstimmt, ist noch offen. Dagegen ist die neue Fernwärme- oder Fernkälte-Verbrauchserfassungs- und -Abrechnungsverordnung (kurz die FFVAV) am 5. Oktober 2021 in Kraft getreten.
Steht jetzt zu erwarten, dass die Novelle der Heizkostenverordnung vom Tisch ist oder wesentliche Änderungen erfährt?
Mit der HeizkostenV-Novelle und der neuen Fernwärme- oder Fernkälte-Verbrauchserfassungs- und - Abrechnungsverordnung sollten in großen Teilen gleichlaufende Regelungen einerseits zur Technik für die Erfassung von Verbrauchsdaten sowie über die regelmäßige Bereitstellung von Abrechnungs- und Verbrauchsinformationen eingeführt werden. Insbesondere soll die Informationsbasis für Verbraucher und Kunden verbessert werden. Die Inhalte der Heizkostenverordnung sollten im Grundsatz inhaltlich mit denen der FFVAV ähnlich sein, damit die Vermieter, die Wärme von Fernwärmeunternehmen beziehen, keine Nachteile bei der Heizkostenabrechnung haben. Insoweit ist davon auszugehen, dass zumindest die Eckpunkte in dem aktuellen Entwurf der Heizkostenverordnung umgesetzt werden.
Wir haben mit Frau Sybille Wegerich, Vorstand der bauverein AG in Darmstadt, und Herrn Dirk Wittler, Geschäftsführer der ETA+ GmbH, zu den Neuerungen gesprochen.
Alexander Dlouhy: Auch wenn die Heizkostenverordnung noch nicht in Kraft ist: Sollten sich die Marktteilnehmer dennoch mit den bestehenden Entwürfen für die Neuregelungen auseinandersetzen?
Frau Wegerich: Auf jeden Fall muss sich der Markt mit möglichen künftigen Regelungen der Heizkostenverordnung auseinandersetzen. Dass neue Anforderungen kommen, ist nahezu sicher. Auch steht zu befürchten, dass die Umsetzungsfristen für die neuen Vorgaben recht kurz sein werden. Unternehmen, die sich nicht mit diesen Themen beschäftigt haben, haben dann das Nachsehen.
Herr Wittler: Der gesamte Markt muss sich mit den Möglichkeiten auseinandersetzen, die neue Techniken ermöglichen, wie man Wärmeverbrauch am besten erfasst, den Kunden und Mietern Zugriff auf die Daten verschafft und welche Schlussfolgerungen und Maßnahmen sich daraus ableiten lassen.
Wir müssten als Gesellschaft aber eigentlich verstehen: Eine schnelle Umsetzung ist unumgänglich. Aber smartes Messen alleine genügt nicht. Das muss man preiswert tun, und dann müssen wir ja auch handeln. Das heißt wir müssen unsere Gebäudeemissionen drastisch senken! Hierzu müssen wir in der technischen Gebäudeausstattung und in der Änderung des Verbrauchsverhaltens alles dafür tun, dass unsere Gebäude „Net Zero“ werden. Denn das wäre ein echter Standortvorteil für Deutschland! Der Gebäudesektor ist für 40% des Energieverbrauchs und für 36% aller Treibhausgas-Emissionen verantwortlich und muss anfangen zu handeln. Nur dann kann die Einhaltung des Pariser Abkommens gelingen.
Alexander Dlouhy: Nach den bisher vorgesehenen Regelungen müssen neue Zähler und Heizkostenverteiler künftig „fernauslesbar“ sein. Walk-by- und Drive-by-Technologien gelten als fernablesbar. Sind das im Zeitalter der Digitalisierung nicht bereits veraltete Herangehensweisen?
Frau Wegerich: Ja, das sind ganz klar Technologien von vorgestern. Fernauslesbare Zähler, die ihre Werte in hoher Auflösung (d.h. mehrmals täglich) liefern, sind in der Wohnungswirtschaft dagegen bisher noch die Ausnahme. Doch nur so kann man die Verbräuche in der Art erfassen, dass diese uns die notwendigen Daten liefern, um die Wärmewende zu beschleunigen und die CO² Emissionen und die Kosten für die Mieter zu senken.
Herr Wittler: Da kann ich nur zustimmen. Aus unserer Sicht brauchen wir voll digitalisierte Kommunikationswege – vom Messgerät bis zu zentralen Datenplattformen – um die Energie- und Wärmewende zu schaffen.
Alexander Dlouhy: Der bisherige neue Regelungsentwurf sah vor, dass künftig nur noch neue Zähler und Heizkostenverteiler verbaut werden sollten, die zugleich auch an ein Smart-Meter-Gateway angebunden werden können. Sind die mit dem Smart-Meter-Gateway verbundenen Kosten mit Blick auf die Gewährleistung des Datenschutzes sinnvoll? Wird sich das Smart-Meter-Gateway als Kommunikationseinheit für die Übertragung von Messergebnissen im Energiebereich durchsetzen?
Herr Wittler: Das Smart-Meter-Gateway ist ein aus unserer Sicht nicht sinnvolles Konzept zum Datenmanagement und ein Symbol verfehlter deutscher Industriepolitik. Es erinnert stark an das ISDN der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Seine Protokolle sind altmodisch, die Sicherheit der Hardware (Stichwort NAND Flash) ist nicht gegeben und insgesamt hat das Smart-MeterGateway den Fortschritt in der deutschen Energiewirtschaft in den letzten zehn Jahren nur behindert und niemanden dazu gebracht, das flächendeckend einzusetzen. Die veraltete Technologie trägt ihren Teil dazu bei, dass das ganze Konzept wie BTX in den Zeiten des Internets wirkt.
Alexander Dlouhy: Der Entwurf sieht auch vor, dass künftig neue Zähler und Heizkostenverteiler (HKV) mit den Systemen anderer Anbieter interoperabel sein müssen. Sie müssen also Daten und Informationen miteinander austauschen können. Ist das eine größere Herausforderung für den Markt?
Herr Wittler: Die Interoperabilität der neuen Zähler und Heizkostenverteiler ist der notwendige erste Schritt in eine TCP/IP-Welt. Wenn seit zehn Jahren Fensterkontakte IPv6 „sprechen“, warum tun das HKV und Zähler nicht. Neue Standards von Amazon, Google, Apple, IKEA u.v.m. zeigen deutlich, dass der Weg von solchen Geräten nur in Richtung TCP/IP gehen kann und wird. Das ist die eigentliche Herausforderung für den kleinteiligen Markt der Messgeräte-Hersteller.
Alexander Dlouhy: Glauben Sie, dass Ablesedienstleistungen günstiger werden, sobald einmal Zähler und Heizkostenverteiler kompatibel sind?
Frau Wegerich: Der Preis der Ablesedienstleistungen ist hauptsächlich von der Montage geprägt. Hier müssen Prozessverbesserungen ansetzen, um die Kosten für unsere Mieter und uns zu senken. Bei den immer niedriger werdenden Verbräuchen und der zunehmenden Digitalisierung von Geräten sollten wir das hinbekommen. Wir gehen allerdings auch davon aus, dass die Gerätekosten andere sein werden, denn Zusatzkomfort für den Mieter oder gesetzliche Auflagen wie das regelmäßige Zurverfügungstellung der Verbräuche werden neuen Aufwand erzeugen, der gegen die theoretischen Einsparungen gerechnet werden muss.
Alexander Dlouhy: Ab dem 1. Januar 2022 sollten die Nutzer von Gebäuden, und damit insbesondere auch Mieter nach dem vorliegenden Entwurf, monatlich den Verbrauchsinformationen erhalten, nämlich den Verbrauch im letzten Monat, einen Vergleich mit dem Verbrauch des Vormonats und dem entsprechenden Monat des Vorjahres sowie einen Vergleich mit dem Verbrauch eines normierten oder durch Vergleichstests ermittelten Durchschnittsnutzers. Glauben Sie, dass diese monatliche Information sinnvoll und ausreichend ist, um dem Ziel eines geringeren Wärmeverbrauchs näher zu kommen?
Frau Wegerich: Ja, wir glauben, dass ein wesentlicher Teil der Energie- und Wärmewende die Verhaltensänderung beim Nutzer ist. Alles, was nachhaltiges Verhalten stimuliert, ist deshalb sinnvoll. Unsere Idee der Energieverbrauchsinformation, eingebettet in unsere „Darmstadt im Herzen“-App, erlaubt den Mietern der bauverein AG die Digitalisierung vieler Mieterprozesse und quasi nebenbei auch die adäquate Verbrauchsinformation. Wichtig ist, dass wir es als Branche schaffen, die Information für alle digital und sicher zur Verfügung zu stellen und vor allem, den Mieter damit, auch emotional, zu erreichen. Den Versand per Papier lehnen wir schon allein aus Nachhaltigkeitsaspekten ab.
Herr Wittler: Wichtig sind hier aber noch andere Fragen, als monatliche Verbrauchsinformationen. Es geht darum, die Verbrauchskosten der Primärenergie mit dem Verbrauchsverhalten und den Werten der Messung in ein sinnvolles Modell zu bringen. Letztlich müssen wir die Nutzer zum Einsparen von Energie und damit von Kosten und Emissionen spielerisch motivieren. Mit einer reinen, monatlichen Information zu Verbräuchen wird das nicht gelingen.
Alexander Dlouhy: Kommen auf Mieter durch die neuen Vorgaben erhöhte Nebenkostenabrechnungen zu?
Frau Wegerich: Sinn und Zweck der Digitalisierung an dieser Stelle ist doch genau, dass die Verbräuche und damit die Kosten sinken. Wir müssen allerdings von der alten starren regelbasierten 08/15 Lösung weg- und hin zu sinnvollen Sharing-Modellen kommen, bei denen Investitionen einfach, transparent und abrechnungssicher durch Vereinbarungen mit den Mietern umgelegt werden können, wenn diese minimalinvestiven Maßnahmen eine schnelle Amortisation haben. Hierzu sind die gemeinsamen Ziele für eine Liegenschaft bzw. ein Quartier gute Beispiele. Der bauverein hat mit SWIVT II, der Lincoln Siedlung und dem Ludwigshöhviertel herausragende Beispiele von niedrigen Kosten für Mieter, niedrigen Emissionen und hoher Effizienz geschaffen. Der grundlegende Konsens zwischen Mietern und bauverein wird durch CO² Einsparungen, sauber kalkulierte Nebenkosten und Betriebskosten und eine hohe Energieeffizienz geprägt.
Alexander Dlouhy: Sind wir mit den neuen Regelungen auf dem richtigen Weg zur Erfüllung der vom Klimaschutzgesetz vorgegebenen Treibhausgasreduzierung auf 67 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent im Jahr 2030 – ausgehend von den tatsächlichen Emissionen von 120 Millionen Tonnen im Jahr 2020?
Frau Wegerich: Derzeit ist jeder Weg richtig! Hauptsache man fängt an, ihn zu gehen. Regeln sind oft gut, aber fast nie perfekt, vor allem passen sie nie universell. Hier muss man sich einfach mal auf den Weg machen. Das ist bei uns Konzept. Schon immer haben wir beim bauverein in Effizienz gedacht und gehandelt. Mit unserem Contracting der bauTega, den eigenen Messdienstleistungen, der ETA+ Plattform und neuen digitalen Leistungen, wie z.B. dem Glasfasernetz für die Liegenschaften, waren wir schon immer gerne vorne mit dabei – und das bei geringen Kosten für unsere Mieter.
Herr Wittler: Die Regelungen selber sparen leider keine Tonne CO² . Das Einzige, was spart, ist ein Net Zero Programm für Gebäude bestehend aus: 1. Vermeidung, 2. Substitution, 3. Reduktion und 4. Kompensation von CO² Emissionen. Die Zeit der Ankündigungen ist vorbei. Es muss die Zeit der Umsetzung beginnen. Wir haben unsere Ziele 2020 nicht geschafft und wir werden die moderaten Ziele in den Folgejahren ebenfalls nicht schaffen, wenn wir uns nicht endlich auf dieses Thema fokussieren. Ein „weiter so“ ist keine Alternative.
Vielen Dank für Ihre Zeit und viel Erfolg auf dem weiteren Weg zur Klimaneutralität
Kurzvorstellung
bauverein AG: Als kommunales Immobilienunternehmen der Stadt Darmstadt kümmert sich die 1864 gegründete bauverein AG seit über 150 Jahren darum, der Bevölkerung in und um Darmstadt bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Ein Fokus lag dabei stets auf gefördertem Wohnraum. Rund 40% unserer Wohnungen unterliegen deshalb Mietpreis- und Belegungsbindungen.
Der Bestand der bauverein AG umfasst aktuell rund 17.000 Wohnungen in der Region Südhessen, darunter rund 12.000 Wohnungen in Darmstadt. In den letzten Jahren ist der Bereich der Wertschöpfungsverlängerung in den Fokus genommen worden, also neben Vermietung, Bewirtschaftung, Neubau und Modernisierung ist die bauverein im Contracting und der Mess- und Regeltechnik mit Tochtergesellschaften aktiv.
ETA+: Das Unternehmen, das im August 2019 gegründet wurde, verfolgt den Ansatz, eine Plattform für EnergieMonitoring und Energie-Management aufzubauen, um langfristig Klimaneutralität für Liegenschaften und Infrastrukturen zu erreichen. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund des Klimaschutzes sinnvoll, denn Europas Immobiliensektor steht für rund 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36% der Treibhausgas-Emissionen.
Das Unternehmen erhebt und verarbeitet vollautomatisch Zahlen und Daten über Energieverbräuche von Liegenschaften, welche für die bauverein AG jetzt und in den nächsten Jahren immer wichtiger in der Bewirtschaftung von Wohnraum werden. In Folge ergeben sich Chancen, die Energieverbräuche und daraus resultierende Emissionen zu optimieren bzw. zu senken – ein wichtiger Schritt für den Klimaschutz.